Tunten zwecklos? Von wegen!
Zu lange glaubte man, die Tunte zerstöre die Akzeptanz von Homosexuellen in der Gesellschaft
Tunten zeigen an, wo unsere Ängste stecken. Der vor Identifizierung. Aber was soll schlimm daran sein, als schwul oder lesbisch erkannt zu werden, fragt Jan Feddersen in seinem Samstagskommentar*.
Neulich war im Märkischen Museum – also im offiziellen Museum der, gemessen an Rom, gar nicht so alten Stadt Berlin – ein sehr hübscher, unterhaltsamer und kluger Abend zu bestaunen. Berlin liegt ja in den Sandwüsten zwischen den satten Wiesen Norddeutschlands und den Weiten Osteuropas: Da ist Berlin als Stadt schon ein Wunder an sich, Farbigkeit, Spektakuläres und Schönes muss immer hinzugefügt werden.
Und so geschah es wieder: Unter dem Dirigat der, so ihre Eigenbezeichnung, «Polittunte» Patsy L’Amour LaLove wurde eine Tuntentrümmershow gegeben – und zwar zu Ehren und zur Eröffnung einer Ausstellung mit Fotos von Annette Frick, die als die Lichtbildchronistin des Berliner Undergrounds, insbesondere des schwulen, schlechthin gelten darf.
Ja, da tut sich was: Berlins Kulturhäuser nehmen das queere Spektrum wahr, es wächst eine allgemeine Gewogenheit unter den Museumsverantwortlichen, nicht nur das heteronormative, sondern auch das queere in den Blick zu nehmen.
Der Abend war eine Art Vernissage zu den Arbeiten der Annette Frick, es war jedoch auch ein Fanal – ja, so pompös muss man es sagen – zugunsten einer schwulen Kultur, die so populär ist wie eh und je: die Kultur der Tunten, der Drags, der Männer und Frauen in Textilien, die die Erwartungen an die typischen Klamotten ihrer Geschlechter unterlaufen, besser: das Gegenteil anzeigen. Tunten kreischen, gewöhnliche Männer nicht; Drag Kings röhren, was gewöhnliche Frauen ja nicht tun.
In jeder Metropole seit der Erfindung des und der Homosexuellen als eigenes gesellschaftliches Subjekt, seit unsereins als Träger besonderer Merkmale verortet wird, gab und gibt es Tunten. Nicht nur politisch bei linken Homos verortet: Tunten gab es, jenseits aller politischen Vorlieben, in den verschwiegenen schwulen Verliesen der 60er Jahre in Hamburg, mein Vater hat es mir akkurat berichtet; das Gleiche gilt für das Lokal «Ika-Stuben», in der Kerle rumliefen, die gar keine waren, wie sie selbst sagten. Tunten gleich welchen biologischen Geschlechts irritieren die Geschlechterordnung, und sie wollen dies auch, das ist ihre pure Absicht.
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Tragisch nur, dass in sehr vielen Kontaktanzeigen – heutzutage bei Gayromeo etwa – gern die Chiffre des Ausschlusses verwendet wird: Tunten zwecklos. So stand es in den einschlägigen Magazinen: Schwul will nicht, dass der weibliche Teil eines anderen Schwulen sichtbar wird. Und zwar nicht, weil das irgendwie weniger antörnt als der Typus des hormonell-bedürftigen Truckers – das darf natürlich sein, niemand kann dem anderen seinen sexuellen Geschmack vorwerfen oder gar diktieren –, sondern weil man glaubte und ja oft noch glaubt, die Tunte zerstöre die Akzeptanz von Homosexuellen in der Gesellschaft. Der effiminierte Mann, wie der Fachausdruck lautet, sei der Feind der Freiheit. Vor bösen, homophoben Nachstellungen.
Ich würde sagen: Das Gegenteil ist richtig. Wer in der Tunte nicht die Freiheitskämpferin erkennen will, hat das, was als Freiheit verstanden werden kann, schon zerstört. Der passt sich nur an, der unterwirft sich den klassischen Normen vom Mannsein und vom Frausein. In Wahrheit wollen alle, die die Tunten verschwunden sehen möchten, ihre eigene Beschämung ob der eigenen sexuellen Orientierung verhüllen: Die Tunte zeigt an, wo unsere Ängste stecken. Der vor Identifizierung. Aber was soll schlimm daran sein, als schwul oder lesbisch erkannt zu werden?
Die Tunte steht mir in jeder Hinsicht näher als noch die freundlichsten Heteros.
Mir geht es so, als Mann, der eher das Zarte im toughen Mann bevorzugt, der jeden feigen Kerl stehen lässt für einen, der sich mutig zu zeigen weiss: Die Tunte steht mir in jeder Hinsicht näher als noch die freundlichsten Heteros. Die Tunten gehören zu uns, sie sind ein Teil unseres Lebens – und das zu bewahren ist besser und innerlich charakterförderlicher als alles Kuschen vor den Wünschen der Heteros. Die sie oft gar nicht haben: Tuntenshows im Hamburger Vergnügungsschuppen «Pulverfass» waren und sind unter Heteros sehr beliebt, wie auch der Film «La cage aux folles» in den Kinos.
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Manche Feministinnen meckern, Tunten veräppelten Frauen, sie machen sich lustig über weibliche Wesen, und das auf verächtliche Art. Das ist ungefähr so richtig wie der Befund, Frauen seien die grössten Feinde der Männer, weil diese nicht Frauen sind. Alles schlecht gequirlter Quark: Queeren Menschen ist alles erlaubt, vor allem aber das Spiel mit den Normen der heterosexuellen Welt. Das Spiel der Tunten macht, das weiss doch jede*r, meisten Spass – kreischend und hysterisch und ganz in unseren Gemütern.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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