Trans in Tirana – «Jetzt kann mich nichts mehr stoppen»

Luana lässt sich in ihrer Heimat Albanien nicht unterkriegen

Seit 2019 lebt Luana offen als Frau, Hormone oder Operationen lehnt sie jedoch ab. (Bild: zvg)
Seit 2019 lebt Luana offen als Frau, Hormone oder Operationen lehnt sie jedoch ab. (Bild: zvg)

Luana ist trans. In ihrer Heimat Tirana heisst das, täglich zur Zielscheibe zu werden. Doch daran, ihr Land zu verlassen, denkt sie nicht. Die junge Frau will Albanien verändern – durch ihre Kunst.

Text: Astrid Benölken

    Es war ein heisser Tag in Tirana, knapp 35 Grad zeigte das Thermometer auch noch am frühen Abend. Luana war gerade auf dem Weg nach Hause, als zehn junge Männer sie stoppten. Sie war bereits kurz vor ihrer Wohnung, «wenn es nur einer oder zwei gewesen wären, hätte ich es geschafft», sagt sie. Doch es waren nicht nur einer oder zwei – Luana schaffte es nicht. Die Jugendlichen stiessen die 21-Jährige, rissen ihr die Extension raus, stahlen ihr Geld. Doch das war kein spontaner Überfall. Die jungen Männer hatten ihr aufgelauert, wussten genau, dass sie hier entlanglaufen würde.

    Der Angriff fand direkt vor der chinesischen Botschaft statt, auch andere Länder haben sich in der Strasse mit ihren konsularischen Vertretungen niedergelassen, das Viertel ist eines der besseren in der albanischen Hauptstadt. Doch selbst hier ist Luana nicht sicher. Sie ist überall ein Ziel. «Warum ich? Ich bin eine gute Person, ich mache nichts Schlechtes», fragt Luana. Doch sie kennt die Antwort auf die Frage bereits. Luana ist trans.

    Es ist nicht das erste Mal, dass Luana verprügelt wurde. Beim letzten Überfall brachen die Angreifer ihren Kiefer, seitdem hat sie Probleme beim Kauen und immer wieder Infektionen im Mund. «Aber ich mag die harten Situationen. Ich mag das Leben, wenn es schwierig ist», sagt Luana nur einen Tag nach dem Überfall mit einem selbstbewussten Lächeln. Luana bedeutet Löwin, und wer die 21-Jährige kennen lernt, versteht, warum sie sich diesen kämpferischen Namen gegeben hat. Jammern kommt für Luana nie infrage: «Klar ist das Leben hart, aber es ist für alle hart. Nicht nur für mich.» Fast schon stolz zeigt sie die Schürfwunden an Händen und Armen – als seien sie Trophäen. Trophäen ihres Kampfes für Gleichberechtigung und Anerkennung.

    Luana führt in einem Monat eine Komödie im Theater auf, dabei sind auch andere Mitglieder der LGBTIQ-Community. Für die Proben kommen sie zu ihr nach Hause. Einige reisen aus anderen Städten an und übernachten bei ihr. «Vielleicht haben die Angreifer uns beobachtet und denken, wir machten seltsame Sachen, Orgien oder sowas», sagt Luana. «Manchmal schminke ich mich nicht und laufe wie ein Mann herum, vielleicht haben sie mich da gesehen und wissen, dass ich transgender bin, vielleicht war auch das der Grund», ergänzt sie nach kurzer Überlegung.

    In einer repräsentativen Umfrage gaben 94 % der Albaner*innen an, dass sie ihr Kind nicht unterstützen würden, wenn es sich als Mitglied der LGBTIQ-Community outen würde. Mehr als die Hälfte der Befragten sagte, dass queere Personen nicht das Leben führen dürfen sollten, das sie wollen. 70 % der Lehrer*innen würden queere Schüler*innen nicht unterstützen. Man könnte noch einige Statistiken mehr aufzählen, sie alle zeichnen ein erschütterndes Bild des Umgangs mit der LGBTIQ-Gemeinschaft im Land. Immerhin: Albanien verbietet seit 2020 Zwangs-OPs an inter Kindern (MANNSCHAFT berichtete).

    «Die Leute wissen jetzt, dass sie eine LGBTIQ-Person nicht diskriminieren dürfen.»

    Immer mehr Akzeptanz für LGB, Hass für T Und doch verändert sich etwas in Albanien, ist sich Altin Hazizaj sicher. Er ist Vorsitzender der Pink Embassy – eines der wenigen sicheren Häfen der LGBTIQ-Community in Tirana. Der Anwalt setzt sich seit Jahren für die Rechte der queeren Gemeinschaft ein. 2006 gründete er die Pink Embassy, um für den Schutz und die Anerkennung der Rechte von Queers in Albanien zu kämpfen. Damals war Hazizaj Leiter einer NGO, die sich für den Schutz von Kindern einsetzt. Nachdem er auch Leiter der Pink Embassy wurde, sprangen viele Spender*innen seiner NGO ab. Sie warfen ihm vor, Pädophile zu unterstützen.

    «Heirat ist vielleicht nicht das dringendste Bedürfnis, aber es ist ein Grundrecht.»

    Den Albaner*innen zu erklären, dass Homosexualität nichts mit Pädophilie zu tun hat, wurde eine der wichtigsten Aufgaben der Pink Embassy. Die Organisation leistet Aufklärungsarbeit in Schulen, veranstaltet Podiumsdiskussionen, lobbyiert bei der Politik und in den Medien. Doch gerade in den Anfangsjahren fiel das schwer. In Albanien war Mitte der Nullerjahre so gut wie niemand geoutet und erst recht niemand mochte auf offener Bühne darüber sprechen. «Also haben wir zwei Niederländer*innen eingeladen», erinnert sich Hazizaj. Sie erklärten damals auf einem Podium, wie normal es für sie ist, als queere Menschen zu leben. 2010 konnte Hazizajs Organsation ihren ersten grossen Erfolg feiern. Die albanische Regierung verabschiedete ein Antidiskriminierungsgesetz, das jegliche Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechteridentität in allen Bereichen verbietet. «Dieses Gesetz bedeutet mir viel», sagt Hazizaj, der damals an dem Gesetzestext mitschrieb. «Innerhalb der letzten Jahre hat das Gesetz Albanien schon so stark verändert. Die Leute wissen jetzt, dass sie eine LGBTIQ-Person nicht diskriminieren dürfen, weil es ein Gesetz gibt, das diese schützt.»

    Altin Hazizaj ist Vorsitzender der Pink Embassy in Tirana. (Bild: zvg)
    Altin Hazizaj ist Vorsitzender der Pink Embassy in Tirana. (Bild: zvg)

    Doch bis zur vollständigen rechtlichen Gleichberechtigung bleibt es ein langer Weg. «Heirat ist vielleicht nicht das dringendste Bedürfnis, aber es ist ein Grundrecht», sagt Hazizaj. «Wir haben ausserdem immer noch viele Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Arbeit zu bekommen, Zugang zu Services, Bildung, Gesundheit.»

    Doch insbesondere in der Hauptstadt sei die Akzeptanz von Lesben, Schwulen und Bisexuellen in den letzten Jahren immer grösser geworden. «Viele Leute sagen: ‹Solange es meine Familie nicht betrifft, geht es mich nichts an›», sagt Hazizaj. Das klingt zwar nicht besonders fortschrittlich, doch es ist ein Anfang: «Wenn sich mehr Leute von der Gesellschaft akzeptiert fühlen, dann trauen sich auch mehr, sich zu outen. Und sobald mehr Leute geoutet sind, merken die Menschen: Ach, die hatten ja Recht. Es gibt homosexuelle Menschen in Albanien.»

    Doch bis all die kleinen Fortschritte die massiven Probleme verblassen lassen, wird es noch einige Zeit dauern – insbesondere für transgender Personen im Land. Das erkennt auch Hazizaj: «Die Situation von trans Personen in Albanien ist schrecklich. Sie erleben offene Diskriminierung, von der Kindheit an. Die trans Gemeinschaft ist eine der Communitys, die kaum Chancen hat.» Immer wieder wird transgender Personen der Zugang zur medizinischen Versorgung verwehrt, weil sich beispielsweise Ärzt*innen weigern, sie zu behandeln. In den Schulen werden sie so stark diskriminiert, dass kaum jemand einen Abschluss macht. Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die Diskriminierung immer spürbar. Das Ergebnis davon sieht man auf den Strassen: «Mit wenigen Ausnahmen arbeiten alle transgender Menschen in Albanien als Prostituierte», fasst Hazizaj die Situation zusammen.

    «Ich habe nichts gefühlt» Luana ist eine dieser Ausnahmen. Sie hat einen Schulabschluss, lange Zeit arbeitete sie als Verkäuferin, jetzt tritt sie als Künstlerin im Theater auf. Luana wusste seit ihrer Kindheit, dass sie kein Junge ist. Doch ihre Familie akzeptierte das nicht, Luana verstellte sich, versuchte als Junge zu leben und der Familie zu helfen. «Mit sieben habe ich am Strand Sonnencreme, Eiscreme, Getränke, Zeitungen verkauft, mit 13 habe ich im Hotel das Frühstücksbuffet vorbereitet, mit 16 war ich Managerin einer Reinigungskolonne von 20 Putzfrauen», erzählt sie, wenn sie an ihre Kindheit zurückdenkt. Doch Luana hatte Schwierigkeiten mit ihrer Familie, das Verstellen kostete viel Kraft.

    Also suchte sie Hilfe bei der Kirche und wurde Mormonin. In der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage engagierte sie sich in der Sonntagsschule, war sogar Priesterin. Fünf Jahre war sie Teil der Kirchengemeinschaft. Die anderen Gläubigen wussten, dass sie schwul, aber nicht, dass sie trans ist. «Sie dachten, dass sie mich ändern können – aber mich kann niemand ändern», sagt Luana mit einem lauten Lachen, einem Lachen, das sie sich trotz allen Angriffen, trotz allen Problemen bewahrt hat und das von einem schier unerschütterlichen Selbstvertrauen zeugt. Doch Luana braucht nur Sekunden, um wieder ernst zu werden, um nachdenklich mit einer gewissen Melancholie zu erklären: «Damals war ich nicht ich selbst, das war hart für mich. Ich habe nichts gefühlt, nicht geschmeckt. Alles, was ich getan habe, habe ich nicht gemocht.»

    Am IDAHOBiT am 17. Mai 2021 breitet die Community am Skanderbeg-Platz in Tirana eine Regenbogenfahne aus. (Bild: Tobias Zuttmann)
    Am IDAHOBiT am 17. Mai 2021 breitet die Community am Skanderbeg-Platz in Tirana eine Regenbogenfahne aus. (Bild: Tobias Zuttmann)

    2019 verlässt sie die Kirche, fängt an sich zu schminken, Kleider zu tragen, lebt immer öfter als Luana. Hormone möchte sie nicht nehmen, auch keine Operationen vornehmen. «Ich wurde nicht im falschen Körper geboren. Ich bin transgender, ich bin Mann und Frau, ich hätte gern Brüste und eine Vagina, aber ich habe sie nicht – und das ist OK. Ich bin nicht krank, ich brauche keine Hormontherapie oder Operationen.» In Albanien gibt es praktisch keine Möglichkeiten für eine Geschlechtsangleichung, viele trans Menschen kaufen Hormone auf dem Schwarzmarkt. Das ist gefährlich, denn die Medikamente sind nicht reguliert oder kontrolliert.

    «Man kauft sie wie Drogen bei einem Dealer», sagt Luana. Sie kennt viele trans Menschen in Albanien, die auf solche unregulierten Hormone angewiesen sind. Operationen oder Arztbesuche im Ausland sind teuer. Auf diese Probleme ihrer Community möchte Luana aufmerksam machen. Auch wenn das mit Schlägereien und offenen Anfeindungen einhergeht: «Ich kann Albanien nicht verlassen – die Leute brauchen mich, die trans Gemeinschaft braucht mich. Albanien braucht jemanden wie mich, damit die Albaner*innen ein gutes Beispiel haben für uns trans* Personen.» Dafür ist sie bereit, alles zu opfern: «Wenn ich sterbe für die Transgenderrechte, dann ist das so», sagt Luana mit absoluter Ernsthaftigkeit.

    Kunst als Waffe gegen den Hass In diesem Jahr hat Luana ihre eigene Organisation gegründet, bald möchte sie diese auch offiziell als Verein registrieren. «Ich möchte ein Zentrum kreieren für queere Menschen, in dem sie sicher sind. Eine Art Dorf, in dem wir alles selber bauen, wo es viele Theater gibt, viele Bücher, viel Kultur.»

    Ausser in Theaterstücken drückt sich Luana auch gerne als Model vor der Kamera aus. (Bild: zvg)
    Ausser in Theaterstücken drückt sich Luana auch gerne als Model vor der Kamera aus. (Bild: zvg)

    Auch die Pink Embassy hat in diesem Jahr einen Fokus auf die trans Gemeinschaft gelegt. Im Zuge der Pride Week veranstalteten die Organisation eine Foto­ausstellung über die albanische trans Community. «Unser Ziel war es, Trans-* Personen aus diesen teils sexualisierten Vorurteilen zu befreien und sie so darzustellen, wie sie in einer ganz normalen Situation sind», sagt Hazizaj. «Wir wollten den Albaner*innen zeigen: Wenn ihr ihnen eine Chance gibt, dann sind sie bezaubernd, wunderschön, provokativ – sie sind wie jede*r von uns. Dann machen sie die Welt besser und schöner, als sie jetzt ist.»

    Hazizaj plant nun, die Ausstellung an verschiedenen Orten in Europa zu zeigen und so auch auf internationaler Ebene eine andere Perspektive in die Debatte über trans Personen einzubringen. «Die meisten von uns denken bei trans Personen an Prostitution, an diese sexuelle Komponente, die etwas Anrüchiges hat. Dabei ist es doch so: Wenn man ihnen die Möglichkeit zu einer normalen Arbeit gibt, dann können sie ein ganz normales Leben führen.»

    Auch Luana war Teil des Projektes und liess sich fotografieren. Denn für sie ist Kunst die beste Waffe im Kampf für Gleichberechtigung. «Wenn du Kunst machst, beginnen andere Menschen eher, dich zu akzeptieren, denn alle mögen Kunst.»

    Mit ihrem nächsten Theaterstück wird Luana wieder versuchen, ein paar Menschen mehr zu überzeugen. Dabei schreckt sie vor wenig zurück – diesmal geht es um die Bibel. «In der Bibel heisst es, Eva wurde aus Adams Rippe geboren. In der Komödie bin ich Eva und ich bin transgender. Denn ich bin schliesslich eine Frau, die aus einem Männerkörper kommt.»

    So provokant ihr Theaterstück ist, so gross sind Luanas Ziele. Als nächstes möchte sie an der Universität Kunst studieren – und danach in die Politik gehen. «Die Regierung tut nichts für uns», sagt Luana, also will sie die Sache selbst in die Hand nehmen. «Ich will Präsidentin von Albanien werden. Als Kind habe ich davon geträumt und jetzt habe ich mir das in den Kopf gesetzt. Und was ich will, das tue ich. Jetzt kann mich nichts mehr stoppen.»

    US-Schauspielerin Jamie Lee Curtis hat zusammen mit ihrer trans Tochter Ruby ein Interview gegeben, indem die beiden über das tränenreiche Coming-out gesprochen haben (MANNSCHAFT berichtete).

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