„Small Town Boy“ von Falk Richter wird 4
Falk Richter (*1969, Hamburg) gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Theaterregisseure und Dramatiker. Seit 1994 arbeitet er an vielen renommierten nationalen und internationalen Bühnen wie u.a. dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Schauspielhaus Zürich, Schaubühne Berlin, Hamburgische Staatsoper, Nationaltheater Oslo, Toneelgroep Amsterdam, Théâtre National de Bruxelles, Salzburger Festspiele und dem Festival d’Avignon. 2014 feierte er mit seinem Stück „Small Town Boy“ am Berliner Maxim Gorki Theater Premiere, in dem er über „schwule Identität“, „Geschlechterkonstrukte“ und „Beziehungsmodelle“ reflektiert. Seit nunmehr vier Jahren steht es dort auf dem Spielplan. Auch am 18. Januar wieder.
Falk, „Small Town Boy“ läuft erfolgreich seit vier Jahren – was bedeutet Dir dieses Stück? Für mich ist Small Town Boy ein ganz wichtiges Stück, mit dem ich mich ganz klar gesellschaftspolitisch positioniert habe für LGBTI-Rechte und die Gleichstellung von Schwulen und Lesben. Es wurde viel besprochen, unglaublich kontrovers, es wurde teilweise stark angegriffen, aber ich hatte und habe das Gefühl, dass es in der Community angekommen ist. Ich habe unglaublich viele Zuschriften bekommen über Facebook und E-Mail. Schwule und Lesben haben mir geschrieben, dass sie sich das erste Mal im Theater verstanden gefühlt haben, dass mein Text ihnen Mut gemacht und Kraft gegeben hat, sich in der Öffentlichkeit selbstbewusst zu bewegen und politisch Stellung zu beziehen.
„Small Town Boy“ lief auch am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. Gab es noch andere Bühnen, die es gespielt haben? Wir sind mit meiner Inszenierung in Frankreich getourt und hatten dort einen Riesenerfolg. Dort ist das Stück auch als Buch erschienen und verkauft sich sogar mehr als in Deutschland. Theater in Tschechien und den Niederlanden haben das Stück auf den Spielplan gesetzt. In Deutschland gab es die sehr tolle Inszenierung in Karlsruhe, die auch dort erstaunlich gut angekommen ist. Karlsruhe ist ja keine Großstadt: Das zeigt, dass Small Town Boy auch außerhalb der dunklen Metropole Berlin verstanden wird.
Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch und die Macherin der Demo für alle, Hedwig von Beverfoerde, sind 2015 wegen Deines Stücks „Fear“ an der Schaubühne vor Gericht gezogen – allerdings erfolglos. Lassen die Dich inzwischen in Ruhe? Die beiden haben zwar aufgegeben, aber ihre Fans wettern noch in ihren rechtsradikalen Paralleluniversen gegen den „Staatskünstler Falk Richter“ und die „linksgrünversyphten deutschen Lügengerichte“. Aber es steht noch ein weiteres Verfahren an: Gabriele Kuby [katholisch-fundamentalistische Aktivistin und Publizistin aus Baden-Württemberg, Anm. der Red] hat ebenfalls in erster Instanz gegen mich verloren und klagt nun weiter. Ich glaube, sie hat viel Geld und vor allem eine sehr radikale Überzeugung. Sie ist ja eine zutiefst schwulenhassende fanatische Christin, die eine Art Kreuzzug gegen uns LGTBI führt und glaubt, sie muss kämpfen bis zu unserem bitteren Ende. Aber ansonsten haben sich die Anfeindungen weitgehend beruhigt.
Rechtsradikale schickten mir abstruse psychopatische Hasstexte und Fotomontagen, auf denen mein Kopf abgehackt wurde
Ich habe in der Hochphase der Angriffe gegen mich viele Drohmails von Rechtsradikalen bekommen, die mir abstruse psychopatische Hasstexte und Fotomontagen schickten, auf denen mein Kopf abgehackt wurde. Es gibt da ja zwei Gruppen: die Rechtsradikalen mit ihren Gewaltfantasien, und die Christen, die einen bekehren wollen und mit Bibelzitaten überfluten. Die Christen haben sich auch direkt an meinen Arbeitgeber gewandt und ihn aufgefordert, mich nicht weiter zu beschäftigen und das Stück nicht mehr zu spielen. Ich habe sehr viel gelernt darüber, wie diese neuen Rechten mit Künstlern und der freien Meinungsäußerung umgehen. Kritik an ihren eigenen politischen Aussagen wollen sie sofort verbieten lassen. Den Künstler wollen sie am liebsten töten oder zumindest seine Karriere zerstören. Das sind sehr totalitäre Fantasien. Ich finde das extrem gefährlich, weil die es wirklich ernst meinen. Es wirkt oft absurd, weil wir uns das eigentlich gar nicht vorstellen können in unserer aufgeklärten Welt. Das sind Faschisten. Wenn man ihre Mails und Kommentare liest, steht da immer wieder, dass sie Kunst, die ihnen nicht genehm ist, verbieten und die Künstler ermorden wollen.
Im Moment beobachtet man das sehr gut an den totalitären und kunstfeindlichen Reaktionen, die die Aktionen des „Zentrums für politische Schönheit“ mit ihrem Mahnmal vor Björn Höckes Grundstück bei Rechtsradikalen und Rechtskonservativen hervorrufen. Die neue Rechte lebt völlig entfesselte Gewaltfantasien aus, meistens noch im Internet, aber mehr und mehr auch in der Realität. Die sogenannten Konservativen nehmen das gelassen hin, da sie meist inhaltlich eben doch mit den Radikalen übereinstimmen, ihre Haltung nur etwas gemäßigter äußern. Verantwortlich für diese entfesselten Gewaltexzesse mache ich dafür unter anderem genau die Hassprediger, die gegen mich vor Gericht gezogen sind und ihre rechtsradikalen Gesinnungsgenossen.
Das Thema schlägt sich auch in Deiner Hamburger Inszenierung von Elfriede Jelineks »Am Königsweg« nieder Ihr Text geht sogar noch einen Schritt weiter. Jelinek konstatiert, dass die Diskurshoheit in den westlichen Gesellschaften bereits abgetreten wurde an die neurechte Bewegung. Die Rechtsradikalen setzen jetzt die politische Agenda in den Medien. Die demokratische Mehrheit, die intellektuelle Linke fühlt sich provoziert oder regt sich auf, aber die Rechten preschen immer wieder vor und zwar in einer ungeheuren Aggressivität mit rassistischen und homo- wie frauenfeindlichen und antisemitischen Aktionen und Sprüchen, und die anderen können immer nur noch reagieren. Die kommen kaum mehr mit bei all den Tabubrüchen. Jelinek beschreibt das als Paradigmenwechsel, als Zeitenwechsel: Die Deutungshoheit geht jetzt wieder an den aggressiven weißen heterosexuellen Mann über, der sich durch kulturelle Diversität bedroht fühlt und das Land weiß halten will. Rassismus und Nationalismus werden salonfähig, werden Mainstream. Da muss man nur mal kurz bei Jens Spahn reinhören. Aus dem spricht die AfD. Bei Spahn sind offenbar ein paar Hirnwendungen auf der rechten Seite zu heiß gelaufen. Jelinek schreibt aus einem Gefühl heraus, dass sie als linke Intellektuelle, als Feministin, als Literatin mit einer komplexen, vielschichtigen Sprache abgedankt hat und ihr in der neuen lauten unterkomplexen Trumptwitterwelt keiner mehr zuhört. Wobei man dazu sagen muss: Sie kämpft ebenso wie ich mit allen Waffen der Kunst gegen diese neurechte antidemokratische Bewegung an. Sie zeigt wie lächerlich, destruktiv, dumm, widersprüchlich, aber auch gefährlich diese weltweite Bewegung ist. Wir geben uns noch nicht geschlagen.
Deine Art Theater zu machen, ist immer aktuell und politisch. Du bist ein Bühnentier. Aber reizt Dich das Medium Film auch? Ja, ich bin tatsächlich durch und durch Theatermann. Aber mich interessiert immer ein grenzüberschreitendes Theater. Ich arbeite viel mit Video, Tanz, Musik. Ich kann mir vorstellen, mehr und mehr mit Film auf der Bühne zu arbeiten. Für einige meiner nächsten Inszenierungen reizt es mich, mit Filmelementen zu spielen; selber Filmpassagen zu drehen und zu verschneiden, mit dem was live auf der Bühne passiert. Das habe ich in Hamburg bei Jelinek bereits gemacht. Film und Filmskripts sind immer eine große Inspiration gewesen, auch die Intimität, die Film hat: Es interessiert mich, wie man das auf der Bühne herstellen kann. So war auch „Weekend“ für mich ein ganz wichtiger Film, als ich „Small Town Boy“ geschrieben habe. Eines meiner neuren Stücke setzt sich mit dem Filmemacher Rainer Werner Fassbinder auseinander.
In deutschen Filmen werden immer noch Figuren gezeigt, die sich gar nicht trauen ihre Homosexualität auszuleben
Bei der Vorbereitung zu Small Town Boy habe ich mir etwa 50 schwule Film und Serien aus allen möglichen Ländern angeschaut, um zu sehen, wie der Stand der Dinge in Bezug auf queere Charaktere im internationalen Film ist. Wie werden eigentlich schwule Geschichten im Film erzählt? Denn zu der Zeit, vor vier, fünf Jahren, wurden sie auf der Bühne gar nicht erzählt. In jedem Land werden andere Geschichten über schwule Männer erzählt. Je fortschrittlicher in Bezug auf LGBTI Rechte das Land, desto komplexer werden auch die schwulen und lesbischen Charaktere und Beziehungen. Mir ist damals aufgefallen, dass es in deutschen Filmen fast immer noch darum geht, dass Figuren gezeigt werden, die sich gar nicht trauen ihre Homosexualität auszuleben. Das Drama ist immer noch die nicht-gelebte homosexuelle Identität. In Israel, den USA, Südamerika oder Skandinavien geht es meist darum, wie schwule Paare ihr Leben managen mit Adoptivkindern, wie sie Karriere und Beziehung unter einen Hut bringen, was sie machen, wenn sie sich ent-lieben und ein Dritter oder Vierter in die Beziehung eindringt.
Wie ist es mit dem Thema Karriere, wenn ein Partner erfolgreicher ist als der andere, welche Spannungen entstehen dadurch usw. In Deutschland lebt man seine Homosexualität im Film oftmals gar nicht. Da werden immer noch Menschen gezeigt, die sich und ihr Umfeld „ins Unglück stürzen“, wenn sie ihre Homosexualität offen leben: Siehe das Polizistendrama „Freier Fall“. Wieso wird eine schwule Beziehung überhaupt als „Fallen“ beschrieben, habe ich mich damals gefragt. Wer fällt denn da?
MANNSCHAFT verlost 2 x 2 Tickets für die Vorstellung von „Small Town Boy“ am 18. Januar im Gorki-Theater und für die anschließende Buchpräsentation „Ich bin Europa“ von Falk Richter. Außerdem gibt es zwei Exemplare des Buches zu gewinnen: „Ist Europa angesichts der aktuellen Herausforderungen noch ein sicherer Ort? Und ist die offene Gesellschaft überlebensfähig? Wie gefährlich ist die Hinwendung zum Völkisch-Nationalen? Der Band „Ich bin Europa“ versammelt die fünf neuesten Stücke (darunter „Fear“) von Falk Richter, die einen ganz eigenen, unverwechselbaren Sound entwickeln.“
Die Verlosung endet am 12. Januar.
Die Verlosung wurde beendet.
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