So empfinden Schweizer LGBTIQ ihre Situation 2022
Das sind die Ergebnisse des vierten Schweizer «LGBTIQ+ Panels»
Beim «LGBTIQ+ Panel» handelt sich um eine Längsschnittstudie, die die Situation von queeren Menschen in der Schweiz untersucht. Sie wurde 2019 von Dr. Léïla Eisner (Universität Zürich, Princeton University) und Dr. Tabea Hässler (Universität Zürich) ins Leben gerufen.
Die Ergebnisse werden im Bericht des Bundesrates zur Datenerhebung zu Diskriminierung von LGBTIQ als erste grössere LGBTIQ-Studie in der Schweiz erwähnt.
Bei der Vorstellung der Ergebnisse der vierten Umfrage heisst es nun: «Im Jahr 2022 wurden wichtige gesetzliche Änderungen LGBTIQ in der Schweiz umgesetzt. Die Ehe für alle, der Zugang zur gemeinschaftlichen Adoption und künstlicher Befruchtung, die Erleichterung der Änderung des Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten … Mit den jährlichen Umfragen des Schweizer LGBTIQ+ Panels möchten wir erfassen, wie sich diese Entwicklungen auf LGBTIQ auswirken.»
«Wie fühlen sich LGBTIQ? Wo erfahren sie Unterstützung, wo Diskriminierung? Inwieweit fühlen sie sich in der Schule, der Uni und der Arbeit akzeptiert?» Antworten darauf gaben über 3400 Teilnehmende der Umfrage.
Ambivalente Auswirkungen Die Ergebnisse wurden nach vier grossen Themenblöcken sortiert. Im ersten geht es um die Kampagne rund um die Ehe für alle (MANNSCHAFT berichtete). Wir lesen dazu: «Im Jahr 2022 wurden LGBTIQ über viele Kanäle (Plakate, soziale Medien, Gespräche) mit den Kampagnen rund um die Ehe für alle konfrontiert. Auf die Frage, wie sich diese Kampagnen auf sie ausgewirkt haben, gaben 78 Prozent der LGBTIQ-Personen an, dass die Kampagne gegen die Ehe für alle negative Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden habe.»
Allerdings gaben auch 69 Prozent der Teilnehmenden dieser Umfrage eine positive Wirkung der Kampagne auf ihr Wohlbefinden an. «Dieser Widerspruch lässt sich dadurch erklären, dass die Ja-Kampagne von LGBTIQ als empowernd erlebt wurde. Dies könnte LGBTIQ-Personen von den negativen Auswirkungen der Nein-Kampagne geschützt haben», heisst es.
Angehörige der LGBTIQ-Community haben sich demnach an mehreren Aktionen zur Unterstützung der Ehe für alle beteiligt; z.B. haben sie ihre Umgebung ermuntert, mit Ja zu stimmen (87 Prozent der Teilnehmenden), Regenbogenfahnen angebracht (70 Prozent) oder Nachrichten in sozialen Medien gepostet (59 Prozent).
Dieses Engagement sei allerdings mit persönlichen Kosten verbunden gewesen: Jede fünfte Person gab an, im Rahmen ihrer Teilnahme an der Ja-Kampagne beschimpft worden zu sein.
Zögerliches Coming-out Der zweite Themenblock betrifft Diskriminierung. «Auch im Jahr 2022 waren LGBTIQ mit mehreren Formen von Diskriminierung konfrontiert», erfährt man. Während queere Menschen «sehr häufig Witzen ausgesetzt» gewesen seien, wurden sie im öffentlichen Raum auch «angestarrt» und besonders trans und inter Personen «viel stärker diskriminiert».
Demnach berichteten 76 Prozent der teilnehmenden Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten von struktureller Diskriminierung (Schwierigkeiten bei der Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags, fehlender dritter Geschlechtseintrag). Was das Coming-out betrifft, so sei es immer noch ein «schwieriger und langwieriger Prozess.» Dieser Befund werde durch die Tatsache verdeutlicht, dass mehr als ein Viertel der teilnehmenden LGBTIQ sich innerhalb ihrer Familie nicht geoutet hätten, liest man (MANNSCHAFT berichtete).
Ein langer Weg zur vollen Akzeptanz Der dritte Themenbereich betrifft Schule, Uni und Arbeitsplatz. Queere Personen hätte dort weniger das Gefühl «sie selbst sein zu können» sowie «sich zugehörig zu fühlen», heisst es. Das fehlende Gefühl der Zugehörigkeit wurde von Angehörigen geschlechtlicher Minderheiten besonders betont, erfährt man. «Fast jede zweite trans oder intergeschlechtliche Personen berichtet von Diskriminierung in der Schule, der Universität oder der Arbeit. Bei lesbischen, schwulen und bisexuellen Personen ist es jede 5. Person.»
Viele Personen wüssten nicht, wo sie im Falle von Diskriminierung Unterstützung bekommen könnten, so die Studie. Knapp die Hälfte der teilnehmenden queeren Schüler*innen und Studierenden gab an, dass sie keine Anlaufstelle kennen würden.
Was wünschen sich LGBTIQ für die Zukunft? Im vierten Teil der Studie geht es um Wünsche für die Zukunft. «Trotz jüngster gesetzlicher Verbesserungen ist klar: LGBTIQ sind in der Schweiz weiterhin mit Ungleichheiten konfrontiert, erfahren Diskriminierung und fühlen sich nicht voll akzeptiert.» Daher sei es wichtig, nicht nur Diskriminierung zu reduzieren, sondern die Akzeptanz von LGBTIQ zu erhöhen und über LGBTIQ- Themen aufzuklären, so Dr. Léïla Eisner und Dr. Tabea Hässler.
«Angehörige geschlechtlicher Minderheiten fordern darüber hinaus weitere Optionen beim Geschlechtseintrag, ein Schutz durch das Antidiskriminierungsgesetzt, der Zugang zu sicherer Gesundheitsversorgung, geschlechtsneutrale Infrastruktur und ein Recht auf körperliche Unversehrtheit von intergeschlechtlichen Kindern», heisst es.
Der komplette Bericht 2022 sowie die Umfrageergebnisse der vergangenen Jahre finden sich hier.
Das könnte dich auch interessieren
Kurznews
Dresden erinnert an Messerattacke ++ Homophober Übergriff in Berlin ++
LGBTIQ-Kurznews ++ Dresden erinnert an Messerattacke ++ Ermittlungen nach CSD Döbeln ++ Freie Wähler: Selbstbestimmung abgelehnt
Von Newsdesk Staff
Pride
Deutschland
News
TIN
Musik
Neue Musik: Kann Nemo an «The Code» anknüpfen?
Die Öffentlichkeit hat lange auf Nemos nächsten Zug gewartet. Jetzt ist der Nachfolge-Song des ESC-Gewinnersongs endlich da.
Von Greg Zwygart
TIN
Kultur
Eurovision Song Contest
Kultur
Schauspieler Brix Schaumburg: Als Mann bietet man mir mehr Geld an
Brix Schaumburg gilt als erster offen trans Schauspieler Deutschlands. Seit er sich geoutet hat, verspürt er nicht nur viele Privilegien, sondern auch die Verantwortung etwas zu verändern
Von Denise Liebchen
TV
TIN
Regenbogenfamilie
News
Gewalt im Berliner Regenbogenkiez: «Anhaltend viel und beunruhigend»
Der Berliner Regenbogenkiez soll als kriminalitätsbelasteter Ort eingestuft werden. So möchte es zumindest die CDU und fordert mehr Polizeipräsenz. Das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo sieht das nur als temporäre Lösung
Von Carolin Paul
Politik
Deutschland