Die Freuden und Leiden der Samstagnacht

Eine neue Folge unserer MANNSCHAFT+-Kolumne Alter Ego

Im Bierhübeli Bern findet regelmässig die «Queerhübeli»-Party statt. (Bild: Queerhübeli/Bierhübeli)
Im Bierhübeli Bern findet regelmässig die «Queerhübeli»-Party statt. (Bild: Queerhübeli/Bierhübeli)

Samstagabend. Der Mann unseres Autors ist verreist, er hat die Wohnung für sich allein. Mit dem Hund war er spazieren, der Haushalt ist erledigt, und es steht nichts mehr an. Er freut sich darauf, einen Abend lang nur zu lesen, Netflix zu glotzen und Abendessen beim Inder zu bestellen. Er will sich gerade aufs Sofa legen, als sich sein Alter Ego zu Wort meldet.

Alter Ego: Ist heute nicht unsere Lieblingsparty? Ich (schulterzuckend): Möglich.

Ich lasse mich langsam ins Polster sinken und wünsche mir, dass mein Alter Ego die Party gleich wieder vergisst.

Alter Ego: Ich hab’ doch in der Stadt ein Plakat gesehen. Guck mal in der Kulturagenda. Ich (seufzend): Wenn du meinst.

Lustlos stehe ich wieder auf und suche in den diversen über die ganze Wohnung verteilten Zeitungsstapeln nach der entsprechenden Beilage, heimlich hoffend, dass sie schon im Altpapier gelandet ist.

Ich: Ich kann sie leider nicht finden. Ist wahrscheinlich schon entsorgt.

Schnell schnapp’ ich mir mein Buch und lass’ mich zurück aufs Sofa plumpsen.

Alter Ego (vorwurfsvoll): Wie wär’s mit online nachsehen?

Ich krame grummelnd mein Handy aus der Tasche und öffne die Website eines queeren Veranstaltungskalenders.

Alter Ego: Da! Da ist sie! Heute ab 21 Uhr! Ich: Toll. Alter Ego: Wir können ja erst gegen elf hin, dann hast du vorher genügend Zeit rumzulümmeln. Ich: So spät hab’ ich keine Lust mehr rauszugehen. Alter Ego: Bah, so spiessig. Früher hat dir das auch nichts ausgemacht. Ich: Früher hatten wir auch einen Kaiser. Ich möchte jetzt einfach einen gemütlichen Abend daheim, basta.

Illustration: Dominik Schefer
Illustration: Dominik Schefer

Mein Alter Ego schweigt beleidigt, während ich mich wieder meinem Roman widme.

Alter Ego (murmelnd): Nächsten Monat können wir bestimmt wieder nicht, und dann ist Sommerpause, im Herbst verreisen wir – das heisst, wir kommen dieses Jahr gar nicht mehr an diese Party. Ich: Was ja auch egal ist. Alter Ego: Ja, aber dort treffen wir doch immer Leute, die wir sonst nie sehen. Ich (zögerlich): Stimmt . . . aber ich bin heute echt nicht in Stimmung.

Damit vertiefe ich mich wieder in mein Buch. Nach einer Weile kichert mein Alter Ego. Ich ignoriere es. Wieder ein Kichern.

Ich: WAS? Alter Ego: Bestimmt ist die halbe Sportgruppe dort und feiert ihr Saturday Night Fever, und du liegst hier wie deine eigene Grosstante. Ich: Na und? Alter Ego: Der Türke ist sicher auch mit von der Partie. Ich (aufhorchend): Meinst du wirklich?

Alter Ego: Na klar! Der lässt sich doch die coolste Party der Stadt nicht entgehen. Ich: Hm, vielleicht könnte ich ja gegen zehn kurz reinschauen. Wenn nichts los ist, bin ich vor Mitternacht wieder hier und guck’ noch einen Film. Alter Ego: Deal! Ich: Aber wehe, ich vergeude dort meine Zeit!

Es ist viele Stunden später, als ich summend und torkelnd in die dunkle Wohnung zurückkehre und von unserem Hund freudig begrüsst werde.

Ich (mich umständlich aus der Jacke windend): Wie spät ist es eigentlich? Alter Ego: Gleich fünf Uhr früh.

Kurz ist es still, dann beginnen wir beide zu kichern.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.

«Sind wir nicht alle ein bisschen kinky?» – Nora und Daniela leben seit zwei Jahren in einer Dom/Sub-Liebesbeziehung. Mit MANNSCHAFT+ sprechen sie über die Lust an der Kontrolle und der Unterwerfung und die «drei Säulen» von BDSM.

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