«Shwule Grüsse vom Balkan» (27) – Die schamlose Bogdana

Selbstreflektion im «Seelenbefreiungsseminar»

Symbolbild (Bild: Pexels, Cliff Booth)
Symbolbild (Bild: Pexels, Cliff Booth)

Als Bogdanas Seminarskollegin Tina ihren damaligen Mann in flagranti erwischte und dadurch rausfand, dass er shwul ist, brach eine Welt für sie zusammen. Zusätzlich erhielt sie eine Schocknachricht von ihrem Sohn.

Was bisher geschah ...

«Ich war mit meinem Mann Robert vier Jahre verheiratet, bis es im Bett zwischen uns nicht mehr klappte.» Tina senkt ihren Kopf, als sie ihrer Zimmernachbarin Bogdana von Robert erzählt und davon, wie sie sein Shwulsein entdeckte. «Er war schon vorher nie der Draufgänger», führt sie aus, «aber nach vier Jahren kam da gar nichts mehr: kein Kuss, keine Berührung, geschweige denn ein Flirt. Stattdessen schwieg er und liess mich links liegen.»

Tina ist eine Rentenberaterin aus Basel. Um ihren Seelenfrieden zu finden, nimmt sie seit zwei Jahren am «Seelenbefreiungsseminar» in Nepal teil, das Klaus leitet, ein Crocodile-Dundee-Verschnitt mit blondem Dutt. Sie will mit ihrem shwulen Exmann Robert abschliessen: «Klaus ist super: Er wird dir all deine Last aus deinem bisherigen Leben nehmen. Dein Trip mit dem «Mad Honey», den du beim Ein­checken mit dem Meditationstee getrunken hast, ist nur der erste Schritt dazu. Vertrau ihm, auch wenn es dir beim ersten Mal schlecht davon geworden ist!»

Bogdana, immer noch leicht benebelt vom «Mad Honey», dem giftigen Rhododendronhonig der Kliffhonigbienen des Himalajas, nickt. Hoffend, dass Klaus auch ihr hilft, ihr Schicksal – also einen shwulen Sohn und einen Hetero-Fussballprofi-Sohn mit unehelichem Kind und HIV-Infektion – anzunehmen.

Und wie hast du herausgefunden, dass dein Mann shwul ist?

«Und wie hast du herausgefunden, dass dein Mann shwul ist?», will sie von Tina wissen. «Ganz einfach: Ich habe ihn zuhause erwischt. Gleich mit mehreren Kerlen, die an und mit ihm verschiedene Fetische auslebten. Sie glaubten alle, ich käme von meiner Weiterbildung erst zwei Tage später zurück  . . . »

Innerlich fragt sich Bogdana gerade, was Fetische sind, ob sie ansteckend oder strafbar sind und was es überhaupt für Fetische gibt: «Aha, und was hat dich daran am meisten – na ja – überrascht oder erschreckt?», fragt sie ganz neugierig und doch sehr naiv. «Wo will ich da anfangen . . . » Spätestens bei Elektrohalsband und Mundknebel möchte Bogdana in den berühmten Erdboden verschwinden. Zur Sicherheit donnert ein Presslufthammer nach, damit die Scham bloss dort bleibt. Trotz allem versucht sie, sich zu fassen: «Äh . . . und dann? Wie hast du reagiert? Wie hat er reagiert?»

«Das Ganze geschah wie in Trance – so, wie du dir beim Zwiebelschneiden einen üblen Schnitt in den Finger zuziehst: Zuerst merkst du nichts, bis dein Finger wie wild blutet. Dann willst du verzweifelt die Ambulanz rufen, weil du meinst, du müssest gleich sterben. Nach dem grossen Schock kommt eine gewisse Erleichterung, dass es doch nicht die Apokalypse ist, gefolgt vom fiesen Schmerz, der dir tagelang anhaftet», schildert Tina das ungewollte, aber doch erlösende, wenn auch schmerzhafte Coming-out ihres Exmannes.

«Verstehe», fühlt Bogdana ihrer Zimmernachbarin nach, weil es bei ihr ähnlich war: Zuerst Aleks, der mit seinem Shwulsein ihre perfekte Welt beinahe zum Einstürzen brachte. Dann ihr anderer Sohn Alen: Obwohl hetero und Fussballnachwuchsprofi, erschütterte er ihre perfekte Welt zusätzlich, als sie von seiner HIV-Infektion und von seinem unehelichen Kind erfuhr.

Liebst du deine Söhne?

«Liebst du deine Söhne?», klinkt sich Tina in Bogdanas Gedankenwelt ein, nachdem sie Bogdanas Geschichte gehört hat. «Aber natürlich!», antwortet Bogdana energisch. «Ich meine mehr, ob du deine Söhne samt ihren Rucksäcken liebst, die ihnen das Leben mitgegeben hat», hakt Tina nach.

Bogdana verstummt, als ihr die vom Presslufthammer malträtierte Scham wieder aus dem Erdboden die Wangen emporkriecht: «Das ist eine gute Frage, die ich mir so noch nie gestellt habe», gibt Bogdana unumwunden zu. «Darauf habe ich gerade keine Antwort, tut mir leid», entschuldigt sich Bogdana bei Tina. «Das brauchst du auch nicht. Genau das soll dir im Seminar gelingen: Erst, wenn du dich und dein Leben akzeptierst, kannst du alles loslassen: deine Scham, deine Ängste, deinen Gedankenkäfig», versucht Tina, Bogdana aufzumuntern, «und morgen haben wir Einzelsitzungen mit LSD-Therapeut*innen.»

«Wieder Drogen?», stutzt Bogdana. «Ja, aber medizinisch begleitet. Das ist sehr heilsam – wirst du sehen», beruhigt Tina Bogdana.

*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-­Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic

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