Thea Ehre: «Nach der Berlinale öffneten sich mir Türen»
Einer ihrer nächsten Filme soll «Valeska» werden, von Jakob M. Erwa
Bis vor ein paar Monaten war Thea Ehre ein eher unbeschriebenes Blatt. Nun gibt es an ihr kein Vorbeikommen mehr. Mit ihrer ersten grossen Kinorolle im Thriller «Bis ans Ende der Nacht» holte sie an der Berlinale prompt den Silbernen Bären (MANNSCHAFT berichtete). Und sie hat noch viel vor.
Thea, Christoph Hochhäuslers «Bis ans Ende der Nacht» ist dein erster Kinofilm und du spielst direkt eine der Hauptrollen. Wie kamen du und dieses Projekt zusammen? Über meine Schauspielagentur und einen Casting-Aufruf. Ich habe ein Video aufgenommen und eingeschickt, danach noch eines, und irgendwann wurde ich zum Vorsprechen nach Berlin eingeladen. Es war nicht so, wie man es aus Hollywoodfilmen kennt, wo schon fünf Leute vor einem warten und man irgendwann kurz hereingerufen wird. Ich sass vielmehr eine Stunde mit der Casterin und Christoph zusammen, wir haben Kaffee getrunken und ausführlich über das Projekt gesprochen. Dieser Austausch war cool, und die Nervosität, die man normalerweise bei einem Casting hat, war weg.
Hatte Hochhäusler für die Rolle der Leni explizit nach einer trans Schauspielerin gesucht? Das ist im deutschsprachigen Raum nicht selbstverständlich. Das fand ich auch toll. Ich weiss nicht, wer noch zum Casting eingeladen war. Aber er war sensibel für dieses Thema. Er wollte, dass ich meinen Senf dazugebe. Und zwar nicht nach dem Motto: Du bist hier die trans Person, also sprich doch bitte mal pauschal für die Community. Sondern es ging ihm konkret darum, was mir persönlich wichtig war. Ich habe mich immer wohl gefühlt mit ihm, dem Drehbuchautor Florian Plumeyer und der Transberaterin Julia Monro.
War Julia Monro vor allem an der Skript-Arbeit beteiligt oder auch am eigentlichen Dreh? Sie hat im Vorfeld mit Christoph und Florian zusammengearbeitet. Aber sie spielt auch in einer Szene des Films mit, deswegen hatte ich einen Drehtag mit ihr. Und ich wusste, dass ich mich jederzeit bei ihr hätte melden können, falls etwas gewesen wäre. Das war ein gutes Gefühl. Nötig war es allerdings nicht, denn alle im Team waren offen und aufgeklärt, was die Trans-Thematik anging.
Leni – eine Polizei-Informantin, die gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde – dürfte auf den ersten Blick nicht viel mit dir selbst zu tun haben. Wie hast du dich der Figur angenähert? Es war das erste Mal, dass ich mir eine so grosse Rolle in diesem professionellen Rahmen erarbeiten musste, deswegen war ich zuerst überfordert, als ich das Drehbuch las. Ich habe gesehen, was an diesem Stoff, den Emotionen, den inneren Konflikten spannend sein könnte. Aber ich musste mir das auch zu eigen machen. Also habe ich mit einem Schauspielcoach zusammengearbeitet und bin die Sache letztlich eher unklassisch angegangen. Das Was, Wo und Wie waren mir egal, stattdessen ging es mir in den einzelnen Situationen mehr darum, was die Figur will und wie sie zu den anderen steht.
Aber du hast auch ein wenig recherchiert, was es als trans Frau bedeutet, in einem Männergefängnis einzusitzen, nicht wahr? Ja, ich wollte nachvollziehen können, wie es sich anfühlt, im Gefängnis zu sitzen. Womöglich sogar wie Leni zu Unrecht? Und dann noch als trans Frau in einem Männergefängnis? Das musste ich authentisch spielen können, selbst wenn es nur latent im Hintergrund eine Rolle spielt. Ich recherchierte und suchte auf Instagram nach Personen, zu denen ich Kontakt aufnehmen könnte. So stiess ich auf eine Frau, mit der ich viele Stunden telefonierte, in denen sie mir von ihren 30 Jahren in einem Männergefängnis erzählte.
Auf der Berlinale wurdest du für «Bis ans Ende der Nacht» prompt mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Wie überwältigend war dieser Moment für dich? Ich fühlte alles und nichts. Das war enorm. In keiner Weise hatte ich mit diesem Preis gerechnet. Ich war sehr berührt, weil mir die Schauspielerei viel bedeutet. Ich wollte diesen Beruf immer ausüben, aber das hat lange nicht funktioniert. Deswegen konnte ich die Dankbarkeit kaum in Worte fassen, die ich in jeder Zelle meines ganzen Körpers für diese Anerkennung spürte.
Verändert sich durch diesen Preis von heute auf morgen die berufliche Situation? Was sich auf jeden Fall verändert hat, ist, dass ich plötzlich viele Interviews gebe, was für mich neu ist. Und es öffnen sich auch Türen. Vieles ist noch nicht spruchreif, aber es gibt einiges, auf das ich mich freue. Das Schönste an der Berlinale-Erfahrung war, dass ich viele spannende Schauspieler*innen und Regisseur*innen treffen durfte. Ich war begeistert, wie nett und lieb alle waren. Selbst Kristen Stewart war kein bisschen abgehoben, sondern einfach cool.
Thea Ehre
kam 1999 im österreichischen Wels zur Welt. Nachdem sie an der Schauspielschule nicht angenommen worden war, studierte sie zunächst Theater- und Medienwissenschaften, parallel übernahm sie eine kleine Rolle in der Serie «Vorstadtweiber» und hatte jüngst einen Auftritt in der Prime-Video-Produktion «Luden». 2021 gehörte sie – noch unter dem vollen Nachnamen Ehrensperger – zu den Unterzeichner*innen des #actout-Manifests. Für ihre erste grosse Kinorolle in Christoph Hochhäuslers Thriller «Bis ans Ende der Nacht» wurde sie bei der diesjährigen Berlinale ausgezeichnet für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle. Sie ziert ausserdem das Cover der aktuellen Sommer-Ausgabe des MANNSCHAFT Magazins (jetzt bestellen).
Was spruchreif zu sein scheint, ist «Valeska», der lange geplante neue Film von Jakob M. Erwa, in dem du die Titelrolle spielen sollst. Das stand schon im Internet, also ist es kein Geheimnis mehr. Dass ich die Rolle spielen werde, ist klar. Nur eben nicht, wann wir drehen. Aber das ist eine spannende Story, die ich auch schon lange verfolge. Ich habe Valeska Reóns Buch gelesen und sie kennenlernen dürfen.
Bei der Berlinale hast du deinen Preis der Trans-Community gewidmet, seither wirst du als Aktivistin bezeichnet. Siehst du dich so? Oder ist diese Rolle eine, in die man automatisch gedrängt wird, sobald man öffentlich sichtbar zu einer sogenannten Minderheit gehört? Das ist eine gute Frage, über die ich auch nachgedacht habe. Tatsächlich wird man sofort als Aktivistin gesehen, wenn man an die Öffentlichkeit tritt und sich in seiner Identität ernst nimmt. Das ist spannend. Aber es ist auch toll ein Vorbild zu sein. Die Vorstellung, dass da draussen eine kleine Thea sitzt, mich sieht und sich dann denkt: Das kann ich auch, berührt mich extrem. So ein Vorbild bin ich gerne. Etwas Schöneres könnte ich mir nicht vorstellen!
Ich weiss nur nicht, ob ich mich selbst als «Aktivistin» bezeichnen würde. Das ist ein grosses Wort, unter dem ich mir jemanden vorstelle, dessen Hauptfokus wirklich auf dem Aktivismus liegt. Aber ich bin ja hauptberuflich Schauspielerin.
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