Marcel Mann: Coming-out an Opas Sterbebett

Der Comedian mannstruiert wieder (Teil 4)

Foto: Henrik Pfeifer
Foto: Henrik Pfeifer

Marcel Mann nimmt sich diesmal eines eher unkomischen Themas an – dem Sterben. Hier ist Folge 4 seiner Mannstruation.

Und? Heute schon Facebook geöffnet und dir damit den Tag versaut? Ich meine unabhängig von dieser Kolumne … Schon überlegt, Facebook nie wieder zu besuchen weil ein kausaler Zusammenhang zwischen dem dritten geteilten Artikel über eine beliebige Verletzung der Menschenrechte (oder Verbreitung von Verschwörungsmythen durch ehemalige Schulkameraden) und deinem gestiegenen Blutdruck besteht?

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In sensiblen Momenten scheint mir, das ganze Leid der Welt und die sozialen Defizite meiner entfernten Verwandtschaft werden lediglich minimal aufgearbeitet bei Facebook präsentiert. Wobei gerade die Defizite eher voller Scham in einer Kiste auf dem Dachboden verwahrt werden sollten. Weit weg von Menschen wie mir, die sich gerne informieren, aber nicht im Sog der Verdummung in Richtung Herzattacke gezogen werden wollen.

Ich frage, da ich gerade vor einer alten Kiste mit Familienfotos sitze, und dort wäre noch reichlich Platz für die Meinung von Menschen, die wirklich wissen, was abgeht, die begriffen haben, dass wir alle fremdgesteuerte Schlafschafe auf dem Weg zur Schlachtbank sind. Viel Platz für «Freiheit!1» und „Wir sind das Volk1!1»-Brüller.

Ich selbst zähle mich nicht zu dieser, durch geheime Quellen, informierten Widerstandskämpfer. Lediglich einmal habe ich in einem Forum geschrieben dass Beatrix von Storch aussieht wie ein Bild, das von jemandem gemalt wurde, der nicht malen kann. Hui, Widerstand! Und Bodyshaming. Aber seien wir ehrlich, manche Menschen haben eben ein Gesicht, bei dem selbst Picasso sagen wurde: Leute, achtet mal ein bisschen auf Symmetrie.

Sei’s drum, heute wollte ich mit euch über das allseits beliebte, sehr aktuelle und pfiffige Thema Tod sprechen. Es ist ein Tabuthema. Packen wirs an. Erwartet keine Lifehacks. Ich denke oft über meinen Tod nach. Sterben ist in meinem Leben eine tägliche Option. So wie ich die Strasse überquere, in der Provinz, mit einem Mann, dessen Hand ich halte …

Ich weiss auch schon genau wie ich meine Beerdigung ausrichten würde. Fast exakt so wie einen Kindergeburtstag. Da wird ja bekanntermassen auch gerne viel geheult. Thematisch also gar nicht so weit weg. Das Motto wäre:. «Blöd dass du gestorben bist, ab heute wirst du sehr vermisst!»

Liebend gerne hätte ich eine Hüpfburg, eine die wirklich aussieht wie ein Schloss mit Zinnen und Türmchen, in der die Kinder der Verwandtschaft rumspringen und man meinen eingewickelten Leichnam noch mit reinwerfen könnte. Dann hätten die kleinen Racker endlich einen Grund, richtig hoch zu hüpfen.

Kommt mir jetzt nicht mit Seuchenschutzgesetz. Ach, das ist doch Bevormundung. Ich möchte die Freiheit der Kinder doch nicht mit meiner Verwesung beschneiden. Kinder sind das zukünftige Volk!1! Und Musik, natürlich gäbe es Musik. Niemand erinnert sich an die Serviettenringe vom Leichenschmaus aber an die Musik. Zum Beispiel «I will survive» oder, nee… «Unter der Erde, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…», oder «Hörst du die Regenwürmer husten» Was Geschmackvolles halt.

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Ich weiss, das ist ein ernstes Thema, darüber sprechen wir in Mitteleuropa nicht. Und wenn doch muss mindestens ein überteuerter Kranz mit Banderole drum. Aber ich finde man sollte über den Tod sprechen können. Gerade in diesen Zeiten. (Autor blickt auf die Uhr) Montagnachmittag, 14 Uhr. Wir sprechen auch über das RTL-Nachmittagsprogramm und das ist viel tragischer.

Ich hab mal zum Thema recherchiert – nicht bei YouTube, ich hab ja meine Würde nicht verloren -, sondern in der Familie. Denn dieses Jahr sind meine Grosseltern gestorben. Ha! Brüller. Nein an der Stelle solltet Ihr nicht lachen … Timing ist wichtig. Nicht nur beim Pferderennen und Eierkochen. Das Sterben ist ein Teil vom Leben. Und ich finde es absurd, dass das manchmal zu einem solchen Tabuthema gemacht wird. Gerade in den Zeiten, in denen manche Menschen, diese penetrant lauten Menschen im Internet, die Ursachen des Todes abstreiten und zeitgleich nicht mit dessen Kosequenz konfrontiert sein wollen.

Wenn Ihr Arschlöcher wollt, guckt Euch Bilder von Hygiene-Demos an.

Wenn ich darüber reden würde, dass ich aus Versehen mit der Faust in das Rektum des Nachbarshundes gerutscht bin, lachen alle. Ha, ha, Fisting. Das ist deutscher Humor. Aber Sterben? Nee. Rede wieder von dem süssen Hundchen mit den Arschloch. Dem kleinen Hundchen mit den Arschloch. Nee, ich möchte nicht mehr über Arschlöcher sprechen. Wenn Ihr Arschlöcher wollt, guckt Euch Bilder von Hygiene-Demos an. Um Missverständnissen vorzubeugen, ich rede nicht von dem Fall dass jemand viel zu jung von uns geht, oder durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wird. Oder davon, dass du 12 bist und dein Hamster abnippelt, aber in meinem Fall sind meine Grosseltern einfach eingeschlafen.

Sie sind beide friedlich eingeschlafen. Nach einem langen, freudlosen Leben. Meine Oma wurde 97 mein Opa 98 Jahre alt. So knapp vor der Hundert. Und was sagt uns das? Richtig. In meiner Familie wird nichts zu Ende gebracht. Meine Oma ist an einem Mittwoch um 13 Uhr von uns gegangen. Wir können also davon ausgehen dass ihr bereits verstorbener Ehemann seit diesem Mittwoch um 13:01 Uhr nicht mehr in Frieden ruht.

Meine Oma war so ein richtiges Hutzlweib, nur noch eine Reduktion von Mensch, ganz verschrumpelt. Sie hat die letzen Jahre im Heim gelebt. Sie hatte Demenz. Und ihr gings gut. Die kannte den Klimawandel gar nicht, die dachte sie sei in den Wechseljahren. Sie hatte nie von der kleinen aber feinen Reportagereihe namens Naked Attraktion gehört. Meine Oma verliess die Welt im Glauben, die Menschen im Fernsehen wäre angezogen. Sie lebte ihr best life.

Mit Humor und knappen Höschen gegen Homophobie und Sexismus

An ihrem letzten Tag sass meine Mama am Bett meiner Oma, hat ihre Hand gehalten und ganz liebevoll zu ihr gesagt: Mama, entspann dich, du kannst gehen. Die Engel warten auf dich. Lass los. Flieg mit den Engeln. Das Fenster ist offen. Meine Tante die auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes sass, eine sehr pragmatische Frau, guckte nur irritiert zum Fenster und erwiderte patzig: So ein Blödsinn, wie soll das denn gehen? Da ist doch ein Fliegengitter dran.

Mein Opa, der Vater meines Vaters, hat uns dieses Jahr verlassen. Er hat sich in seinen letzten Tagen noch an seinen Alleinerben erinnert. Ich hab Geschwister, aber ich bin optimistisch. Eines Tages rief er mich zu sich, ihm ging es schon nicht mehr so gut und ich dachte: Oh jetzt erfahre ich wo die Sparbücher sind. Spoiler: Es gab keine Sparbücher. Letztendlich hat mir mein Opa am Sterbebett anvertraut dass meine Urgrosseltern den Holocaust überlebt haben. Weil sie Nazis waren. Mein Urgrossvater, also sein Vater, Mitglied in der NSDAP war. Er war auch gar kein so kleines Rädchen in der Partei und jetzt drei Generationen später bin ich Teil der Familie. Jetzt sagt mir nicht, es gäbe kein Karma.

Gott sei Dank, ich bin nicht das schwarze Schaf der Familie.

Und das Schöne an der Geschichte ist, seit den 50er Jahren versucht meine Familie dieses Familiengeheimnis unter den Teppich zu kehren und jetzt komm ich, und erzähle es in jedes Mikrofon der Republik. Nicht des Deutschen Reiches. Der Republik. Alle anderen hätten bei der Nazi-Beichte schockiert reagiert. Ich war nur erleichtert und dachte: Gott sei Dank, ich bin nicht das schwarze Schaf der Familie.

Und da mein Opa und ich so einen schönen intimen Moment hatten, habe ich ihm anvertraut: „Opa, ich liebe Männer.“ Genau in diesem Moment ist er verstorben. Mist. Immer wenn’s gerade läuft. Aber wir wissen ja jetzt. Timing ist wichtig

Apropos Timing. Bleibt bitte alle gesund und vor allem am Leben. Und falls ihr doch sterben solltet, redet nicht darüber, denn das tut man in Mitteleuropa nicht.

Mehr von Marcel Mann gibt es hier.

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