Queer bei der Polizei? Trans Mann Leon Dietrich wirbt für Vielfalt

Der Polizeioberkommissar ist Ansprechpartner für LGBTIQ bei der Polizei Niedersachsen

Leon Dietrich, Landeskoordinator und Ansprechperson für LGBTIQ bei der Polizei Niedersachsen (Foto: Ole Spata/dpa)
Leon Dietrich, Landeskoordinator und Ansprechperson für LGBTIQ bei der Polizei Niedersachsen (Foto: Ole Spata/dpa)

Schwul wird immer noch als Schimpfwort auf Schulhöfen benutzt, trans Frauen werden in der U-Bahn angepöbelt. Studien zufolge zeigen die Betroffenen queerfeindliche Straftaten meist nicht an. Die Ansprechpersonen für LGBTIQ bei der Polizei wollen das ändern. Ein Bericht von Christina Sticht aus Hannover.

Mit seinem Coming-out hat Leon Dietrich Jahrzehnte gewartet. «Vor 43 Jahren war das Thema Transidentität nicht so bekannt, meine Mutter wusste es nicht besser, und ich wurde früh ins binäre System gedrückt», erzählt der Polizeioberkommissar. «Dagegen habe ich mich natürlich gewehrt, denn ich wusste seit meiner Geburt, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Körperhülle passte nicht.»

Seine Laufbahn bei der Polizei begann er in Nordrhein-Westfalen – noch als Frau. Erst 2020 nahm Dietrich allen Mut zusammen und sagte seinen Vorgesetzten: «Ich bin transident, mein Pronomen ist männlich und mein Vorname ist Leon.»

Die Reaktionen der Kolleg*innen seien durchweg positiv gewesen, erzählt Dietrich. «Sie haben gesagt, dass sie an meiner Seite stehen. Das war einfach sehr berührend und hat mir und meiner Arbeit bis heute sehr viel Kraft gegeben.»

Hätte Leon Dietrich schon nach der Schule den Schritt gewagt, hätte er wahrscheinlich nicht seinen Traumberuf ergreifen können. Denn bei der Polizei ist es erst seit dem 1. Januar 2021 möglich, sich offiziell als trans oder inter Person zu bewerben.

Die Uniform von Leon Dietrich mit der Regenbogen- und Deutschlandfahne als Anstecker (Foto: Ole Spata/dpa)
Die Uniform von Leon Dietrich mit der Regenbogen- und Deutschlandfahne als Anstecker (Foto: Ole Spata/dpa)

Als lesbische Frau gelebt: «Das war erdrückend» In der vorherigen Fassung der Polizeidienstverordnung 300 (PDV 300) galten Brustimplantate oder «der Verlust oder ein diesem gleichzusetzender Schwund beider Hoden» als Ausschlusskriterium.

Er habe lange als lesbische Frau gelebt, aber gewusst, etwas stimme nicht, berichtet der Mann mit den dunklen, dichten Haaren. «Das war erdrückend.»

Die Polizei in Niedersachsen setzt sich laut Dietrich seit vielen Jahren für Vielfalt ein. Schon seit 2012 prüfen niedersächsische Polizeiärzte nach Angaben des Innenministeriums in Hannover nicht mehr, ob die Bewerber*innen bestimmte geschlechtsspezifische Merkmale haben, wie es die bundesweite Dienstvorschrift noch bis Ende 2020 vorsah.

Dietrich ist seit dem 1. Mai 2020 Landeskoordinator der polizeilichen Ansprechpersonen für LGBTIQ in Niedersachsen. Er macht das im Hauptamt, die anderen zehn Ansprechpersonen parallel zu ihrem Hauptjob etwa im Streifendienst. Der 43-Jährige ist Ansprechperson für queere Polizeikräfte, leitet unter anderem interne Schulungen zum Themenfeld und betreibt Öffentlichkeitsarbeit. «Sichtbarkeit schafft Vertrauen und Nähe», sagt er.

Historisch bedingte Vorbehalte gegenüber der Polizei Er vernetzt sich extern mit der queeren Community, in der es historisch bedingt häufig Vorbehalte gegenüber der Polizei gibt. Schliesslich galt Homosexualität in Deutschland bis vor knapp 30 Jahren unter gewissen Umständen als strafbar nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs, der wurde bekanntlich erst 1994 vollständig gestrichen. (MANNSCHAFT berichtete über die Situation vieler schwuler Männer im Nachkriegsdeutschland im Zusammenhang mit dem Film «Grosse Freiheit» mit Franz Rogowski.)

Studien belegen, dass viele Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität Opfer von Hasskriminalität werden (MANNSCHAFT berichtete). Trans Frauen etwa werden in der U-Bahn beleidigt und angepöbelt. Ein besonders schockierender Fall ereignete sich im Herbst 2020 in Dresden: Ein Islamist griff ein schwules Paar mit zwei Messern an, ein Mann wurde ermordet, der andere schwer verletzt (MANNSCHAFT berichtete).

«Polizei Niedersachsen Ansprechperson für LSBTI» steht auf einem Kugelschreiber der Polizeidirektion Hannover (Foto: Ole Spata/dpa)
«Polizei Niedersachsen Ansprechperson für LSBTI» steht auf einem Kugelschreiber der Polizeidirektion Hannover (Foto: Ole Spata/dpa)

Nach Schätzungen werden 80 bis 90 Prozent der queerfeindlichen Straftaten von den Betroffenen nicht angezeigt.

Die neue Bundesregierung will solche Straftaten künftig besser erfassen. Zudem soll ein Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt auf den Weg gebracht werden. Die Ampel-Koalition in Deutschland will auch das Transsexuellengesetz von 1980 in ein Selbstbestimmungsgesetz umwandeln (MANNSCHAFT berichtete).

Seit Leon Dietrich vor knapp zwei Jahren sein Amt als Ansprechperson für LGBTIQ bei der niedersächsischen Polizei angetreten hat, hat sich also viel getan. Im September 2021 sind mit Tessa Ganserer und Nyke Slawik (beide Grüne) zwei trans Frauen in den Bundestag eingezogen.

Viele Menschen sind nicht so gut über das Thema informiert, ihnen mache ich keinen Vorwurf

Aufklärung ist das grösste Anliegen von Dietrich bei seinen Veranstaltungen. «Viele Menschen sind nicht so gut über das Thema informiert, ihnen mache ich keinen Vorwurf», sagt er. Dass aber aus politischen Gründen gegen trans Personen gehetzt werde, findet der 43-Jährige schlimm. Am Internationalen Frauentag hatte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch im Bundestag die Abgeordnete Ganserer angegriffen und parteiübergreifend Empörung ausgelöst.

«Das ist keine Mode-Erscheinung» Die Kölner Autorin Alice Schwarzer warnt davor, dass plötzlich Zehntausende junge Mädchen ihr Geschlecht wechseln wollten. Es werde zum Massenphänomen, kritisiert sie. Die Gründerin der Frauenzeitschrift Emma spricht von einer regelrechten «Trans-Mode» (in MANNSCHAFT kommentierte Tessa Ganserer dies).

Ähnliche Äusserungen hat Leon Dietrich auch schon persönlich erlebt. Teilweise sei Unwissenheit über Transidentität und Intergeschlechtlichkeit der Hintergrund, glaubt er. Deswegen sei es wichtig zu sensibilisieren.

Leon Dietrich während des dpa-Interviews (Foto: Ole Spata/dpa)
Leon Dietrich während des dpa-Interviews (Foto: Ole Spata/dpa)

«Das ist keine Mode oder Mode-Erscheinung», betont Dietrich. Es sei wichtig, dass Jugendliche über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt aufgeklärt werden – was jahrzehntelang nicht geschah. «Wenn ich das früher erkannt hätte, hätte ich diese schwierige Phase nicht durchlaufen müssen.» Kein Mensch, der das nicht erlebt habe, könne das wirklich nachvollziehen.

Ansprechpersonen für queere Menschen bei der Polizei gibt es inzwischen in den meisten Bundesländern, nach Angaben des Verbandes lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol) noch nicht in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen. Laut einer Studie wagen viele queere Polizeibeamte allerdings nicht das Coming-out am Arbeitsplatz, insbesondere schwule Männer.

Leon Dietrich hat den Mut, als trans Person Gesicht zu zeigen. Auch Joschua Thuir, ebenfalls trans, setzt sich unter anderem im Vorstand von VelsPol für die Rechte queerer Polizeibeamter ein. «Wir beobachten eine grössere Offenheit», sagt er. Diese entwickle sich bei den Behörden bundesweit gesehen jedoch nur sehr langsam.

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