Kann man schwule Männer an ihrem Sprachstil erkennen?

Zwei kanadische Wissenschaftler haben Studien zur «schwulen Stimme» ausgewertet

Mann im Sportstudio
Symbolfoto (Bild: Alora Griffiths / Unsplash)

Gibt es so etwas wie eine «schwule» oder «lesbische» Stimme? Und wird sie zur sozialen Signalisierung bewusst eingesetzt?

Dieser Frage ging diese Woche das österreichische Nachrichtenportal Heute.at nach. Um das Phänomen zu beleuchten, zitiert Heute zwei wissenschaftliche Youtuber, die dazu Theorien entwickelt haben. Sie heissen Mitch Moffit und Gregory Brown, einer ist Biologe, der andere Lehrer für Naturwissenschaften, beiden sind selbst schwul, Kanadier, und sie betreiben den Kanal AsapSCIENCE.

In einem dort geposten Clip untersuchen Moffit und Brown bereits existierende Forschungsarbeiten, die bis in die frühen 1990er Jahre zurückreichen. Diese haben die Stimmlagen von hetero- und homosexuellen Männern verglichen und Unterschiede analysiert.

Längere Vokale

Moffit: «Die Ergebnisse zeigen, dass schwule Männer mit einer breiteren Tonhöhenvariation sprechen, was bedeutet, dass ihre Spanne von tief bis hoch viel extremer ist als bei heterosexuellen Männern.» Brown ergänzt: «Bei schwulen Männern wurde auch eine längere Vokaldauer für ‹a›, ‹i› und ‹u› festgestellt – sie halten diese Vokale im Allgemeinen länger als heterosexuelle Männer, wenn sie sprechen.»

Bei Tonhöhenanalysen wurde festgestellt, dass die Ergebnisse sich auch verschiedene Sprachen wie Englisch, Französisch und Niederländisch übertragen lassen. «Die schwule Stimme geht über eine Sprache hinaus und beschränkt sich nicht nur auf die Wörter oder die Kultur, in der wir uns bewegen», so Moffit.

Diese Ergebnisse hatten bislang zur Theorie geführt, dass die «schwule Stimme» mit Hormonen zusammenhänge, insbesondere mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron (MANNSCHAFT berichtete).

Umweltfaktoren

«Die Theorie besagt also, dass schwule Männer, aus welchen Gründen auch immer, nicht so viel Testosteron produzieren wie heterosexuelle Männer, was zu einer anders klingenden Stimme führt.» Studien hätten diese Theorie jedoch bislang nicht bestätigen können, heisst es. Deswegen hätten die Wissenschaftler begonnen, sich mit externen Umweltfaktoren zu befassen.

Dabei stellte sich heraus, dass sowohl schwule als auch heterosexuelle Männer ihren Ton ändern, je nachdem, wer ihnen zuhört. Brown dazu: «Eine Studie ergab, dass heterosexuelle Männer gegenüber Fremden stereotyp männlicher sprechen als gegenüber Menschen, die ihnen vertraut sind.» Und weiter: «Heterosexuelle Männer senken ihre Stimme, wenn sie in Führungspositionen sprechen, wenn sie Befehle oder Kommandos geben. Sie würden ihre Stimme auch in Gegenwart einer attraktiven Frau senken.»

Auch schwule Männer würden demnach ihre Stimme verändern, heisst es, aber in anderen Zusammenhängen. «Eine thailändische Studie hat ergeben, dass Schwule ihre Stimme verändern, je nachdem, ob sie mit Freunden, Kollegen oder Familienmitgliedern sprechen», sagte Brown.

Sie neigen dazu, die Falsettstimme oder den oberen Stimmbereich zu verwenden, wenn sie mit Freund*innen sprechen. Eine italienische Studie ergab ausserdem, dass schwule Männer «schwuler» klingen, wenn sie mit jemandem sprechen, dem gegenüber sie sich bereits geoutet haben, oder wenn sie mit jemandem sprechen, von dem sie annehmen, dass er ebenfalls schwul ist. In einigen Studien wurde auch festgestellt, dass schwule Männer, die eine Abneigung dagegen hatten, «schwul zu klingen», ihre Sprache absichtlich veränderten.

Keine angeborene Sprechweise

Wenn man Testpersonen die Stimmen solcher Männer vorspielte, wurden diese schwulen Männer mit grösserer Wahrscheinlichkeit als heterosexuell identifiziert. Das zeige, dass die «schwule Stimme» im Prinzip verändert werden kann.

Moffits Lieblingsstudien zum Thema sei eine Studie über schwule YouTuber, die herausfand, dass die Zuhörer*innen nach ihrem Coming-out feststellten, dass sie mit der Zeit immer schwuler klangen. Diese Ergebnisse führten insgesamt zu der Hypothese, dass die schwule Stimme keine angeborene Sprechweise ist, sondern eine Form der sozialen Signalisierung.

Brown erläutert: «Dies hat zu der Theorie geführt, dass die schwule Stimme eine Anpassung der schwulen Männer ist, um anderen zu zeigen, dass sie tatsächlich schwul sind.» Sie sei kontextabhängig und könne stummgeschaltet oder ganz verändert werden, wenn eine Person dieses Signal nicht aussenden wolle.

«Männer benutzen die schwule Stimme um anderen zu zeigen, dass sie schwul sind.»

Gregory Brown

Laut Moffit und Brown gibt es auch Forschungsarbeiten zu «lesbischen Stimmen», aber aber weitaus weniger. Ausserdem seien die Unterschiede bei homosexuellen Frauen nicht so deutlich wie bei homosexuellen Männern, heisst es.

Die Zahl der bisexuellen und bi-interessierten Männer hat sich zuletzt verdoppelt (MANNSCHAFT berichtete).

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