«Wer sich nicht outet, ist selber schuld»

Dokumentartheater in Karlsruhe: «Nowhere out»

Foto: Felix Grünschloss
Foto: Felix Grünschloss

Queere Flüchtlinge sind in ihrer Heimat oft wegen ihrer sexuellen Orientierung bedroht, die dort im Widerspruch zu Gesetz und Religion steht. Sie hoffen, bei uns mit ihrer Homo-, Bi- oder Transsexualität frei leben zu können. Doch in der deutschen Wirklichkeit sind sie als Minderheit in der Minderheit einer dreifachen Diskriminierung ausgesetzt.

Diesem Problem der Intersektionalität nimmt sich nun in «Nowhere out» eines der mutigsten und engagiertesten Theater der Republik an – das Badische Staatstheater in Karlsruhe, unter der Regie von Deutschlands profiliertestem Dokumentartheater-Macher Hans-Werner Kroesinger. Seit 25 Jahren greift er gesellschaftlich und politisch brisante Themen auf wie den Völkermord an den Armeniern. Seine Inszenierung Stolpersteine Staatstheater über die Gleichschaltung des Karlsruher Theaters unter den Nazis 1933 wurde im vergangenen Jahr mit einer Einladung zum BERLINER THEATERTREFFEN ausgezeichnet.

Sie sind schwul, lesbisch oder trans. Sie kommen aus Afghanistan, Aserbaidschan, aus dem Iran und dem Irak, Jordanien, Pakistan und natürlich aus Syrien. (Die Zürich Pride machte queere Flüchtlinge zum diesjährigen Motto.) Ihre Geschichten, ihre Träume und Albträume, aber auch ihre Erfahrungen und Erwartungen an die deutsche Gesellschaft bilden die Grundlage des dokumentarischen Theaterstücks «Nowhere out». Zum Beispiel die eines Geflüchteten aus Hamburg. Dass er schwul ist, weiss seine Familie nicht. „Er kommt zu seinem BAMF-Interview, und da teilt man ihm kurz vorher freudestrahlend mit, dass sein Übersetzer sein eigener Cousin sei“, erzählt Dramaturg Jan Linders. „Er hat sich dann nicht geoutet. Hätte er den Übersetzer abgelehnt, hätten sich alle gefragt: Was ist da los? Das ist doch Familie!“

Finanzbeamte treffen Flüchtlinge

Das BAMF, das Amt für Migration und Flüchtlinge, ist die erste große Hürde, die Geflüchtete in Deutschland nehmen müssen. Dort müssen sie schildern, woher sie kommen und später auch, wovor sie fliehen. Eine Mitarbeiterin des Amtes hat Linders erzählt, dass 2015, als das BAMF vom Ansturm der Flüchtlinge überfordert war, Mitarbeiter aus Behörden wie dem Finanzamt abgeworben hat, um die Erstbefragungen durchzuführen. Dafür bekamen sie einen dreiwöchigen Crashkurs, Grundlagen im Asylrecht etwa. Eine Vorbereitung in kulturellen Fragen oder bezüglich der sexuellen Orientierung: Fehlanzeige.

„Da kann es so merkwürdige Argumentationsmuster geben nach dem Motto: Wenn Sie schwul sind, aber Ihren Neigungen bisher nicht nachgegangen sind, und es auch weiter nicht tun, werden Sie nicht verfolgt“, erklärt Regisseur Kroesinger. Jan Linders verweist auf eine Broschüre der BAMF, die auf 32 Seiten in verschiedenen Sprachen u.a. das Grundgesetz erklärt. Es gibt dort auch eine Seite für queere Flüchtlinge und einen Hinweis auf die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Das finde ich toll. Aber die Mitarbeiter des BAMF haben einen Riesenaktenberg und sind froh, wenn sie ihre Sollzahlen erfüllen. Nach dem Motto: Wenn jemand sich nicht outet, ist er selber schuld.“

Saunaquittung als Beweis

Wer sich outet, hat es aber noch längst nicht geschafft. Das Amt will Beweise. „Man darf nicht gezwungen werden, private Fotos oder Videos vorzuzeigen“, erklärt Linders. Dennoch wurde ihm in den zahlreihen Gesprächen, die er geführt hat, ein Fall berichtet, dass ein Geflüchteter aufgefordert wurde, die Quittung eines Pornokino oder schwulen Sauna vorzulegen.

Jan Linders (li.) und Hans-Werner Kroesinger (Foto: Kriss Rudolph)
Jan Linders (li.) und Hans-Werner Kroesinger (Foto: Kriss Rudolph)

Kroesinger will sein Projekt nicht als Anklage gegen die BAMF verstanden wissen, aber natürlich gehört für ihn zu den spannenden Fragen: „Wie begegnet dir die Behörde, wie läuft das Verfahren? Es geht darum, wie ein Staat Grundrechte garantiert und wie sie zur Anwendung kommen oder eben nicht“, erklärt er. „Das ist ein Testfall für die Demokratie“, ergänzt Linders.

Ist der Asylantrag eines Flüchtlings erfolgreich, macht es einen riesigen Unterschied, wo er sich in Deutschland befindet. Zwar eröffneten Anfang 2016 in Nürnberg und Berlin die ersten Häuser speziell für queere Flüchtlinge, doch immer noch gibt es überall zu wenig Plätze, findet Linders. In Stuttgart berichtete ein Mitarbeiter des Wohnungsbauamtes stolz, dass man 17 Plätze für queere Flüchtlinge eingerichtet habe. „Aber in der Stadt leben etwa 8.000 Flüchtlinge, rein statistisch müssten davon 5% schwul oder lesbisch sein. Das wären 400.“

Bei der Recherche sind sie auch auf Fälle von „zweifelhafter Überbetreuung“ gestoßen, wie Kroesinger es nennt. Ältere Herren, die sich an Behörden oder Flüchtlingsbetreuer wandten und fragten, ob man nicht einen Flüchtling für sie hätte, und ihre erotischen Interessen nicht verhehlten. „Das sind teilweise sehr explizite Mails“, sagt der Regisseur.

So war die Materiallage für sein neues Projekt riesig, teilweise widersprüchlich. Gemeinsam mit den Schauspielern wurde es gesichtet und verdichtet. Erst im Laufe der sechswöchigen Probenzeit kristallisierte sich das Stück heraus. Beim Gespräch mit Kroesinger und Linders zweieinhalb Wochen vor der Premiere gab es noch kein Textbuch, aber damit hat das Team Erfahrung. Dennoch ist es für Kroesinger eine der anstrengendsten Produktionen. Es sei ein bisschen wie ein Minenfeld, durch das man versucht hat, vernünftige Spuren zu legen. Die auch in die Vergangenheit führen: Ihn beschäftigen neben den Schicksalen der Flüchtlinge auch die großen Themen Sexualität und Religion. „Seit dem Ende des Kalten Krieges steht der Islam im Westen als das große Feindbild da“, sagt Kroesinger. „Wenn man sich Beschreibungen aus den 1960ern ansieht, ist das noch nicht der Fall. Aber in den 90ern fand eine Umschreibung statt und erst recht nach den Terroranschlägen vom 11. September.“

In muslimischen Gesellschaften werden Homosexuelle diskriminiert und verfolgt, auch getötet. Bei der Vorbereitung auf das Projekt wollte Kroesinger wissen: Wann fängt die Verdammung der Homosexuellen im Islam an? „Interessanterweise war das in der Kolonialzeit, die viktorianische Sexualmoral wurde importiert. Da wurde etwas übernommen, das nicht zur dortigen Kultur gehörte. Der Westen war eine expansive Kraft im 19. Jahrhundert, wirtschaftlich überlegen, sodass sich die Eliten anpassten. Es gibt zwar Aussagen von Mohammed gegen Homosexualität, aber im Koran findet man keine einzige Steinigung von Homosexuellen.“

Antonia Mohr (li.) & Jonathan Bruckmeier (Foto: Felix Grünschloss)
Antonia Mohr (li.) & Jonathan Bruckmeier (Foto: Felix Grünschloss)

Sexualität, Religion, Flüchtlingsströme. Ein weites Feld. Die Herausforderung des Projektes sei es, wie man das Thema Intersektionalität dem Karlsruher Durchschnittszuschauer vermittelt, erklärt Jan Linders. „Wir sind ja ein Stadttheater. Es nicht wie bei Small Town Boy in Berlin, wo man sagen kann, da kommen 80 % LGBTI-Zuschauer. Das hier ist die Mitte der Gesellschaft, die meisten Zuschauer sind eben nicht LGBTI, nicht muslimisch, nicht geflüchtet. Die Herausforderung ist, wie kriegt man denen Kontakt zu denen, ohne gleich in die Mitleidsschiene zu gehen.“

Man mache das nicht aus persönlicher Betroffenheit, sagt Linders. Dass Intendant Peter Spuhler und er schwul sind, ist kein Geheimnis. Das Nowhere out-Team dagegen ist hetero und repräsentiert damit die Mehrheitsgesellschaft. Das ist hier auch der Zugang: Wie guckt die Gesellschaft auf Dreifachminderheiten? Wobei man so froh sein kann, wenn sie überhaupt guckt. Beim Karlsruher CSD vor ein paar Wochen – Intendant Spuhler war Schirmherr – standen drei Flüchtlings-Aktivisten auf der Bühne und berichteten von ihren Erfahrungen. Eine extrem politisch angelegte Veranstaltung, fand Linders. Aber die Zeitung hat diesen Part ignoriert, und im Fernsehen hat man wie jedes Jahr von einer „schrillen Parade“ gesprochen und die üblichen Verdächtigen gezeigt.

Nowhere out: Dokumentartheater von Hans-Werner Kroesinger & Regine Dura. 

URAUFFÜHRUNG am 30. Juni 2017 im Studio, Badisches Staatstheater Karlsruhe

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