«Meilenstein gegen Vereinsamung» – Das lesbische Wohnprojekt in Berlin
Der Rohbau ist fertig. Wie geht es weiter?
Das Projekt des Rad und Tat Verein will bezahlbaren Wohnraum für lesbische Frauen schaffen. Die Bewerbungen kommen auch aus der Schweiz und Österreich.
Es ist schon viele Jahre her, seitdem die Mitarbeiter*innen des Berliner Rad und Tat Vereins (RuT) erstmals über ein lesbisches Wohnprojekt gesprochen haben. Seit 2008 wurden verschiedene Ansätze verfolgt – nun wurde der Plan endlich umgesetzt.
Nachdem im Januar der Grundstein gelegt wurde, ist der Rohbau an der Berolinastrasse jetzt abgeschlossen. Das lesbische Wohnprojekt, das von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WBM in Kooperation mit dem queeren Verein Rad und Tat errichtet wird, nimmt immer weiter Gestalt an. Wir haben mit Anna Maria Oelkers gesprochen, die als stellvertretende Projektleitung für Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung an dem Projekt beteiligt ist.
Status Quo: Der aktuelle Stand des Bauprojekts
Auf dem Gelände eines ehemaligen Parkplatzes in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes wird derzeit der Wohntraum des RuT Vereins Realität. Der Rohbau steht bereits, als Nächstes steht der Innenausbau an. Bisher laufen die Bauarbeiten Oelkers zufolge planmässig.
Wir müssen immer Eigenmittel beisteuern, dafür brauchen wir Spenden.
Anna Maria Oelkers
Dass das Projekt in Gang ist, bedeutet allerdings nicht, dass seine Finanzierung gesichert ist. «Wir erhalten öffentliche Fördermittel, die bestimmte Bereiche unserer Arbeit unterstützt, und zusätzlich eine Förderung durch die Lottostiftung. Allerdings müssen wir auch immer Eigenmittel beisteuern, und dafür brauchen wir unter anderem Spenden», erklärt Oelkers.
Um sie zu akquirieren, gab es in der Vergangenheit bereits grosse Spendenaktionen und viele queere Unternehmen haben sich mit dem Wohnprojekt solidarisiert. Aber gerade in der Community sind die finanziellen Mittel oft begrenzt. Deswegen ist das Projekt weiterhin auf Spenden angewiesen.
Mehrfachdiskriminierte vor – Wer zieht ein an der Berolinastrasse?
Der Rad und Tat Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, mehrfachdiskriminierten Lesben bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen, in dem sie in Gemeinschaft leben können. Auch pflegebedürftige Personen und Rollstuhlnutzer*innen sollen hier ihren Platz finden – natürlich in barrierefreien Wohnungen.
Das Konzept findet grossen Anklang, wie Oelkers berichtet. «Wir haben eine sehr grosse Anzahl an Bewerbungen – und das nicht nur aus Berlin, sondern auch aus dem Ausland, beispielsweise aus der Schweiz und Österreich. Einige Interessierte reisen sogar extra für unsere Bewerberinnentreffen an, was zeigt, wie viel Engagement und Interesse hinter dem Projekt steckt. Der Bedarf für ein Wohnprojekt für lesbische Frauen ist eindeutig da.»
Dem RuT-Team ist es wichtig, eine stimmige Gesamtkonstellation der Mieter*innen zusammenzustellen. «Letztlich ist es jedoch davon abhängig, wie gut die jeweilige Art von Wohnung zu den Bedürfnissen der Bewerber*innen passt», erklärt Oelkers. «Deshalb ist es gut, wenn sich möglichst viele Personen bewerben. Wenn jemand abspringt oder sich unvorhergesehene Veränderungen ergeben, ist es hilfreich, wenn wir eine grosse Auswahl an Bewerber*innen haben. Dann können bei Bedarf passende Personen nachrücken.»
Noch kann man sich für die Wohnungen an der Berolinastrasse bewerben. Da die Baukosten in den letzten Jahren massiv angestiegen sind, sei es allerdings möglich, dass sich auch die Mietpreise verändern. «Wir bemühen uns dennoch kontinuierlich darum, die Mieten so erschwinglich wie möglich zu halten», sagt Oelkers.
Herausforderungen und Chancen
Die steigenden Baukosten und die unsichere Finanzierung sind bei weitem nicht die einzigen Herausforderungen, die das Wohnprojekt überwinden muss. «In Berlin wird deutlich, dass Wohneigentum überwiegend männlich dominiert ist, was die Realisierung bestimmter Bedarfe für alternative Wohnformen erschwert. Stadtplanung orientiert sich oft am Modell der heteronormativen Kleinfamilie, und Wohnraum für alternative Lebensformen und Gemeinschaften durchzusetzen, ist nicht einfach», erklärt Oelkers.
Beim RuT-Wohnprojekt stehen alternative Wohn- und Lebenskonzepte jedoch im Fokus. Auch gegenseitige Unterstützung ist ein zentraler Punkt, der durch die Struktur des Hauses gefördert wird. «Das Projekt ist ein gezielter Schritt, um Vereinsamung entgegenzuwirken», sagt Oelkers. «Unser Ziel ist es, Menschen in Kontakt zu bringen und eine echte Nachbarschaft zu fördern, in der man nicht nur nebeneinander, sondern tatsächlich miteinander lebt.»
Dass Oelkers und ihr Team mit einigen Herausforderungen konfrontiert werden, liegt auch daran, dass es in Deutschland kein vergleichbares Projekt gibt, das den Weg bereits geebnet hat. «Wir gelten hier als Leuchtturmprojekt», sagt Oelkers. Nach den vielen Jahren der Planung und einem gescheiterten Versuch, ein lesbisches Gemeinschaftshaus zu errichten, ist das Team nun besonders stolz über die finale Umsetzung. «Es ist ein grosser Meilenstein, dass wir nun endlich kurz davor stehen, das Projekt zu realisieren.»
Dieses Jahr wurde in Zürich das Haven99, das erste Deutschschweizer Schutzhaus für Queers, eröffnet. Die Casa Resistencias, eine analoge Institution in Rio de Janeiro, existiert schon länger. Die Mission: Menschen aus der Community ein (vorübergehendes) Zuhause bieten (MANNSCHAFT berichtete).
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