Selbstbestimmung für trans Jugendliche bleibt oft ein Traum
Deutsches Institut für Menschenrechte fordert mehr Schutz, Respekt und gesellschaftliche Anerkennung
Zu Beginn der Awareness Week im Vorfeld des Trans Day of Remembrance, der seit 1999 jährlich am 20. November begangen wird, weist das Deutsche Institut für Menschenrechte auf die anhaltend hohe psychische Belastung junger trans Menschen in Deutschland hin.
Trotz des seit etwas mehr als einem Jahr geltenden Selbstbestimmungsgesetzes erleben viele von ihnen weiterhin Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung – mit schwerwiegenden Folgen, insbesondere für Jugendliche.
«Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht für alle», betont Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. «Doch viele trans Menschen erfahren in ihrem Alltag das Gegenteil: fehlende gesellschaftliche Anerkennung, Anfeindungen, Isolation. Diese anhaltende Diskriminierungserfahrung wird dann oft auch gegen die eigene Person gerichtet – in Form von Selbstzweifeln bis hin zu Suizidgedanken.»
Zahlen der Europäischen Grundrechteagentur (FRA) verdeutlichen das Ausmass: Mehr als die Hälfte der befragten trans Jugendlichen in Deutschland hatte im vorangehenden Jahr Suizidgedanken. Besonders betroffen sind trans Männer im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, von denen mehr als 80 Prozent angaben, solche Gedanken gehabt zu haben. Mindestens jede vierte jugendliche trans Person hat bereits versucht, sich das Leben zu nehmen.
Gerade Schulen bieten den Jugendlichen oft keinen sicheren Raum: Rund zwei von drei trans Jugendlichen berichten über Bedrohungen, Spott und Beleidigungen, vielfach auch durch Lehrkräfte. Auch Arztpraxen und Spitäler bleiben problematische Orte: Jede fünfte trans Frau hat laut Befragung bereits erlebt, dass ihr medizinische Behandlung verweigert wurde. Viele Betroffene vermeiden daher aus Angst vor Diskriminierung den Zugang zu medizinischer Versorgung (MANNSCHAFT berichtete).
Das Selbstbestimmungsgesetz, das 2022 in Kraft trat, sei zwar ein überfälliger Schritt und ein starkes menschenrechtliches Signal, betont Rudolf. «Aber solange gesellschaftliche Anerkennung fehlt und rechtsextreme Akteure gezielt Hass gegen trans Personen schüren, bleibt Selbstbestimmung für viele Betroffene nur ein Wort auf dem Papier.»
Mit Blick auf die bevorstehende Evaluierung des Gesetzes empfiehlt das Institut, die tatsächlichen Lebensrealitäten von trans Menschen konsequent einzubeziehen. Es gehe nicht nur um Anträge und Verfahren in Behörden und Gerichten, sondern auch um die Frage, ob Betroffene in Schule, Ausbildung, Beruf und Gesundheitsversorgung – sowie in der Öffentlichkeit insgesamt – wirklich selbstbestimmt und sicher leben können.
«Der Trans Day of Remembrance am 20. November mahnt uns, hinzuschauen – und die Stimmen junger trans Menschen ernst zu nehmen», sagt Rudolf. «Rechtliche Fortschritte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass gesellschaftliche Anerkennung noch immer vielerorts fehlt. Die Anerkennung von trans Menschen ist kein Sonderanliegen, sondern entspringt dem Kern der Menschenrechte.»
Sonderregister für trans Personen? Bundesregierung «kassiert Pleite» (MANNSCHAFT berichtete).