Auf die Plätze, fertig, los! Oder: Warum gehen Schwule so schnell?
Ob aus Gewohnheit, Schutzinstinkt oder zum Beat von Britney Spears – das Phänomen des schnellen Gehens bei Gays ist längst ein Meme.
Das Klischee, dass schwule Männer besonders schnell gehen, ist allgegenwärtig. Aber warum eigentlich? Zwischen Selbstschutz, Popkultur und selbstironischer Emanzipation gibt es viele mögliche Erklärungen. Eine humorvolle Analyse in zehn Punkten.
«Google Maps sagt, zu Fuss brauchen wir zehn Minuten.» – «Okay, wir sind also in fünf Minuten da.»
Ich glaube, es gibt kaum ein Klischee über schwule Männer, das sich in den letzten Jahren – vor allem durch Memes – so stark verbreitet hat, wie jenes, dass schwule Männer schnell gehen. Wirkliche wissenschaftliche Evidenz gibt es nicht dazu, aber es macht tatsächlich Spass, sich Gedanken zu machen, warum das so ist.
Hier meine Top 10:
#1 Dem Blick der anderen entkommen Gesehen werden war in jungen Jahren oft mit unangenehmen Gefühlen verbunden. Angeschaut werden hat immer mit durchschaut werden zu tun. Scham entsteht durch den Blick der anderen. Wenn man flott unterwegs ist, könnte man sich dem Blick der anderen versuchen zu entziehen. Schnell gehen, um zu vermeiden.
#2 Ein inneres Ventil Durch Diskriminierung, Stigmatisierung oder Ausgrenzung entsteht so genannter «Minderheitenstress». Das schnelle Gehen könnte eine Möglichkeit sein, innerlich aufgestauten Stress und Druck loszuwerden.
#3 Bereit sein für die Flucht Viele schwule Männer haben bereits in jungen Jahren die Erfahrung gemacht, gemobbt und körperlich angegriffen zu werden. Wenn man aber schnell unterwegs ist, kann man möglichen Angreifern schneller entkommen und wegrennen. Geschwindigkeit hat hier die Funktion eines Panzers: Man ist nicht zu fassen, nicht angreifbar, wie der Roadrunner bei Bugs Bunny.
#4 Sehnsucht nach einem anderen Leben Viele Biografien von schwulen Männern handeln – auch heute noch – von dem grossen Bedürfnis, von dem Ort, der Situation, den Umständen, in denen man aufgewachsen ist, weg zu wollen. Dem Leben von damals entkommen zu wollen. Das oft jahrelange Zurückhalten des «Wegwollens» zeigt der Körper nach aussen mit schnellem Gehen.
#5 Schwule sind grundsätzlich schnell Vielleicht ist das schnelle Gehen nur ein Aspekt einer – ebenfalls klischeehaften – Schnelligkeit, die vielen Schwulen nachgesagt wird. Eine Schlagfertigeit und Gewitzheit, dem schnellen Erkennen von Schwächen der anderen. Schnelligkeit als Methode, anderen zuvorzukommen. Angriff ist die beste Verteidigung.
#6. Die Popmusik ist schuld Auf Spotify gibt es mehrere Playlists mit dem Titel «gay walking speed» und auf X findet man viele Tweets zu diesem Thema: «Gays walk fast because they learned to walk to the beat of Womanizer by Britney Spears». Die UpTempo-Songs von Beyoncé, Nicki Minaj und Lady Gaga sind also schuld.
#7. Selbstbewusstsein simulieren Wer schnell geht, weiss, wohin er will. Ein schneller Schritt wirkt männlich und eindeutig, selbstbewusst und stark.
#8. Verpasstes nachholen Als junger Schwuler kann man viele Entwicklungsphasen und Erfahrungen nicht angstfrei oder gar nicht ausleben. Das schnelle Gehen könnte ein Symbol dafür sein, das bisher Verpasste nun nachholen zu wollen – und das muss natürlich schnell passieren.
#9. Neue Generation von Klischees Das schnelle Gehen ist eines jener «neuen» Klischees, die eine gewisse Selbstironie in sich tragen. Auf X lese ich: «It’s a correlation with the other stereotype of living downtown and not having a car. When you walk everywhere, you walk fast.»
#10. Klischee als Emanzipation Ich kann mir gut vorstellen, dass das Klischee vom schnellen Gehen ein selbstgewähltes ist. Ein Klischee, das nicht von anderen bestimmt wurde. Eines, das wir selbst gerne verwenden und über welches wir schmunzeln können.
So, Liste ist fertig. Jetzt schnell einkaufen gehen.
Peter Fässlacher
Er ist Moderator und Sendungsverantwortlicher bei ORF III und Stimme des Podcasts «Reden ist Gold» über die Liebe und das Leben mit Menschen der LGBTIQ-Community. Er lebt in Wien.
[email protected] Illustration: Sascha Düvel
Weitere Beiträge von Peter gibt's in der Kolumne «Reden ist Gold»
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