Peter Lund und die queeren Musicals an der Neuköllner Oper

Mit LGBTIQ-Musicals tut man sich hierzulande immer noch schwer, umso erfreulicher, dass «Eine Stimme für Deutschland» jetzt wiederaufgenommen wurde

Die Konkurrentinnen bei der Wahl – Regula Hartmann-Hagenbeck von den Grünen (l.) und Alina Deutschmann von der AfD (Foto: MIZAFO)
Die Konkurrentinnen bei der Wahl – Regula Hartmann-Hagenbeck von den Grünen (l.) und Alina Deutschmann von der AfD (Foto: MIZAFO)

Die Neuköllner Oper zeigt das Musical «Eine Stimme für Deutschland» von Thomas Zaufke und Peter Lund ein letztes Mal, mit den dynamischen Studierenden der UdK. Es geht um den erbitterten Wahlkampf zwischen einer Grünen-Politikerin und ihrer AfD-Konkurrentin, die man als nicht-binär beschreiben kann.

Einige Aspekte dieses LGBTIQ-Musicals, das Autor und Regisseur Peter Lund letztes Jahr vor der Bundestagswahl erdacht hat, könnten einem aus der jüngsten Debatte um Tessa Ganserer bekannt vorkommen (MANNSCHAFT berichtete): In «Eine Stimme für Deutschland» geht es um einen Ehemann, der von seiner Frau verlassen wird, als sie ihn in Frauenkleidern im Schlafzimmer antrifft. Er tritt Jahre später als Frau – ohne Geschlechtsanpassung – zur Wahl unter neuem Namen und mit neuer Identität an, der Deadname wird von politischen Gegner*innen öffentlich gemacht, die Frage diskutiert, ob die Kandidatin die politischen Ideale ihrer Partei repräsentieren kann – und wie die Repräsentantin der Grünen darauf reagiert. Eine Schlammschlacht ist (leider) vorprogrammiert.

Nachdem das Stück im Sommer 2021 in Premiere ging, kehrt es nun zum letzten Mal für einen mehrwöchigen Lauf mit ursprünglicher Besetzung zurück. Und zeigt: Die Themen sind nicht veraltet. (MANNSCHAFT berichtete über die Disney+-Doku über Howard Ashman und seine queeren Disney-Musicals.)

Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper sagt zu MANNSCHAFT: «Das ganze Stück ist ein musicalisches Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von Schicht, Herkunft oder sexueller Orientierung/Geschlechtsidentität.» Es ist auch ein Stück, bei dem es nicht möglich ist, eines klare Gut-Böse-Unterscheidung nach Parteilinien vorzunehmen.

Peter Lund hat das Werk zusammen mit den Studierenden der UdK (Universität der Künste) in Berlin erarbeitet. Und wie in vielen Stücken zuvor, hat er dabei queere Charaktere geschaffen und entsprechende Themen in den Fokus gerückt. Damit setzt Lund seit über zwei Jahrzehnten Meilensteine des LGBTIQ-Musicals in Deutschland, die regelmässig an der kleinen Neuköllner Oper in Premiere gehen, bevor sie sich dann ihren Weg zu Stadt- und Staatstheatern bahnen.

Die Studierenden der UdK im Musical «Eine Stimme für Deutschland» an der Neuköllner Oper (Foto: MIZAFO)
Die Studierenden der UdK im Musical «Eine Stimme für Deutschland» an der Neuköllner Oper (Foto: MIZAFO)

Andreas Altenhof zu MANNSCHAFT: «Peter Lund zeigt seit 25 Jahren, dass Musical viel mehr als tanzende Katzen ist. Man kann zu (fast) allen Themen ein Musical machen (von ‹Wunder von Neukölln› über ‹Elternabend› bis ‹Stella›!). Damit hat er das neue deutsche Musical entscheidend geprägt und die Neuköllner Oper zu seinem Zentrum gemacht. Der Studiengang Musical/Show und die Neuköllner Oper werden ihre Kooperation in diesem Sinn fortführen: die Grenzen des Genres ausloten mit Themen und Stoffen, die uns in einer diversen Gesellschaft beschäftigen.»

Sodom und Gomorra Das die Zusammenarbeit mit der UdK fortgeführt wird, ist erfreulich. Denn Peter Lund wird die Universität im Sommer verlassen, um freiberuflich als Autor und Regisseur weiterzuarbeiten. Vorher bringt er als letztes Stück – wiederum mit Thomas Zaufke als Komponist – das Musical «Paradise Lost» mit seinen Studierenden an der Neuköllner Oper heraus. Darin geht es um eine Gruppe von Darsteller*innen, die eine Musicalversion der Bibel auf die Bühne bringen wollen – als Revue über Inzest, göttliche Rache, Vertreibung aus dem Paradies, Sodom und Gomorra und vieles mehr.

Es darf angenommen werden, dass auch dabei viele LGBTIQ-Themen zur Sprache kommen. Die Musicalhistorikerin Olivia Schaaf schreibt gerade an einem Essay über Peter Lund für ein Buch zu queeren Musicals, das im Oktober beim Querverlag erscheinen wird, zusammem mit Texten von diversen anderen Autor*innen.

Autor und Regisseur Peter Lund, wie er auf der Homepage der UdK zu sehen ist (Foto: Matthias Heyde / www.udk-berlin.de)
Autor und Regisseur Peter Lund, wie er auf der Homepage der UdK zu sehen ist (Foto: Matthias Heyde / www.udk-berlin.de)

Schaaf sagt zu MANNSCHAFT: «Peter Lund ist nicht nur Dramatist und Regisseur; seine langjährige Arbeit an der Fakultät Musical/Show an der Universität der Künste in Berlin macht ihn ebenfalls zum Pädagogen und Wegbegleiter für junge Musicaldarstellerinnen und -darsteller. Dass die Studierenden auf Lunds Arbeit im gleichen Mass Einfluss haben wie er auf ihre Entwicklung, zeigen die Ergebnisse einer 25-jährigen Kooperation zur Stückentwicklung mit der Neuköllner Oper. Lund schreibt seit vielen Jahren Musicals für die Abschlussklassen des Studiengangs. Diese variieren ästhetisch und inhaltlich, vereinen allerdings flächendeckend einen Anspruch auf die Verstärkung solcher Stimmen, die im Musical (oder vielleicht gleich im Musiktheater) oft gar nicht oder nur subliminal zu hören sind. Lund erarbeitet die Stücke gemeinsam mit den Studierenden, deren jugendhafte Fragestellungen sich über die Jahre als buntes Muster queerer Figuren und Narrativen in Lunds Musicals bemerkbar machen. Lunds Musicals an der Neuköllner Oper sind damit ein wichtiger Fixpunkt queerer Repräsentation im zeitgenössischen deutschen Musical.»

Joel Zupan als Alina Deutschmann in «Eine Stimme für Deutschland» an der Neuköllner Oper (Foto: MIZAFO)
Joel Zupan als Alina Deutschmann in «Eine Stimme für Deutschland» an der Neuköllner Oper (Foto: MIZAFO)

LGBTIQ-Musicals in Deutschland Von solcher queerer Repräsentation ist das Musical im deutschsprachigen Bereich ansonsten weit entfernt, obwohl gerade am Broadway und dem West End in London so unendlich viele Titel regelmässig in Premiere gehen. Inzwischen haben Streamingdienste begonnen, diese zugänglich zu machen, während die grossen kommerziellen Produzenten hierzulande weiterhin einen Bogen um die entsprechenden Stücke machen (MANNSCHAFT berichtete über «Everybody’s Talking About Jamie» und «The Prom».)

In «Eine Stimme für Deutschland» geht es übrigens nicht nur um eine nicht-binäre Politiker*in, sondern ebenso um ein lesbisches Schülerinnenpaar und um eine homoerotische Freundschaft zwischen zwei Jungs. D.h. das queere Themenspektrum ist – wie immer bei Lund – breit gefächert.

Das «Shooting Star»-Ensemble rund um Taubert Nadalini (Mitte) (Foto: Ed Krieger)
Das «Shooting Star»-Ensemble rund um Taubert Nadalini (Mitte) (Foto: Ed Krieger)

Und während Lund mit Thomas Zaufke an «Paradise Lost» arbeitet, könnte man fragen, wann Zaufkes Musical über die schwule Pornoindustrie – gemeinsam mit Florian Klein alias Hans Berlin in Los Angeles uraufgeführt – endlich nach Berlin bzw. Deutschland kommen wird (MANNSCHAFT berichtete über die Uraufführung).

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