«Der Platz neben mir bleibt bis zuletzt frei»
Ein Gastbeitrag von Pierre Sanoussi-Bliss zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März
Der offen schwule Schauspieler und Autor war 18 Jahre lang in der Krimi-Serie «Der Alte» (ZDF) als Assistent des Kommissars zu sehen. Er hat das Kinderbuch «Der Nix» für queere und verzauberte Kids veröffentlicht. Pierre Sanoussi-Bliss beklagt, dass seine Hautfarbe für ihn und andere schwarze Kolleg*innen bei Besetzungen im deutschen Fernsehen noch immer ein massives Handicap ist. Rassismus gibt es aber nicht nur dort.
Ich wär so gern… weiss! Es gibt zum Beispiel vergrippte Tage (sehr früher gab es auch noch Hangover, bei denen meine grösste Sonnenbrille zu klein war), an denen ich mich ziemlich hässlich fühle und kaum Lust habe, auf die Strasse zu gehen, es aber muss, weil mein Magen knurrt oder die Ibus alle sind oder ich denke, dass die Berliner Luft, Luft, Luft mir gut tut. Dann wünsche ich mich in die deutsche Leithautfarbe.
Weiss! Ich könnte so besser im Stadtbild zwischen den anderen Menschen verschwinden, ohne von jedem Zweiten gemustert zu werden, tiefenpsychologisch anhand meiner sterblichen Hülle versuchend zu ergründen, ob von mir irgendeine Gefahr ausgeht. Das ist zwar so, seit ich denken kann, hat allerdings in letzter Zeit durch die ganze Flüchterei stark zugenommen. Schwarz? Nafri? Bombe?
Der Platz neben mir in der S-Bahn besetzt sich als letzter und der Griff um die Handtaschen in der Nähe wird fester. Hätte ich allerdings wirklich vor, um mich zu bomben, dann würde ich das ausschliesslich an Tagen tun, an denen ich gut aussehe und weder verschnupft bin, noch verkatert. Ich trüge Dolce&Gabbana, Gucci, Lagerfeld und alles auf diesem Level, was mein Schrank so hergibt. Ich liesse mich sogar zu etwas Selbstbräuner für einen strahlenderen Teint hinreissen. Man will ja bei der Auswertung der Videoüberwachung nicht enttäuschen. Schon gar nicht als diplomierter Schauspieler mit Hochschulabschluss. Landet doch alles im Netz, und was sollen dann die Leute von einem denken!
Rassismus – auch beim Einkaufen Was auch grossartig wäre, wär ich weiss, mal ein grosses Kaufhaus betreten zu können, ohne dass der hauseigene Detektiv sich sofort auffällig unauffällig an mich ranhängt, um in angemessenem Abstand zu mir mit mir die Etagen zu durchstreifen. Als Kind wollte ich immer ohne Mutti einkaufen gehen. Als ich dann endlich alt genug dazu war, kamen die Detektive. Menno! Betreutes Shoppen ein Leben lang. Hab in grossen Kaufhäusern übrigens noch nie einen schwarzen Hausdetektiv gesehen (ich spreche nicht von offensichtlicher Security). Wohl zu auffällig. Ist aber ein Denkfehler. Oder würden Sie darauf kommen, dass der Schwarze, der neben Ihnen grade an der teuren Bio-Seife schnüffelt, ein Detektiv ist, wenn Sie den Parfümflakon in Ihre Tasche gleiten lassen?
Als ich meine Wohnung vor einigen Jahren komplett neu einrichten wollte, erlaubte ich mir feierlich ein überikeales Budget und zog los. Berlin-Mitte hat herrliche Läden, um sein Geld in Form von Schränkchen, Sesseln, Tischen und Schnickschnack verlieren zu könnenswollendürfen. Ich betrat einen solchen, und sofort schwebte mir eine mittelalte Möbelschwuppe (sagt man eigentlich noch Möbel?) entgegen, musterte mich und plapperte hölzern:
«Ich glaube nicht, dass man Ihnen hier helfen kann.» Ich trug Prada! Teuflisch lächelnd knurrte ich kurz: «F*** dich» und ging woanders kaufrauschen. Stunden später betrat ich den Möbelschwuppenladen nochmal und zeigte Ihmchen Quittungen für Möbel in Höhe von ein paar Tausend Euro, die ich an diesem Nachmittag verjubelt hatte. «Hätte dein Umsatz sein können, Froindchen», sagte ich und verliess den Laden, nicht ohne auf dem Weg nach draussen eine völlig überteuerte Lampe zu begutachten, abwertend schmunzelnd natürlich und mich ärgernd, hinten keine Augen zu haben, um seine Reaktion sehen zu können …
In weiss passierten mir nicht Sachen solcher Art, dass ich mich beim Einchecken im Hotel fünf Minuten total nett mit der Hotellerine unterhalte, um dann auf dem Weg zum Fahrstuhl wie von einem Pfeil mit dem Satz «Und grüssen Sie mal die Heidi von mir!» in den Rücken getroffen zu werden. Nein, ich kenne weder die Klum, noch bin ich Bruce Darnell. Ich heisse nicht wie er und rede nicht wie er, was man in den vergangenen fünf Minuten durchaus bei meinem Einchecken hätte checken können, während man Sanoussi-Bliss in den Computer tippt. Und ich habe auch keine lebende Handtasche, was ich allerdings in diesem Moment bereue, weil ich mir die spitzen Schreie der Hotellerine vorstelle, die versucht, die Louis Vuitton von ihrem Hosenbein zu kriegen, in das die sich verbissen hat. Drama, Baby!
Und auch beruflich wäre ich weiss besser dran. Schauen Sie noch deutsches Fernsehen? Ich stelle die Frage nur, weil das 80 Prozent meines Bekanntenkreises – Netflix, Amazon, Maxdome und Sky & Co sei dank – nicht mehr tun. Aber sollten Sie zufällig mal die TV-Home-Taste Ihrer Fernbedienung streifen und im normalen, deutschen Programm landen, dann wundern Sie sich nicht, dass alles ein wenig wie mit Persil gewaschen wirkt: reinweiss. Nur hier und da ein kleiner Fleck.
Obama sind immer die anderen.
Deutschland 2020 ist diesbezüglich eine einsame Insel, eine Trutzburg gegen alles, was Redakteure (die heimlichen Caster heutzutage) als «fremd» empfinden, pupsegal, ob hierzulande auch knapp 3 Millionen Schwarze leben, davon ein Grossteil direkt in Deutschland aus befruchteten Schokoküssen geschlüpft ist, oder etwa asiatische Mitbürger bereits in der dritten Generation und voll intergriert ihr Auskommen haben. Im TV sucht man sie vergeblich in exponierten Rollen. Wer nicht ins deutsche Leitschauspielerbild passt, der darf oft nur vorkommen, wenn sein Anderssein Thema oder Problem des Filmes ist. Einfach so normal geht ja mal gar nicht! Und Obama sind immer die anderen. Ich hatte übrigens in den letzten fünfeinhalb Jahren nicht einen einzigen öffentlich-rechtlichen Drehtag.
Rassistisch? Hella von Sinnen verteidigt Ralf König
«Die ARD hat sich das Ziel gesetzt… die Chancen einer kulturell vielfältigen Gesellschaft glaubwürdig zu vermitteln. In allen relevanten Programmgenres und -formaten sollen Menschen mit Migrationshintergrund als Protagonisten in unterschiedlichsten Lebenslagen, insbesondere ausserhalb gebräuchlicher Klischees auftreten.» Das ist aus der «Charta der Vielfalt», 2007. 2007! Vielleicht schwarzer Humor?
Heiner Müller liess den schönen Schwarzen Aaron in «Anatomie Titus» sagen : «Mehr oder weniger Neger, je nach Beleuchtung.» Recht hat er. Passiert mir im Winter auch ziemlich oft, dass ich grau am Flughafen sitze und weisse Menschen aus den Urlaubsbombern steigen, die um einiges schwärzer sind als ich. Ich fühl mich gottverdammt wohl in meiner Haut! Würde ich sie sonst zu Markte tragen? Oder habe ich nur aus der Not eine Tugend gemacht? Exoten in den Zirkus? Nein, ich schaue eigentlich ganz gern in den Spiegel (muss ja nicht nach einer durchgrippten Nacht sein). Ich habe mir, als Mitglied der Jury für die Lola, den deutschen Filmpreis, in der letzten Zeit etwa 40 deutsche Filme angeschaut. Das macht nicht unbedingt froh.
Aber was mich wirklich traurig stimmt: Ich habe in keinem dieser Filme mitgespielt, und auch sonst taucht kein Leidensgenosse meiner Hautfarbe in einer Rolle, in der es nicht darum geht, dort auf. Ich wiederhole mich: Mit meiner Hautfarbe leben inzwischen Millonen Mitbürger in diesem Land, und es gibt eine grosse Zahl von Künstlern, die hier ihr Glück versuchen. Zugewandert oder wie ich hier geboren. Meiner Agentin wurde mal gesagt, das deutsche Publikum akzeptiere eine farbige Hauptfigur nicht. Die Leute, die sowas sagen, sind meist TV-Redakteure und wissen natürlich genauestens über die Befindlichkeiten aller Film-und Fernsehkonsumenten dieses Landes Bescheid. Wir können stolz auf sie sein. Und irgendwann machen wir nur noch Fernsehen für AfD-Wähler. Aber vielleicht sollte das hier nicht in Medienschelte ausarten. Man beisst ja nicht die Hand, die einen füttert beziehungsweise von der man gern gefüttert würde. Sie kann einen ja auch am ausgestreckten Arm verhungern lassen, die Hand. Andererseits, ist der Ruf erst ruiniert…
Insofern kann ich ja einfach mal ein paar Dinge aus meiner beschränkten Sicht beschreiben, ohne mich hinter politisch korrekten Floskeln zu verstecken. Politische Korrektheit ist eine Form der Zensur, die das, was nicht korrekt ist, verschweigt. Also: Ist es politisch korrekt, dass die meisten Filme im deutschsprachigen Raum wie mit Persil gewaschen wirken? Es heisst doch Farbfilm!
Ist es politisch korrekt, dass meine Agentin auf die Bitte, mich in diesem oder jenem Film zu besetzen, die Antwort bekommt: «Wat soll ick denn mit`m Mulatten?» (Wolfgang Rademann, «Traumschiff“. Gott hab ihn selig…) Ist es politisch korrekt, dass im Kreuzworträtsel des Stern das Lösungswort für Mulatte «Bastard» lautet? Ist es politisch korrekt, dass Regisseure zu mir sagen: «Du, ich würde dich schon gern mal besetzen…wenn für dich was dabei ist?»
Und dass es dann nie dazu kommt, weil sie darauf warten, dass hinter dem Rollennamen in Klammern «ein Schwarzer» steht? Was spricht dagegen, als Lehrer, Klempner, Wissenschaftler, Unidozent, Ökobauer, Liebhaber, Schwarzfahrer oder Arzt (Virologen sind gerade angesagt) besetzt zu werden, ohne gebrochen Deutsch sprechen zu sollen?
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Warum wurden mir in meiner Laufbahn früher sehr oft Mörder, Dealer und andere Aussenseiterrollen angeboten? Weil nun mal alle Menschen, die so aussehen wie ich, morden und dealen? Politisch korrekt bietet man uns heutzutage diese Rollen einfach gar nicht mehr an. Das kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Sind nämlich meist die spannenderen Rollen. Spannender jedenfalls, als in Kliniken unter mauritianischen Palmen ur-deutsche Probleme zu wälzen, um der Sache einen Hauch «Exotik» zu verpassen. Und gehen die Leute etwa in Filme mit Denzel Washington, Wesley Snipes, Halle Berry oder Morgan Freeman, weil sie gezwungen werden?
Für wie blöd halten denn manche Medienmacher die Leute?
Reichen Millionen Mitbürger anderer Farben und Kulturen nicht aus, um sie auch in Film und Fernsehen vorkommen zu lassen? Und zwar als das, was sie grösstenteils sind – nämlich intelligente, akzentfrei sprechende Wesen in normalen Berufen, mit einer fundierten Ausbildung und Sorgen und Nöten, die sich von denen ihrer vermeintlich hochrassigen Mitbürger kaum oder gar nicht unterscheiden. Ich habe in Filmen gespielt, in denen auf Drängen der Produzenten Sätze wie «Sie sprechen aber gut Deutsch!» oder «Ja, ich habe in Deutschland Germanistik studiert» in die Drehbücher eingefügt wurden, weil meine akzentfreie Darbietung beim Publikum angeblich Fragen aufwerfen würde.
Für wie blöd halten denn manche Medienmacher die Leute? Ich bin doch kein Alien, sondern nur Berliner, schwarz und Ossi. Und ja, wir können mit Messer und Gabel essen und wischen uns den Hintern mit Hakle feucht ab (falls es nicht gerade ausverkauft ist) und verlieben uns oft ganz ungeniert in unsere weissen Mitbürger, mit denen wir uns dann gemeinsam durchs Dasein wurschteln. Mitunter kommen dann sogar Kinder auf die Welt, die keinen Gendefekt haben.
Unsere multikulturellen Gesellschaften würden davon profitieren, wenn Filmemacher, Produzenten, Caster, Redakteure und Senderchefs ihr Brett vorm Kopf wenigstens mal mit Politur behandeln würden. Wir sind Möbel, Schränke, Stühle, die auch in dieses Haus gehören. Die schön sind, kostbar, die man vorzeigen kann – und die Pflege brauchen. Sonst ist früher oder später der Wurm drin. Sie verrotten oder brechen zusammen, wenn man sie benutzen will. Im besten Fall bricht man sich dann nur den Sterz.
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