«Wir brauchen neue Bilder zu HIV»
Claudia Langenegger: «HIV hat mein Leben bereichert»
Als Claudia Langenegger von ihrer HIV-Infektion erfuhr, hat sie den Boden unter den Füssen verloren. Die Diagnose war ihr Geheimnis, von dem niemand erfahren durfte. Doch jetzt will sie sich nicht länger verstecken. «Mit HIV hat mein Leben eine gute Wende genommen», sagt sie.
Claudia Langenegger wusste Bescheid über HIV. Sie wusste, dass die Diagnose schon längst kein Todesurteil mehr ist, dass man ein langes und gesundes Leben führen kann. Dass es effektive Behandlungsoptionen gibt. Dass man unter erfolgreicher Therapie nicht ansteckend ist. All das wusste sie. Eigentlich. Und doch fiel Claudia an dem Tag, an dem sie ihre Diagnose erhielt, in ein tiefes, dunkles Loch.
Gefangen in der Selbststigmatisierung
«Du willst es einfach nicht wahrhaben, willst nicht dazugehören», erinnert sie sich. Nach ihrer Diagnose machte sie sich Vorwürfe. Immer wieder fragte sie sich: «Wie blöd war ich eigentlich? Warum habe ich mich nicht geschützt?» Sie war überzeugt, es niemandem erzählen zu können. Als sie nicht mehr weiterwusste, griff sie zum Telefon und rief bei den Psychiatrischen Diensten an. «Eine Frau nahm den Anruf entgegen. Ich konnte ihr meine ganze Verzweiflung mitteilen – heulend», erinnert sie sich. Die Frau hörte ihr zu, beruhigte sie. Und sagte: «Machen Sie sich keine Vorwürfe. HIV kann man gut behandeln. Es ist einfach dumm gelaufen.»
Dieser Satz rettete Claudia: Es ist einfach dumm gelaufen. Die Trauer und der Schmerz waren immer noch da, aber diese Worte holten sie aus ihren schlimmsten Selbstvorwürfen. Dennoch führte sie über Monate ein Doppelleben: da war ihr geheimes Leben mit den täglichen, endlosen Gedanken zu HIV, und das gegen aussen, in dem sie vorspielte, alles sei gut.
Von den Ärzt*innen und dem Pflegepersonal am Inselspital in Bern fühlte sie sich optimal betreut, bei Fragen und in panischen Momenten rief sie einfach an. Sie meldete sich bei der Peer-to-Peer-Beratung bei der Aids Hilfe Bern an. Sie brauchte unbedingt Austausch, aber: «Ich konnte mir erst nicht vorstellen, einer Person von Angesicht zu Angesicht von meiner HIV-Diagnose zu erzählen», sagt sie. Da war noch immer die Scham, zu «ihrem HIV» zu stehen.
«Ich konnte mir erst nicht vorstellen, einer Person von Angesicht zu Angesicht von meiner HIV-Diagnose zu erzählen»
Claudia Langenegger
Doch weshalb ist das so? «Ich habe etwas Ungehöriges getan: Ich hatte Sex. Ungeschützt.» Anders als bei Krankheiten wie etwa Krebs oder Multipler Sklerose ist HIV stark mit Moral und Scham behaftet. «Das sitzt unglaublich tief in uns drin», sagt Claudia. Und so hütete sie ihr Geheimnis über ein halbes Jahr vor ihrem privaten Umfeld – bis sie am Arbeitsplatz einen Zusammenbruch hatte. Sie erinnert sich, wie sie weinend am Schreibtisch sass, während ihre Kolleg*innen einen Stock tiefer in der Mittagspause waren. Und da wusste sie, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.
Durchwegs positive Reaktionen
Das Geheimnis musste raus. Sofort. «Plötzlich hatte ich eine Rakete im Füdli», sagt Claudia lachend. Sie sagte es am nächsten Tag ihrer besten Freundin, ihrer Mutter, ihrer Schwester und der jüngeren Nichte, bald auch der älteren Nichte und ihrem Vater mit Familie. «Es war unglaublich schön. Ich habe sie alle zuerst medizinisch aufgeklärt, damit sie keine Angst um mich haben. Nachdem ich es gesagt habe, haben wir uns umarmt», erinnert sie sich. Auch ihrem Team und ihre Vorgesetzten reagierten verständnisvoll. «Ich hatte das Gefühl, dass ich lügen würde, wenn ich es geheim behalte. Ich wollte offen darüber sprechen.» Es war volles Vertrauen da – sie wusste, sie würden die Diagnose nicht weitererzählen.
Claudia öffnete sich in den nächsten Monaten allmählich gegenüber ihrem Umfeld. Negative Reaktionen oder Ausgrenzung erlebte sie nicht. Im Gegenteil. Sie spürte viel Mitgefühl und Menschlichkeit. Die Behandlung von HIV und der Ansatz von Undetectable = Untransmittable (U=U) lässt sich auch ohne komplizierte medizinische Fachbegriffe erklären. Ihrer 14-jährigen Nichte sagte sie: «Ich habe mich mit einem Virus infiziert und nehme jeden Tag eine Tablette, die dafür sorgt, dass das Virus nicht mehr in meinem Blut ist und ich niemanden anstecke.»
U=U
U=U steht für Undetectable = Untransmittable und bedeutet, dass Menschen, die mit HIV leben, die eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie erhalten und eine nicht nachweisbare Viruslast haben, das Virus sexuell nicht mehr übertragen können [1]. Der Gesundheitszustand und die Viruslast sollte regelmässig mit der medizinischen Fachperson überprüft werden, um sicherzustellen, dass die Therapie weiterhin effektiv ist.
[1] UNAIDS (2018). Undetectable = untransmittable – Public health and HIV viral load suppression
Einen Grund für ihr langes Hadern mit Selbstvorwürfen und für die Selbststigmatisierung sieht sie in den Bildern der Achtziger- und Neunzigerjahre: Ausgemergelte Körper, Angst und Tod. Der Virus stand für Unmoralisches, Stopp Aids lautete die Devise, Polo Hofer sang «Im Minimum en Gummi drum». «Diese Botschaften, die Tödlichkeit der Infektion, die emotionalen Bilder und die ganze Panik haben uns alle tief geprägt – bis heute. HIV geht uns alle etwas an», sagt Claudia.
HIV braucht ein neues Gesicht
«Jetzt brauchen wir neue Bilder von HIV», sagt Claudia. Bilder, die die heutige Lebensrealität mit HIV und den Fortschritt der Wissenschaft zeigen. Für ihr überwiegend heterosexuelles Umfeld war das Konzept U=U weitgehend unbekannt, für manche war Claudia sogar der erste Berührungspunkt mit HIV seit vielen Jahren. Das will sie ändern: «Es ist wichtig, dass wir über HIV reden.» Als Journalistin schreibt sie über das Thema, sie ist daran, Projekte zum Thema HIV auszuhecken und hat ihre eigene Botschaft kreiert, mit der sie Aufkleber, Stofftaschen und T-Shirts bedruckt hat: «You’re not alone.» Du bist nicht alleine. Auch zum Slogan U=U hat sie Aufkleber gestaltet.
Im Sommer 2024 reiste sie zur Aids-Konferenz nach München, lernte andere Menschen, die mit HIV leben, kennen und tauschte sich mit ihnen aus. Sie ist Mitglied des Positive Life Advisory Boards, das die Aids-Hilfe Schweiz zum Thema Leben mit HIV berät und ist im Positivrat aktiv, der Patientenvereinigung von HIV und Hepatitis. «Meine Erfahrung kann anderen etwas bringen, das ist unglaublich bereichernd und sinnstiftend», sagt sie. Sie denkt zurück an den entscheidenden Impuls bei ihrem Zusammenbruch: «Ich wusste plötzlich: Ich will mich zeigen. Das hat mir unglaublich Kraft gegeben. Es hat viel mit Selbstakzeptanz und Selbstliebe zu tun.»
Positive Life
Menschen mit HIV haben ein bewegendes und bewegtes Leben. Auf der Plattform Positive Life werden Erfahrungen und Erlebnisse lesbar, hörbar und sichtbar. Die Aids-Hilfe Schweiz initiierte das Projekt gemeinsam mit Menschen mit HIV. Wir stellen Fragen und suchen Antworten. Wir schaffen Dialogräume, damit Menschen mit HIV sich miteinander und mit Fachpersonen austauschen können – damit das Leben mit HIV an Qualität gewinnt. Zusätzlich zur Onlineplattform erscheint das Positive Life Magazine viermal jährlich. Hier besprechen wir rechtliche, medizinische und gesellschaftliche Themen. Ebenso teilen Menschen mit HIV im Magazin ihre Erfahrungen.
Gilead ist stolz, gemeinsam mit anderen Partnerorganisationen dieses wichtige Angebot für Menschen, die mit HIV leben, unterstützen zu dürfen.
Die HIV-Diagnose als Wendepunkt
Der Prozess des Akzeptierens war sehr schmerzhaft, doch mittlerweile bedeutet die Diagnose ein positiver Wendepunkt im Leben – so unglaublich dies auch tönen mag. «HIV hat mich zu mir selbst geführt: Ich wurde mit meinen Abgründen konfrontiert, ich kann mich nicht mehr vor mir verstecken. Dafür bin ich unendlich dankbar.»
«Ich habe ein Doppelleben geführt, weil ich niemand davon erzählen konnte. Das ist eigentlich absurd.»
Claudia Langenegger
Claudia hofft, dass sich das Bild von HIV in der Gesellschaft weiter verändert. «Man soll über HIV sprechen können, wie über jede andere Krankheit oder Infektion auch», sagt sie. «Ich habe ein Doppelleben geführt, weil ich niemand davon erzählen konnte. Das ist eigentlich absurd.» HIV ist heute eine chronische Krankheit, die sich sehr gut behandeln lässt. Sie wünscht sich, dass sich in Zukunft mehr Menschen getrauen, zu «ihrem HIV» zu stehen.
Über Gilead Sciences
Möchtest Du mehr zum Thema «U=U» erfahren? Besuche www.likeyou.ch für mehr Informationen – eine Initiative von Gilead für ein positives Leben mit HIV.
Gilead Sciences, Inc. ist ein biopharmazeutisches Unternehmen, das seit mehr als drei Jahrzehnten medizinische Durchbrüche anstrebt und erreicht, mit dem Ziel, eine gesündere Welt für alle Menschen zu schaffen. Das Unternehmen engagiert sich für die Weiterentwicklung innovativer Medikamente zur Vorbeugung und Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten wie HIV, virale Hepatitis, COVID-19 und Krebs. Gilead hat seinen Hauptsitz in Foster City, Kalifornien, und ist weltweit in mehr als 35 Ländern tätig.
11/2024 │ CH-UNB-0838
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