«Bildungsarbeit geht auch im Nachtleben»
Die trans Perspektive
Eine durchzechte Nacht in einem Berliner Club endet für unsere Autorin mit einer unerwarteten Begegnung, die eine Flut von neugierigen Fragen über ihre trans Identität auslöst.
Ich bin immer noch erstaunt, wie ruhig ich geblieben bin. Als ob es nur eine andere Art Small Talk gewesen wäre. Und dennoch könnte ich beim Schreiben gerade laut schreien.
Ein kurzer Ausflug in das Berliner Nachtleben mit meinen Freund*innen sollte es werden. Frivol, entspannt, sexy und mit geilem Sound. Mehr wollten wir nicht. «Lasst uns ‹Heten› gucken gehen und etwas Queerness in das Partyleben bringen», sagte ein Freund. Ein einfacher Plan, brillant und schnell umgesetzt. Knapp angezogen, ein bisschen gestylt, mit queerer Attitüde auf den Weg gemacht. An der viel zu langen Schlange selbstbewusst vorbeispaziert, die An- und Umstehenden gemustert und an der Tür um direkten Einlass gebeten. Es war schliesslich kalt, und wir Queers frieren nicht wirklich gerne. Ein kurzes Mustern, ein verständiges Lächeln und die Pforten zur Nachtfeier schwingen auf.
Während meine Freund*innen unsere warmen Winterklamotten bei der Garderobe deponierten, entspannte ich mich im Vorraum des Clubs und schaute mir das herrliche Treiben an. Menschen verschiedenen Alters, mit mehr oder weniger Erfahrung in derartigen sexpositiven Räumen, lächelnd und etwas Abstand haltend. Einige vielleicht etwas zurückhaltend, aber mit offensichtlicher Vorfreude.
Und zugleich merkte ich: Wir Queers waren an diesem Abend deutlich in der Unterzahl, und ich fragte mich, ob wir hier entspannt feiern können. Egal, es ist Berlin. Der Gedanke war noch nicht ganz aus meinem Kopf, da standen sie schon vor mir. Jung, unschuldig und unerfahren, war mein erster Eindruck. Ich sollte mich nicht täuschen.
«Bist du aus Berlin?» war der unschuldige Einstieg in eine Unterhaltung, die mich immer noch nachhaltig beeindruckt. «Du bist doch trans, oder?» Bevor ich überhaupt antworten konnte, fügte sie hinzu: «Ich arbeite nämlich in der Psychiatrie.» Ein «Uff» entwich mir, aber nur in meinen Gedanken.
Ihr Freund, so nahm ich aus den Augenwinkeln, lächelte leicht betreten, blieb aber interessiert stehen und wartete wohl auf meine Antwort. «Ja, ich bin aus Berlin». Und aus irgendeinem Grund beschloss ich weiterzusprechen. «Ich bin Ana. Schön euch kennen zu lernen.» «Bist Du eine Frau?», fragte ich zurück. Sie schaute mich etwas zu lange an und erwiderte: «Natürlich.» Ah, eine Bio-Cis-Frau. Offensichtlich aus dem süddeutschen Raum, so meine Einschätzung des Dialektes. Weiterbildung ist angesagt.
Hast du denn Spass beim Sex? Also, fühlst du so richtig?
Auf einmal sprang er an, mein innerer Bildungsantrieb, und mit höflicher Miene versuchte ich sie aufzuklären. Bildungsarbeit kann sich auch in einem Club vollziehen. Jeder Ort ist dafür geeignet. Also los. Ein kurzer Hinweis auf meine Geschlechtsidentität sollte ja ausreichen und meinen Gegenübern bei der Einordnung helfen.
«Bist du allein hier?». «Nein.» «Ist deine Partnerin auch trans?» «Ach, deine Partnerin ist eine richtige Frau?» «Ah, sorry . . . cis, oder?» «Das ist ja mega spannend. Das kennen wir aus Heidelberg gar nicht. Und willst du den ganzen Weg gehen? Oder bist du schon operiert? Hast du denn Spass beim Sex? Also, fühlst du so richtig? Und bist du jetzt lesbisch oder wie ist das genau?»
Ich konnte sie gar nicht bremsen. Offensichtlich hatten sich diese Fragen aufgestaut und endlich hatte sie eine Möglichkeit, all das zu fragen. Der Ort schien ihr vielleicht dafür geeignet. Ich weiss es nicht. Mir rauchte nach der Barrage an Fragen der Kopf. Und dennoch blieb ich konziliant. Geduldig klärte ich sie und ihren Freund auf und liess sie mit einem wichtigen Hinweis gehen: «Stellt diese Art von Fragen bitte nicht. Wir sind hier zum Feiern und Spass haben.»
Ich sollte mich öfters an meine eigenen Ratschläge halten. Wir sind nicht dafür da, die Welt stets und in jedem Setting aufzuklären. Wir sind nicht die Befriedigung jedweder Neugier. Ihr könnt uns erleben und in der respektvollen Begegnung auf Augenhöhe und wertschätzend von uns erfahren. Lasst uns unseren Raum und unsere Würde und degradiert uns nicht zu Zootieren.
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
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