Überall fehlt angemessener Umgang mit LGBTIQ-Interessen
... ob beim Verbot von Konversionstherapien, der Blutspende oder beim Adoptionsrecht
Mit Stephan Harbarth steht künftig ein Mann an der Spitze des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, der sich in seiner Zeit als CDU-Abgeordneter klar gegen queere Interessen gestellt hat. Damit nicht genug: Wo man auch hinschaut: LGBTIQ-Interessen sind bei Union und SPD nicht gerade in den besten Händen, schreibt Stefan Mielchen im Samstagskommentar*.
Corona und kein Ende: Die Pandemie beherrscht die Schlagzeilen und führt zum weitgehenden Ausfall der Pride-Saison. Dabei wäre ein lautstarker Protest der queeren Community auch in diesem Sommer dringend erforderlich. Der Blick in die deutsche Innenpolitik zeigt: Die Grosse Koalition aus Union und SPD arbeitet stur eine Agenda der Unzulänglichkeiten ab. Blutspende, Regenbogenfamilien, Konversionstherapien – überall fehlt ein sensibler und angemessener Umgang mit LGBTIQ-Interessen. Doch auch die Opposition spielt nicht immer die glücklichste Rolle.
Dass sich an der Ignoranz der Bundesregierung vor Ablauf der Legislaturperiode noch grundsätzlich etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Mehr noch: Mit Stephan Harbarth steht künftig ein Mann an der Spitze des Bundesverfassungsgerichtes, der sich in seiner Zeit als CDU-Politiker klar gegen queere Interessen gestellt hat. Ein weiteres schlechtes Zeichen angesichts der wichtigen Rolle, die das Gericht in der Vergangenheit beim Abbau von Diskriminierung spielte. Eine Dekade des Rückschritts steht zu befürchten, und die Ernennung ist mehr als eine Personalie.
Denn wie Harbarth denken viele in der Union, die sich ein gutes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl im Umfrage-Höhenflug befindet. Als der 48-Jährige noch Bundestagsabgeordneter war, machte er immer wieder von sich reden: Die Forderung nach einer Ergänzung von Grundgesetz-Artikel 3 um das Merkmal der sexuellen Identität (für die mittlerweile eine Mehrheit der Deuschen ist – MANNSCHAFT berichtete) lehnte er schroff ab: Die Verfassung sei kein Versandhauskatalog politischer Wünsche, so Harbarth. Wenig überraschend stimmte er gegen die Ehe für alle – denn auch sie widerspricht nach Ansicht des künftig fünfthöchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland dem Geist des Grundgesetzes.
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Harbarth stimmte zwar für die Rehabilitierung der Opfer von Paragraph 175 (MANNSCHAFT berichtete). Er weigerte sich jedoch, die anti-homosexuellen Richtersprüche als Unrechtsurteile zu bezeichnen. Das ist mehr als ein Streit um Worte: Wer so spricht, stigmatisiert die Opfer ein weiteres Mal. Zum Dank für all dies wurde Harbarth auf Vorschlag der Union einstimmig zum Verfassungsrichter gewählt – parlamentarische Gepflogenheiten scheinen auch für die Opposition mitunter mehr zu gelten als Minderheiteninteressen.
Letztere sind bei Union und SPD nicht gerade in den besten Händen, wie die Beschlüsse der vergangenen Wochen zeigen. Dass Konversionstherapien künftig verboten sind, ist zweifellos ein wichtiger Fortschritt (MANNSCHAFT berichtete). Doch der Teufel steckt wie immer im Detail. Die Schutzaltersgrenze liegt bei 18 Jahren, Fachleute würden sie bis mindestens 26 Jahre ausweiten. Dass Eltern nicht ausreichend zur Rechenschaft gezogen werden, obwohl zumeist sie es sind, die ihre Kinder zu den unmenschlichen Massnahmen zwingen, ist ebenfalls ein grosses Ärgernis. Doch auch diese Expert*innenkritik bleibt bei der GroKo ungehört.
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Ähnlich verhält es sich beim Thema Blutspende. Auch hier sieht der zuständige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) keinen Handlungsbedarf, obwohl er als schwuler Mann selbst von Diskriminierung betroffen ist. Wollte er in der aktuellen Corona-Krise mit gutem Beispiel vorangehen und Blut spenden, müsste er zuvor ein Jahr sexuell enthaltsam gelebt haben – so sehen es die Richtlinien der Bundesärztekammer für Männer, die Sex mit Männern haben vor (MANNSCHAFT berichtete). Spahn will daran nichts ändern, die Mehrheitsfraktionen im Bundestag auch nicht. Da können sich FDP, Grüne und Linke noch so sehr auf den Kopf stellen.
Doch die GroKo setzt noch einen drauf. Es reicht offenbar nicht, Diskriminierungen festzuschreiben. Beim Adoptionsrecht wurden sie in dieser Woche sogar noch verschärft. Bislang galt: Die nicht-leibliche Mutter in einer gleichgeschlechtlichen Ehe muss den aufwändigen Weg der Stiefkindadoption gehen, um als Elternteil des gemeinsamen Nachwuchses anerkannt zu werden. Für Männer in Hetero-Ehen gilt dies nicht, sie werden automatisch zu Vätern – eine klare Ungleichbehandlung. Mit dem in dieser Woche verabschiedeten Adoptionshilfe-Gesetz wird den Zwei-Mütter-Familien zusätzlich noch eine Zwangsberatung aufgedrückt, die das Verfahren zusätzlich belastet. Änderungsanträge der Opposition schmetterte die GroKo ab – die Hoffnung liegt jetzt auf dem Bundesrat.
Auf den nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, der seit 2013 von der GroKo angekündigt wird, wartet man bis heute.
Dies alles wirft die Frage auf, welche Rolle eigentlich Justizministerin Christine Lambrecht oder Familienministerin Franziska Giffey derzeit spielen. Die beiden Sozialdemokratinnen sind schnell dabei, warme Worte für die Community zu finden, wenn es die Anlässe gebieten. Doch im Ernstfall richten sie wenig aus. Schon bei der leidigen Diskussion um die Ehe für alle zeigten SPD-Mitglieder stets mit dem ausgestreckten Finger Richtung Union, die angeblich alles verhindere. Das ist nicht falsch, aber auch nur ein Teil der Wahrheit – die Verantwortung fürs Regieren trägt man schliesslich gemeinsam. Auf den nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, der seit 2013 von der GroKo angekündigt und immer wieder verschoben wird, wartet man bis heute. Hier könnte die SPD einen wichtigen Akzent setzen, wenn sie es denn wollte.
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Dass sie es nicht tut und gemeinsam mit der Union viele Fortschritte verhindert, ruft nicht nur die Kritik der Community hervor, auch wenn die im ausfallenden CSD-Sommer nur schwer vernehmbar sein wird. Natürlich legen auch die Abgeordneten der Opposition im Deutschen Bundestag beharrlich die Finger in die Wunden. Doch so richtig deren Empörung auch ist, zu weit sollten sie sich nicht aus dem Fenster lehnen. Kämen sie im kommenden Jahr in Regierungsverantwortung mit der Union, stünden sie vor dem gleichen Dilemma. Der nächste Koalitionsvertrag wird einmal mehr zeigen, wie wichtig LGBTIQ-Interessen den Parteien wirklich sind.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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