LGBTIQ-Sichtbarkeit bei «Promi Big Brother» – Wollten wir da hin?
Jeder blamiert sich, so gut er kann – meint unser Kommentator
13,9 Prozent der 14- bis 49-jährigen Zuschauer schalteten am Donnerstagabend ein und bescherten der Containershow «Promi Big Brother» ordentliche Quoten. Ist die Sendung mit drei queeren Teilnehmern plus einem schwulen Moderator auch ein Erfolg für LGBTIQ im Sinne der Vielfalt, fragt Kriss Rudolph in seinem Samstagskommentar*.
Kürzlich bestätigte das Bundesverfassungsgericht: Das sogenannte Containern bleibt strafbar – gemeint ist der Diebstahl von Lebensmitteln aus verschlossenen Supermarkt-Abfallcontainern. Eine andere Form des Containerns bleibt ungestraft – das Stehlen von Lebenszeit, das Absenden von ungeniessbarem Wortmüll, der Verstoss gegen den guten Geschmack und gegen die Menschenwürde im SAT.1-Container.
Nein, ich will die Sendung nicht verbieten – das ist hier nicht mein Thema. Wer sich die Käfighaltung sogenannter Promis in «Promi Big Brother» antun will, der seine Bewohner dieses Jahr in ein «Märchenland» führt, soll das von mir aus tun.
Die Kandidat*innen sind am 7. August offiziell ins Big-Brother-Haus eingezogen – drei sind mittlerweile schon freiwillig geflohen (man kann es ihnen nicht verdenken). Wenn ich richtig gezählt habe, sind aktuell noch 12 zugegen. Davon zählt jeder Vierte zur LGBTIQ-Community: Aaron König, der ehemalige Mr.-Gay-Germany-Nachrücker und «Prince Charming»-Kandidat, die bisexuelle Katy Bähm aus «Queen of Drags» und Sascha Heyna, der sich erst in dieser Sendung outete (MANNSCHAFT berichtete). Nicht zu vergessen: Jochen Schropp, dessen Coming-out mittlerweile zwei Jahre her ist (MANNSCHAFT berichtete), der die Sendung mit Marlene Lufen moderiert.
Das ist mal echte Sichtbarkeit. Schon bei der Jubiläumsstaffel von «Big Brother» im Frühjahr (die auch nicht viel weniger Promis zu bieten hatte) war der LGBTIQ-Anteil an den insgesamt 14 Kandidat*innen beachtlich.
Wenn man sich anschaut, was das bundesweite Netzwerk queerer Medienschaffender – die Queer Media Society (QMS) – fordert, muss man sagen: Soll erfüllt! Denn 7% des turnusmässigen Outputs aller Medien-Produktionen sollen mit LGBTIQ-Themen bzw -Inhalten belegt werden, so die QMS. Schliesslich, hier zitiert man Prof. Dr. Elizabeth Prommer, Direktorin des Instituts für Medienforschung der Uni Rostock: «Das deutsche Fernsehen [und Kino] ist heterosexuell!»
Das – im Gegensatz zu vielem anderen – kann man SAT.1 nun nicht vorwerfen. Wobei hier ja wieder nur ein Buchstaben aus der LGBTIQ-Familie bedient wird. Lesben: nicht im Angebot. Trans: Fehlanzeige. Aber auch sonst ist diese queere Sichtbarkeit kein Wert an sich. Weil es den Wortmüll und die menschlichen Tragödien drumherum nicht aufwiegt. Das gilt für die unterirdisch langweiligen und fantastisch belanglosen Dialoge darüber, warum wer wen bei Instagram blockiert, ebenso wie die Momente, wenn die sexsüchtige Emmy Russ (wiederum bekannt aus «Beauty and the Nerd») verkündet: «Wenn ich blase, dann kriege ich einen Schnupfen» oder an Mitbewohner Mischa gerichtet: «Ich sehe deine Eier baumeln – willst du auch meine Schamlippen sehen?»
Vorwürfe sexueller Belästigung – drei Ellen-Produzenten gehen
Jeder blamiert sich, so gut er kann. Das gilt auch für SAT.1: Die Entwicklung, die der Privatsender seit seiner Anfangszeit genommen hat, als er noch Erotikfilme zeigte – gleich null.
Es geht in diesem Menschenzoo nur um das Produzieren von Schlagzeilen und griffigen Wortmeldungen, die man am nächsten Tag online weiterverwursten kann. Ja, mag sein, dass die Geschichte von Drag Queen Katy Bähm und ihrer türkischen Familie, die auf ihr Coming-out alles anderes als wohlmeinend reagiert hat, beim SAT.1-Stammpublikum gut aufgehoben ist, wo man möglicherweise der Mär anhängt: Schwule und Lesben haben doch heute alles erreicht, was wollen die denn noch?
Aber das rechtfertigt nicht den Käse, der da ringsum im SAT.1-Menschenzoo abgesondert wird – ob es nun die Schweizer «Bachelorette» Adela ist, der man beim Duschen zuschauen muss, oder Rainer Calmund beim Schlemmen.
Bernd Clüver und das verbotene Lied einer schwulen Liebe
Unterm Strich zeigt sich auch an dieser Staffel «Promi Big Brother»: Homosexuelle sind jetzt wirklich angekommen, ganz unten am Bodensatz der deutschen TV-Unterhaltung.
Wollten wir da hin? Ich jedenfalls nicht.
Ist es ein Zeichen von Normalität und Angekommensein? Ich fürchte ja.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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