Sexuelle und geschlechtliche Identität müssen ins Grundgesetz!
Anfang April hat der Berliner Senat auf Vorlage des Senators für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes beschlossen: Die geschlechtliche und sexuelle Identität soll in den Schutzbereich des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz aufgenommen werden. In einem Gastbeitrag für Mannschaft erklärt Behrendt, warum diese Änderung notwendig ist.
Sehr viele Menschen haben in den letzten 30 Jahren mit Beharrlichkeit, Kraft und Mut dazu beigetragen, dass es erst das Lebenspartnerschaftsgesetz gab und jetzt alle Paare eine Ehe eingehen können, unabhängig von der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität. Dennoch sind trotz der gesellschaftlichen und rechtlichen Fortschritte Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche (LSBTI) Menschen auch heute noch Anfeindungen, gewaltsamen Übergriffen und Benachteiligungen ausgesetzt. Im ersten Halbjahr 2017 war bundesweit im Vergleich zum Vorjahr sogar ein Anstieg der Straftaten im Zusammenhang mit der sexuellen Identität um fast 30 Prozent zu verzeichnen, wie das damalige Bundesministerium des Innern seinerzeit berichtet hat.
Es ist noch lange nicht alles erreicht
Die Community, die Bevölkerung und verschiedene Parteien gezeigt haben: rechtliche Gleichstellung und die Unteilbarkeit der Menschenrechte für LSBTI können Realität werden. Unsere Kräfte müssen wir jetzt einsetzen, um weiter zu kämpfen. Es ist noch lange nicht alles erreicht mit der Ehe für Alle!
Das Land Berlin setzt seit über 25 Jahren konsequent staatliche Politik für die Belange von LSBTI um. Berlin ist als Regenbogenhauptstadt Vorreiter in Sachen Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, sowohl in der Bundesrepublik als auch Europa.
Der erste Antrag scheiterte Auch deshalb hat der Berliner Senat am 10. April 2018 eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Sie hat zum Ziel, den Schutzbereich von Art.3 Abs.3 Satz 1 um die „sexuelle und geschlechtliche Identität“ zu erweitern. Es ist bereits die zweite Initiative, die dazu aus Berlin kommt. Der erste Antrag wurde im Herbst 2009 von den Ländern Berlin, Bremen und Hamburg gestellt und scheiterte damals an den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat. Heute sind wir – und das hat die Abstimmung zur Öffnung der Ehe gezeigt – anders aufgestellt. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Bundesrat einen Beschluss für die Erweiterung des Art. 3 um die genannten Merkmale erreichen werden.
Die Initiative betrachte ich als einen sehr wichtigen und notwendigen Schritt, um die bisher erlangte rechtliche Gleichstellung auch in Zukunft gewährleisten zu können. Die vorgeschlagene Ergänzung um die „sexuelle und geschlechtliche Identität“ eines Menschen schützt sowohl die individuelle sexuelle Orientierung eines Menschen gegenüber anderen als auch das geschlechtliche Selbstverständnis und zwar unabhängig davon, ob das empfundene Geschlecht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt oder nicht.
Über viele Jahre hat das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art.3 Abs.1 GG keinen ausreichenden Schutz vor Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität gewährleistet. So wurden beispielsweise zwischen 1949 und 1969 über 50.000 schwule Männer auf der Grundlage des §175 StGB zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen verurteilt.
Die verheerenden Folgen für die betroffenen Überlebenden konnten auch durch das am 22. Juli 2017 in Kraft getretene „Gesetz über die strafrechtliche Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ (StrRehaHomG) allenfalls für die Zukunft beseitigt werden.
Hinzu kommt, dass über viele Jahre das deutsche Recht in Bezug auf Geschlecht von einer binären Geschlechterordnung ausging – d.h. entweder ist man männlich oder weiblich – und nur in einzelnen Sonderregelungen werden trans- und intergeschlechtliche Menschen ausdrücklich erfasst. Mit dem jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 ist nun endlich höchstrichterlich anerkannt, dass Menschen, die dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht angehören, in ihren Grundrechten verletzt werden, wenn personenstandsrechtlich nur die Möglichkeit der Registrierung des Geschlechts als entweder „weiblich“ oder „männlich“ vorgesehen ist.
Weiterhin Minderheiten vor wechselnden politischen Mehrheiten schützen
Gerade nach der Öffnung der Ehe und dem jüngsten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum dritten positiven Geschlechtseintrag brauchen wir nun auch einen verfassungsrechtlich verankerten Diskriminierungsschutz für LSBTI. Es ist Zeit und ich bin der festen Überzeugung, dass wir nur so in Zukunft auch weiterhin Minderheiten vor wechselnden politischen Mehrheiten schützen. Es geht hierbei darum, die Wahrung der Grundrechte jener sicher zu stellen, die am anfälligsten für Diskriminierungen sind. Die sexuelle und geschlechtliche Identität müssen in das Grundgesetz. Es gibt keinen rationalen Grund, der dem entgegensteht.
Dr. Dirk Behrendt (Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung)
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