Trauerfeier im Kino? Queere Beerdigungen ohne Tabu
Ein Gespräch mit Julian Heigel über Leben, Tod und Bestattungen
Julian Heigel von «Thanatos Bestattung» teilt Einblicke in die Welt queerer Bestattungen und wie sie das Abschiednehmen neu gestalten.
Anfang September gab es in Zürich eine Premiere: Das erste queere Grabfeld der Schweiz «Regenbogen» wurde auf dem Friedhof Sihlfeld eingeweiht. Wie MANNSCHAFT berichtete, ist die Resonanz sehr gross, es gab schon Bestattungen, und einige Grabstätten sind bereits jetzt schon vergeben.
In Deutschland hingegen gibt es queere Grabfelder schon um einiges länger. Ein Beispiel hierfür findet man in Hamburg auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Berlin bietet gleich mit zwei Friedhöfen wichtige Orte für Queers: Auf dem «Georgen- Parochial- Friedhof» wurde im April 2014 das Grabfeld von LesFriedA (LesbenFriedhofsAreal), eine Gemeinschaftsbestattungsfläche von ca. 80 Plätzen für Urnen- und Erdbestattungen, eingeweiht. Doch auch der «Alte St.- Matttäus- Friedhof» ist vielen Queers ein Begriff: Dort wurden zahlreiche schwule Männer, die in den 1990er- Jahren an Aids starben, beigesetzt. Der Fotograf und Künstler Jürgen Baldiga, der Filmemacher und Schauspieler Manfred Salzgeber, und auch Ovo Maltine, Schauspieler, Aids-Aktivist und bekannt aus dem politischen Kabarett, um nur einige Beispiele zu nennen, haben hier ihre letzte Ruhe gefunden.
Auch Julian Heigel kennt diesen Friedhof, denn seine Arbeit führt ihn regelmässig dort hin. Er ist Bestatter, und leitet ein alternatives Bestattungsunternehmen. Besonders liegen ihm queere Bestattungen am Herzen, und er begleitet die Angehörigen in diesem Prozess des Abschiednehmens. 2017 hat er «Thanatos Bestattung» in Berlin gegründet. Mittlerweile wurde ein Team von vier Menschen daraus, und sie begleiten und richten unter anderem queere Bestattungen aus.
Heigel erzählt, dass sich eine queeren Bestattung die Lebensrealität der Verstorbenen während der Bestattung wiederspiegele und nicht versteckt werden müsse. «Während der Trauerfeier und in der Trauerrede gibt es kein Tabu-Thema. Wenn etwa ein Verstorbener mit mehreren Menschen zusammengelebt hat, also mit mehreren in einer Beziehung war, wird das nicht verschwiegen, weil vielleicht gerade dieser Umstand ein wichtiger Teil im Leben dieses Menschen war.»
Wie eine Bestattung dann ausgestaltet würde, sei ganz unterschiedlich, so wie ja auch queere Menschen auch sehr unterschiedlich sind. «Manchmal wünschen sich Menschen eine Trauerfeier an einem speziellen Ort, oder dass alle Trauergäste in einem speziellen Dresscode kommen sollen, etwa in Neonfarben. Als speziellen Ort hatten wir schon mal eine Trauerfeier in einem Kino, oder in einem Schwimmbad.» Doch es könne genauso gut das Zuhause des verstorbenen Menschen sein, der Garten, im Wald, oder auch ein Fussballplatz. «Es sind immer geschlossene Veranstaltungen, und wenn es eine Urnen-Bestattung ist, wird sie anschliessend auf dem Friedhof beigesetzt. Bisher war aber noch nichts dabei, wo ich dachte, dass Wünsche nicht umsetzbar seien.»
Grenzen setzt natürlich das Bestattungsgesetz. In Deutschland regeln dies die einzelnen Bundesländern: Bestattungspflicht, Fragen zu Ruhezeiten, Friedhofspflicht, u.a. In der Schweiz sind sie kantonabhängig.
Standardmässig bietet Heigel und sein Team den Angehörigen an, beim Waschen und Ankleiden ihrer Toten dabei zu sein. «Viele nehmen dieses Angebot wahr, und gestalten so einen besonders zärtlichen Abschied.»
Manchmal äusserten Angehörige Bedenken im Vorfeld einer queeren Bestattung, aus Sorge, dass die Trauerfeier zu unkonventionell sein könnte. Dann gelte es, einen guten Kompromiss zu finden, und auf die Bedürfnisse aller einzugehen. «Es gab schon Angehörige, die es nicht guthiessen, dass sich alle Gäste während der Trauerfeier an den Händen halten, oder sich im Wald, oder auch in einer Kapelle, auf den Boden setzen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen, wollte eine Mutter nicht, dass während der Trauerfeier Alkohol ausgeschenkt werden solle.»
Wenn die Vorstellungen absolut nicht übereinstimmen, dann sind getrennte Abschiednahmen vielleicht die Lösung. «Das heisst, dass für die Community des verstorbenen Menschen z. Bsp. eine Party stattfindet, und für die Angehörigen eine kleinere Beisetzung ausgerichtet wird, die dann mehr konventionell und im klassischen Sinne sein wird. Bis jetzt kam das noch nicht häufig vor.» Er habe es aber auch noch nicht erlebt, dass Angehörige mit der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität des verstorbenen Menschen ein Problem gehabt hätten. Die Menschen, die sich an sein Unternehmen wenden, wüssten ja, dass dort queere Bestattungen ausgerichtet werden.
Sein Team, erklärt Heigel, arbeite queersensibel: Die Wahlfamilie sei nicht weniger wichtig sei als die Blutsverwandten. Bei einem plötzlichen Tod eines Menschen fühlten sich viele Hinterbliebenen besonders verwundbar und verletzlich. Dann sei es gut in den Bestattenden Verbündete zu wissen, denen man nicht viel erklären müsse, und deren Vorschläge zu den Bedürfnissen passten.
Er selber habe auch immer noch Angst vorm Tod, sagt Heigel. «Doch je mehr ich über das Sterben und die Möglichkeiten lerne, desto kleiner wird meine Angst vor dem Sterben.»
Sich zu outen ist das eine – die Reaktion darauf das andere. Wie erleben Menschen das Coming-out einer nahestehenden Person? Und was passiert danach? Die Community teilt uns ihre Geschichten (MANNSCHAFT+).
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