«Und – bist du auch homo?» (Teil 2 unserer Kolumne)
Ach ja, die Familie …
In der neuen MANNSCHAFT-Kolumne: «Familie ist, wenn man trotzdem lacht» geht es um den heteronormativen Wahnsinn unserer Blutsverwandten. Teil 2: Bist du auch homo?
Schon früh, bevor ich es benennen konnte, empfand ich Familientreffen als Zumutung. Jedes Familienmitglied für sich genommen ist ja ganz in Ordnung, aber wehe, wenn man sie in einen Raum sperrt. Wenn ich mit meinen direkten Verwandten zusammensitze, habe ich von je her das Gefühl: Ich gehe unter.
Nicht dass ich mich permanent über den ESC oder den letzten Almodóvar-Film unterhalten wollte, aber Formel-1-Rennen, das Wetter oder dass die Butter wieder teuer geworden ist – das waren und sind Themen, die mich auf zuverlässige Art und Weise zutiefst deprimieren. Ich nehme mich dann aus der Unterhaltung und zähle die Stunden, bis mein Zug fährt.
Ob sich das inzwischen gebessert hat? Nun. Ich war im Frühjahr auf dem runden Geburtstag meiner kleinen (zweitgeborenen Schwester) in der niedersächsischen Provinz, dem u.a. auch ihr Sohn beiwohnte. Mein Neffe, der es auf einem früheren Geburtstagsfest seines Stiefvaters für eine gute Idee hielt, zur musikalischen Erbauung Songs wie «Döner macht schöner» von Tim Toupet abzuspielen (den Namen musste ich googeln und ich hoffe inständig, ich vergesse ihn wieder, wenn ich diesen Text abschlossen habe). Ich habe die ganze Lokalität nach einem Loch abgesucht, in dem ich hätte versinken können, aber … es gab keins.
Nun traf ich also im Frühjahr jenen Neffen wieder. Jener mittlerweile auch nicht mehr so junge Mann arbeitet bei Volkswagen, wo man – wenn es die Funktion erlaubte – während der Corona-Pandemie ins Home Office geschickt wurde. Heim-Arbeit hat sich bekanntermassen in vielen Unternehmen mittlerweile etabliert. Um nun mit den anderen Gästen abzugleichen, die zum Teil in ganz anderen Berufen und Branchen arbeiten, fragte er während des Essen hier und da herum: «Und, bist du auch homo?»
Wem sich der Zusammenhang nicht gleich erschliesst: Offenbar hat sich in gewissen Kreisen die Abkürzung «HomO» für Home Office etabliert. Wahnsinnig lustig, nicht wahr?
Äh, nein. Es ist nicht lustig, es ist auch nicht besonders originell. Ich empfand es nun aber auch nicht als homophob, weil ich glaube, mir einer gewissen Zuneigung jenes Neffen sicher sein zu können. Was nun aber auch wieder nicht bedeutet, dass die Äusserung besonders feinfühlig wäre. Denn: Muss man so einen Spruch machen, und zwar mehrfach, wenn man einen echten Homo (mich!) mit am Tisch sitzen hat?
Nicht dass es mich getroffen (oder gar verwundert) hätte, aber es ist ja nun nicht verboten, seine Worte abzuwägen, bevor man sie in die Öffentlichkeit entlässt. Leider ist diese recht leicht verständliche und umsetzbare Konversationsregel den meisten Mitgliedern meiner Familie nicht bekannt.
Auch nicht dem Gatten meiner Nichte. Wir sassen nach dem Mittagessen noch unmotiviert im Haus meiner Schwester. Nun, nicht ganz unmotiviert, denn wir tranken Kaffee und ich für meinen Teil auch Sekt (ich bin der Homo, remember?).
Mein Schwiegerneffe hatte den jüngsten seiner beiden Söhne auf dem Schoss, der sich aus Langeweile mit irgendeinem Spielzeug beschäftigte, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es gehörte seiner Cousine, und ich habe vergessen, was es war, aber soviel weiss ich noch: Es war pink! Für Jungs also, die es später mal zu etwas bringen sollen (zu Heteros möglichst), vollkommen ungeeignet.
Ich habe doch nicht zwei Jungs gemacht, damit einer davon jetzt mit Mädchenzeugs spielt.
Es sprach also der Mann meiner Nichte, während er das Spielzeug ausser Reichweite seines Sohnes schob: Er habe doch nicht zwei Jungs «gemacht» (!), damit einer davon jetzt mit Mädchenzeugs spielt.
Jetzt bin ich mir nicht sicher: Soll ich diesem stolzen Vater wünschen, dass eines Tages sein Sprössling vor ihm steht und sich outet? Ich bin sicher, er käme klar damit, aber das müsste er sich schon hart erarbeiten. Andererseits vermute ich: Er kann eh nur heterosexuelle Cis-Männer.
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