«Nackt über Berlin»: Die (schwule) Bromance von Jannik und Tai
Axel Ranisch hat seinen eigenen Erfolgsroman verfilmt
Die Serienfassung von «Nackt über Berlin» wird diese Woche in den Mediatheken von ARD und Arte freigeschaltet. Lorenzo Germeno und Anh Khoa Tran spielen darin ein ungewöhnliches (Liebes-)Paar.
«Es ist endlich so weit. Mein Göttergatte Axel Ranisch lässt seine fulminante Serie ‹Nackt über Berlin› auf die Welt los», schreibt Paul Zacher auf Facebook. «Die Nerven werden gehörig mit Spannung gepeitscht, die Lachmuskeln massiert und das Herz gewärmt. Eben ein echter Ranisch. Mit so unglaublich tollen Menschen vor und hinter der Kamera. Schaut rein und überzeugt euch selbst.»
Die Rede ist hier von der neuen sechsteiligen Serie à 45 Minuten, die im Auftrag von Arte und dem SWR gedreht wurde und ab Donnerstag dieser Woche in der Mediathek von Arte und ARD abrufbar sein wird. Am 12. Oktober wird sie auch bei Arte ausgestrahlt (20.15 Uhr), ab 13. Oktober im Ersten Deutschen Fernsehen (22.20 Uhr).
«Irre Liebesgeschichte zum Einsaugen» Es handelt sich um die Verfilmung von Ranischs Erfolgsroman «Nackt über Berlin», der 2018 beim Ullstein Verlag erschien – als «irre Liebesgeschichte zum Einsaugen», wie Ulrike Folkerts schrieb. Im Zentrum der Geschichte stehen die beiden Teenager Jannik und Tai, die von ihren Mitschüler*innen gnadenlos gemobbt werden wegen ihres Andersseins und gehässig «Fetti» und «Fidschi» genannt werden, weil Jannik als übergewichtiger Junge nicht dem Standardkörperideal entspricht, das viele aus TV und Werbung und der Sportschau kennen und weil Tais Familie aus Asien stammt.
In typischer Bromance-Manier verbünden sich die beiden gegen den Rest der Welt, wobei die Besonderheit ist, dass Jannik schwul ist und hoffnungslos verliebt in Tai, für den er alles tun würde, um ihm seine Zuneigung zu beweisen. Weil er aber gleichzeitig glaubt, diese Liebe nicht zu verdienen (die er für unmöglich hält, weil er lange glaubt, Tai sei hetero), versucht Jannik auch, seine Gefühle nicht zu zeigen. Was zu einer spannenden emotionalen Achterbahn führt, als die beiden Teenager eines morgens den Rektor ihrer Schule sturzbetrunken auf der Strasse finden und in seiner stylischen Wohnung in Berlin-Mitte einsperren – mit Panoramablick auf den Fernsehturm.
Was anfangs wie ein Scherz wirkt, wird schnell eine handfeste Entführung. Denn Tai geniesst es, «Gott» zu spielen (wie er sich in anonymen Botschaften an den Lehrer selbst nennt). Er zwingt den Lehrer mit immer neuen psychologischen Foltermethoden zu einem Seelenstriptease. Daraus wird umgekehrt für Jannik ein Höllentrip, als er merkt, dass Tai ihn als Partner-in-Crime ausnutzt und eigentlich ein ganz anderes Spiel mit dem Lehrer spielt – nämlich einen Racheakt verübt für den Selbstmord einer Mitschülerin.
«Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden» Irgendwann muss sich Jannik entscheiden, wie weit er aus heimlicher Liebe mitgehen will. Und wo er einen Schlussstrich setzt und sich emanzipiert von seinen Gefühlen, aber auch von seinen Minderwertigkeitsgefühlen, die ihn dazu bringen zu glauben, er habe gar keine andere Chance einem Mann näher zu kommen, als so, wie Tai ihn zwingt zu agieren.
«Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden», sagte Ranisch anlässlich der Buchveröffentlichung. Und man kann in Jannik ziemlich leicht eine Art Alter Ego von Ranisch sehen, der im MANNSCHAFT+-Interview einmal sagte, er habe sich selbst immer für hässlich gehalten, wegen seines Körpers, bis er seinen Schulfreund Peter später im Leben wiedertraf und feststellte, dass dieser seine Gefühle erwiderte. Inzwischen sind die beiden verheiratet und haben viele gemeinsame Projekte realisiert, inklusive ein Hörspiel über ihre Beziehung (MANNSCHAFT berichtete).
Quasi als Ranisch-Double schlüpft in der Serie der 19-jährige Lorenzo Germeno in die Rolle des Jannik. Der in München geborene Schauspieler war schon in Filmen und Serien wie «Winnetous Sohn», «Wendy – Der Film» und «TKKG» (als «Klösschen») zu sehen. Er trifft den liebeswerten Nerd mit Faible für klassische Musik gut.
«International F*aggot Artist» Newcomer Anh Khoa Trần als Tai beschreibt sich selbst auf Instagram als «International F*aggot Artist», also als «Schwuchtelkünstler».
Ausserdem charakterisiert sich Anh Khoa Trần als Sänger, Schauspieler, Voguer und Model. Als Duo sind die beiden definitiv eine Erweiterung des Spektrums, was man sonst bei queeren Teenager-Liebesgeschichten à la «Heartstopper» oder «Young Royals» kennt (von Produktionen wie «All You Need» ganz zu schweigen). Und das ist sehr gut so.
Dass das Ganze von der ARD und von Arte als Thriller vermarktet wird, statt als bewegende Liebesgeschichte zwischen zwei Jungs, mag man verwunderlich finden. Im Trailer ist jedenfalls nichts «Schwules» erkennbar, was bedauerlich ist.
Coming-of-age-Dramedy Axel Ranisch hat das Drehbuch zusammen mit Sönke Andresen geschrieben, mit dem er schon «Ich fühl‘ mich Disco» realisiert hatte, ebenso seinen letzten Kinofilm «Ophelia in Love». Ob es den beiden wirklich überzeugend gelingt, über den vergleichsweise langen Zeitraum von 270 Minuten Gesamtserienspieldauer den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten, darüber kann man streiten.
In einer ersten Kritik heisst es: «‹Nackt über Berlin› vereint all das, was Axel Ranisch und seine Filme so besonders, ja so besonders gut und aussergewöhnlich macht: die Sympathie für seine ebenso nerdigen wie liebenswerten Anti-Helden, Aussenseiter, die sich nicht verbiegen lassen. Es ist nicht die Geiselnahme, die dieser Serie ihren Sog verleiht: Komödie, Tragikomödie, Thriller, Coming-of-age-Dramedy, ein erschütternder Drama-Plot, eine Freundschaftserzählung, Musical- und Fantasy-Elemente – die Mischung aus Genres, Stimmungen, Bildern macht‘s.»
Charakterkopf Thorsten Merten, aus unendlich vielen Krimis bekannt, spielt den Schuldirektor. Ausserdem dabei sind Devid Striesow, Kathrin Angerer, Alwara Höfels, Christina Grosse, Sidney Fahlisch, Heiko Pinkowski, Serafin Mishiev, Stephan Luca, Thandi Sebe und Leander Lesotho.
«Neues Deutsches Fernsehen» Im Sommer wurde die erste Folge von «Nackt über Berlin» beim 40. Filmfest München vorgestellt in der Sparte «Neues Deutsches Fernsehen». In wie fern diese Art von «Neuem Deutschen Fernsehen» konkurrenzfähig ist mit internationalen LGBTIQ-Erfolgsserien, die Netflix und Amazon Prime, Disney+ oder Paramount anbieten, hängt stark davon ab, was man persönlich erwartet, auch von deutschen Drehbuchautor*innen.
Besonders schön an der Serie sind die vielen Momente mit klassischer Musik. Das ist bei einer Ranisch-Produktion nicht anders zu erwarten, aber trotzdem ein Alleinstellungsmerkmal, das man so nirgends sonst findet. Im Trailer ist Vivaldi zu hören, aber im Zentrum des Soundtracks steht Tschaikowsky, die Gay-Ikone der Musikgeschichte schlechthin (MANNSCHAFT berichtete). Niemand hat so wie er die emotionale Zerrissenheit zwischen schwuler Liebe und hoffnungsloser Bewunderung für einen anderen Mann, gesellschaftliche Ausgrenzung und triumphalem Überwinden aller Hindernisse so genial in Musik gefasst wie er. Somit passt er perfekt zu dieser Geschichte von Jannik und Tai – und zum eingesperrten Lehrer, der zu seiner eigenen verkorksten Vergangenheit stehen muss.
Wie Peter Zacher schon sagte: «Schaut rein und überzeugt euch selbst.»
Der schwule russische Regisseur Kirill Serebrennikov hat einen Kinofilm über die verunglückte Ehe von Tschaikowsky gedreht (MANNSCHAFT berichtete).
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