Mein Coming-out: «Ich hätte es zehn Jahre früher tun sollen»

Michael erzählt seine Geschichte

Vor seinem Coming-out hatte Michael stets Angst, dass ihn jemand entlarven könnte. (Bild: zvg)
Vor seinem Coming-out hatte Michael stets Angst, dass ihn jemand entlarven könnte. (Bild: zvg)

Soll man sich heute noch outen müssen? In unserem Coming-out-Special antworten neun Menschen – dies ist die Geschichte von Michael aus Salzburg.

«Ich bin in Wien aufgewachsen und komme aus einer liberalen Familie. Im frühen Teenageralter merkte ich, dass ich schwul sein könnte. Mein inneres Coming-out hatte ich am Ende meiner Teenagerzeit. Danach rang ich mit mir, wie ich es meiner Familie und Freunden sagen könnte. In dieser Zeit, immerhin fast zehn Jahre, verstellte ich mich.

Als ich mit 25 des Berufs wegen von Wien nach Salzburg zog, begann ich zaghaft die Community zu kontaktieren, allerdings in München, denn in Österreich hatte ich Angst, dass mich jemand sehen könnte. Danach ergriff ich die Gunst der Stunde und nutzte den ersten Corona-Lockdown als indirekten Neubeginn. Zuerst outete ich mich bei engeren Freund*innen, danach bei jüngeren Familienmitgliedern. Das Echo hat mich zwar leicht irritiert (man merke es mir nicht an), es war aber positiv. Ich outete mich bei immer mehr Leuten, bis ich letztes Jahr im Pride-Monat den Mut aufbrachte, es meinen Eltern zu erzählen. Sie reagierten auch offen und positiv.

Vermutlich bin ich damit einem unfreiwilligen Outing zuvorgekommen, da ich wegen der mutmachenden Reaktionen immer offener mit meinem Schwulsein umgegangen war. Es war nur eine Frage der Zeit, bis meine gesamte Familie es «herausgefunden» hätte. Fast zeitgleich schrieb ich auf Facebook einen längeren Coming-out-Beitrag, der verdammt viele Likes bekam und mich bestärkte.

Seit diesem finalen Coming-out lebe ich meine Sexualität offen aus. Sollten Gespräche, selbst mit fremden Personen, in Richtung Familie oder Beziehung gehen, sage ich selbstbewusst, dass ich schwul bin.

Dazu auch unsere Umfrage der Woche:

Das Coming-out hat aus mir keinen neuen Menschen gemacht, aber ich muss niemanden mehr spielen, der ich nicht bin. Das hat mich befreit.

Mittlerweile sind Schwule in der Gesellschaft grösstenteils akzeptiert, sie werden aber noch zu oft in ein feminines, modebewusstes Klischee gepackt. Deshalb ist ein Coming-out für Leute wie mich, die nicht in dieses Klischee passen, noch notwendig. Ich bin kein Typ, der auf schrille Outfits oder dergleichen steht.

Das ist also meine Geschichte, mit dem einzigen Schönheitsfehler, dass ich mich zehn Jahre früher hätte outen müssen – finde ich heute. Ich rate jedem, der aus einem aufgeschlossenen Umfeld kommt, nicht zu lange zu warten. Sobald du es selbst weiss, beginne bei einzelnen Personen und wenn du feststellt, dass keiner ein Problem hat, ziehe es schnell durch. Das Leben lebt sich so gemütlicher und man kann sein, wer man ist. Unsere Gesellschaft in Mitteleuropa ist mittlerweile so weit.»

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