«Marinette»: Der Aufstieg einer lesbischen Fussballlegende
Der französische Film ist auf verschiedenen Streaming-Plattformen verfügbar und erscheint nun auf DVD
Der Traum, ein Fussballstar zu werden, der Kampf für den Frauenfussball und die Entdeckung der Liebe zu Frauen. «Marinette» ist ein Stück Sportgeschichte – vor allem aber die persönliche Geschichte der französischen Legende Marinette Pichon.
Von: Gioia Niessner
Doch Marinette Pichon ist eine Fussballlegende. Lang führte sie die Liste der Torschützenkönig*innen an – ja, der Frauen und Männer. 81 Tore in 112 Länderspielen mit dem französischen Nationalteam, viermal Torschützenkönigin in der französischen Liga, die erste französische Spieler*in mit einem Vertrag in der US-Liga – das die beeindruckende Bilanz der Fussballerin.
Dass Pichon wenig bekannt ist, hat viel mit den Problemen im Frauenfussball zu tun. Probleme, die Pichon während ihrer Karriere anprangerte und aktiv bekämpfte, wie auch im Film «Marinette – Kämpferin. Fussballerin. Legende» gezeigt wird.
Marinette Pichon wurde mit 18 Jahren zur Nationalspielerin Wir schreiben das Jahr 1980. Ein kleines Mädchen sprintet zum Fussballplatz, um den Jungs vom Spielrand aus zuzuschauen. «Willst du mitspielen?», fragt der Trainer das Mädchen.
«Ich darf nicht.»
«Warum nicht?»
«Weil ich ein Mädchen bin.»
Das kleine Mädchen ist – Überraschung – Marinette Pichon. Mit der Szene beginnt das Biopic «Marinette. Kämpferin. Fussballerin. Legende» der Regisseurin Virginie Verrier aus dem Jahr 2023.
Natürlich schaut die kleine Marinette bald nicht mehr vom Spielrand zu, sondern spielt selbst. Schnell wird Marinette (gespielt von Garance Marillier) zu einer gefürchteten Scorerin mit dem Ziel, Profifussballerin zu werden. Marinette bekommt die Ablehnung gegen fussballspielende Mädchen spüren. «Hey Tussi, du hast hier nichts zu suchen, spiel mit deinen Puppen!», kriegt sie auf dem Spielfeld von Jungs zu hören.
Doch Marinette spielt nicht mit Puppen, sondern mit dem Fussball. Und zwar richtig gut. Sie schafft es in die höchste Liga und wird mit 18 Jahren Nationalspielerin. Nach ihrem Wechsel in die USA wächst sie zur Leaderin im Nationalteam heran.
210 Francs: So lausig ist die «Aufwandsentschädigung» pro Spiel, welche die Spielerinnen erhalten. Marinette wird zur Advokatin des Frauenfussballs – und zur Kritikerin des französischen Fussballverbandes. Die verpasste Qualifizierung für die WM 2007 bezeichnet sie als «Systemversagen». Nicht die Spielerinnen seien schuld.
Marinette Pichon hatte ihr Coming-out drei Jahre nach dem Rücktritt Doch der Film ist mehr als ein reiner Fussballfilm. Er basiert auf Pichons Autobiografie «Ne jamais rien lâcher» (Niemals aufgebeben) und zeigt auch ihre persönliche Lebensgeschichte.
Etwa wie Marinette ihre Queersein entdeckt. Im Film wird ihre Liebe zu Frauen mit Marinettes heimlichen Blicken in der Dusche eingeführt.
Und auch als Pichon in den USA spielt, ist das Queersein präsent: «Here, what you eat, who you fuck, nobody cares», sagt eine Mitspielerin und küsst eine andere Teamkollegin. «Solange du Tore schiesst, ist alles egal.» Im Film outet sich Marinette während einer Pressekonferenz als lesbisch, in Wahrheit tat sie das erst drei Jahre nach ihrem Rücktritt.
Hör lieber auf mit Fussball, du Lesbe!
Der Film zeigt aber auch die Queerfeindlichkeit, die Pichon erlebte. «Hör lieber auf mit Fussball, du Lesbe», schreit einer aus dem Publikum, als Marinette wieder zurück in Frankreich ist.
Die Szene, als Marinette erstmals Torschützenkönigin wird, ist zur gleichen Zeit rührend wie schmerzhaft: «Du bist die Liebe meines Lebens», sagt sie zu ihrer Partnerin nach dem Erhalt der Trophäe. «Wenn wir könnten, würde ich dich heiraten.» Wenige Jahre später sind Marinette und ihrer Partnerin eines der ersten gleichgeschlechtlichen Paare, die heiraten. In Frankreich ist die Ehe für alle seit 2013 in Kraft.
«Marinette» transportiert Emotionen auf eine subtile Art Der Film erzählt auch von der häuslichen Gewalt, mit der Marinette aufwächst, und in der sie sich als Erwachsene wieder findet. Der Vater, der mit dem Weinglas in der Hand auf dem Sofa einschläft. Der Vater, der eben diese Hand gegen Marinettes Mutter erhebt. Der Vater, der die bettlägerige Schwiegermutter vergewaltigt. Und die Hand von Marinettes Partnerin in den USA, die Marinettes Hals zudrückt.
Das Biopic spielt mit Zeitsprüngen und Rückblenden: Besonders eindrücklich ist die Szene, in der Marinette für eine Zeit vom französischen Fussball ausgeschlossen wird. Das Publikum sieht Marinettes Vater, der einen Fussball mit dem Messer zerfetzt. Marinette steht da, die grosse Schwester legt ihr die Hand auf die Schulter.
Marinettes Stimmung färbt sich auf den Film ab. Die Regisseurin Virginie Verrier schafft es, diese Stimmungen und Emotionen im Film und auf das Publikum zu transportieren.
Die Gefühle der Protagonistin werden zwar nur subtil gezeigt, was sie aber nicht schwächt. Im Gegenteil: Mensch leidet mit Marinette mit – mit dem Kind, das unbedingt mit den Jungs Fussball spielen möchte, mit der Jugendlichen, die ihren grossen Traum verfolgt und mit der Erwachsenen, die für ihr Team und den Frauenfussball kämpft. Dazu trägt auch die Schauspielerin Garance Marillier bei.
Der französische Frauenfussball begeistert «Marinette – Kämpferin, Fussballerin, Legende». Schon der Titel macht klar, dass der Film vieles in einem ist: Französische Fussballgeschichte, ein Beitrag zu Frauenrechten und eine Darstellung von frauenliebenden Frauen in den 90er- und 00er-Jahren.
Diese Vielseitigkeit ist vielleicht auch die einzige Schwäche des Biopics. Bei vielen Themen kratzt der Film nur an der Oberfläche, zu wenig geht Regisseurin Verrier in die Tiefe. Gerade bei Pichons Liebe zu Frauen und dem Coming-out wäre es schön gewesen, mehr von Pichons Innenleben zu erfahren.
«Glauben Sie, dass der Frauenfussball einst genauso begeistern kann wie der Männerfussball?», wird Pichon im Film während einer Pressekonferenz gefragt. Marinette beantwortet die Frage nicht.
Stand Juni 2024 sind die französischen Fussballerinnen die Nummer zwei der Welt.
Die Frauen-WM 2023 lockte so viele Zuschauer*innen wie noch nie in die Stadien.
Der Frauenfussball begeistert. Tat er schon immer – genauso wie der Männerfussball.
«Marinette – Kämpferin, Fussballerin, Legende», F 2023, Regie und Drehbuch: Virginie Verrier, 93 Minuten.
Wo streamen? Youtube, AppleTV, Amazon Prime und Google Play Filme & Serien. An diesem Donnerstag erscheint der Film zudem auf DVD.
Mehr: Bei den Olympischen Spielen waren über 100 queere Athlet*innen dabei, die für ihre Nationen und genauso Team Regenbogen antreten (MANNSCHAFT berichtete).
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