Das unglaubliche Leben des Schlangentänzers VooDoo
Die weltweit erste LGBTIQ-Biografie zu einem historischen Travestiekünstler
Beim Verlag für Berlin-Brandenburg (vbb) ist das Buch «You have never seen a dancer like VooDoo: Das unglaubliche Leben des Willy Pape» erschienen, geschrieben von Jens Dobler.
Als der Historiker Jens Dobler noch Leiter des Archivs vom Schwulen Museum Berlin war, gehörte zu den von ihm betreuten Sammlungen auch jene mit Autogrammpostkarten von sogenannten «Damen-Darstellern» bzw. «Damen-Imitatoren». Auf hunderten von Bildern sieht man da Männer in Frauenkleidung.
Bei den meisten ist nur der Name und eventuell das Stück bekannt, aus dem das Foto stammt. Waren diese Männer «schwul» oder «nicht-binär», «queer» oder «trans» im modernen Sinn?
Der Autor dieser Zeilen erinnert sich an ein Gespräch mit Dobler, wo dieser damals sagte, dass wir das nicht wissen. Denn: Übers Leben der Abgebildeten liegt in den meisten Fällen keine Information vor. Es könnten privat «brave» Familienväter gewesen sein, die einfach nur eine genderverdrehte Rolle zum Geldverdienen spielten. Aber es könnte auch anders sein. (MANNSCHAFT berichtete, wie die Aktivist*innen von Travestie für Deutschland 2019 gegen sogenannte Homoheilung protestierten.)
Minstrel Show uns «wench roles» In ihren Büchern zur Tradition der Minstrel Shows haben die US-amerikanischen Theaterhistoriker Eric Lott und Laurence Senelick schon in den 1990er-Jahren darauf verwiesen, dass es zu einigen berühmten Interpreten von «wench roles» («Weiberrollen») Gerüchte zu homosexuellem Verhalten hinter den Kulissen gab.
Der New York Clipper veröffentlichte einen Artikel über einen «älteren Gentleman», der sich «verzweifelt verliebte in den unnachahmlichen Francis Leon», von dem er glaubte, dieser sei «eine attraktive Brünette vom schwachen Geschlecht». Stattdessen war Leon ein Mann-in-Frauenkleidern, der die Rolle der Primadonna in den 1870er-Jahren perfektionierte.
Bei Tourneen trat Leon auch in Berlin auf, wo preussische Offiziere ihn jenseits der Bühne als «Fräulein Eugene» ansprachen. Leon formte enge Partnerschaften mit Männern und blieb auffallend lange Junggeselle, bemerkt Senelick. Es gab jedoch nie den Hauch eines Skandals.
Auch nicht bei Julian Eltinge, der 1913 im Zentrum einer neuen Zeitschrift für Frauen stand, in der es um Schönheits- und Modetipps ging. Eltinge spielte am Broadway in Musicals mit, ging in den 1920er-Jahren nach Hollywood und hatte vor Einführung des Production Codes 1934 (also der Selbstzensur Hollywoods, die das Zeigen von «sexuellen Perversionen» untersagte) eine beachtliche Filmkarriere.
Senelick weist darauf hin, dass es Material gibt, das andeutet, dass Eltinge eine lange und intime Beziehung zu einem männlichen Sportreporter hatte. Aber zu seinen Lebzeiten schirmte Eltinge sein Privatleben vor der Öffentlichkeit ab. Um sein Image von «unbefleckter» Männlichkeit jenseits seiner Frauenrolle zu unterstreichen, trat er privat des öfteren als Boxer auf, der alle niederstreckte, die seine Maskulinität infrage zu stellen wagten. (MANNSCHAFT berichtete über den Auftritt von Travestie-Star MEGY B. in der Schweiz.)
Schlangentänzerin VooDoo ein internationaler Star Während sowohl Lott als auch Senelick seit Jahrzehnten mahnen, dass es Zeit wäre, Biografien wie die von Leon, Eltinge und anderen aus LGBTIQ-Perspektive genauer unter die Lupe zu nehmen und die Resultate öffentlich zur Diskussion zu stellen (statt immer nur auf Basis von Gerüchten zu spekulieren), hat es bis 2022 gedauert, bis Jens Dobler eine solche Biografie tatsächlich veröffentlichte.
Er publizierte ein Buch über den deutschen Travestiekünstler Willy Pape (1891-1940), der als Schlangentänzerin VooDoo ein internationaler Star wurde. Wir erfahren im Buch, dass der 18-jährige Pape eine Freundin hatte und von Magnus Hirschfeld in einer seiner Schriften als heterosexueller Transvestit vorgestellt wird. Wir erfahren auch, dass Pape 1912 seinen späteren Lebenspartner Emil Schmidt kennenlernte, mit dem er zeitlebens befreundet blieb.
1928 eröffneten sie gemeinsam das Lokal «Skalitzer Strasse 7» am Berliner Kottbusser Tor, das umgangssprachlich «Bei VooDoo» hiess. Bis zur Schliessung 1933 wurde es in Schwulenzeitschriften beworben und entwickelte sich zu einer der führenden Homosexuellenkneipen der Zeit, zu den Gästen zählten Klaus Mann und Christopher Isherwood.
«Warme Berliner» 1937 geriet Pape in den Verdacht, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, wurde aber aufgrund der Beweislage «nur» zu einer Geldstrafe von 200 Mark verurteilt. Er kam somit vergleichsweise glimpflich davon. Danach verschwindet Pape aus den überlieferten Quellen. Er starb 1940.
Danach geriet Pape in Vergessenheit. Bis das Schwule Museum 1987 im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins eine Ausstellung unter dem Titel «750 warme Berliner» organisierte. Im Katalog wurde ein Foto von VooDoo abgedruckt, ohne ihn näher zu benennen. Dieses Foto wurde danach auch auf einem Flyer des Museums verwendet.
Die Berliner Stadtzeitschrift Siegessäule nahm die Ausstellung zum Anlass, VooDoo ebenfalls aufs Titelblatt zu nehmen. Und 1991 brachte der Verlag rosa Winkel Hirschfelds Buch «Berlins Drittes Geschlecht» neu heraus, mit der nackten VooDoo auf dem Cover.
Dobler machte VooDoo 2001 zum Teil seiner Ausstellung «Von anderen Ufern – Geschichte der Berliner Lesben und Schwulen in Kreuzberg und Friedrichshain», wegen der Bar in der Skalitzer Strasse. Was bei Dobler erstmals zu vertieften Recherchen zu VooDoo führte, von dem er anfänglich nicht mal den bürgerlichen Namen kannte.
Zusammenarbeit mit der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Unterstützt wurde Dobler über zwei Jahrzehnte von den Kolleg*innen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Das Material, das sie gemeinsam zusammentragen konnten, liegt nun in einem farbig und reich illustrierten Buch vor.
Und doch gibt Dobler zu, dass offene Fragen bleiben. Denn wer sprach in Nazi-Zeiten schon über die eigene Nicht-Heterosexualität? Und wer bewahrte damals oder in den prüden Nachkriegsjahren im Westen kompromittierende Dokumente von Freund*innen und Familienangehörigen auf? Das gilt leider auch für den Osten, wo mit Homosexuellen auch nicht gerade zimperlich umgegangen wurde von Seiten des Staates oder der Stasi.
Man darf staunen, dass nun ausgerechnet ein deutscher Historiker – der inzwischen die Polizeihistorische Sammlung im Polizeipräsidium Berlin leitet – in Bezug auf die Aufarbeitung einer solchen Biografie zum internationalen Vorreiter wurde.
Doblers Buch ist wichtig, gerade weil in letzter Zeit so viele Spielfilme und Serien zu historischen Persönlichkeiten aus der Unterhaltungsbranche erschienen sind, etliche davon People of Color wie «Ma Rainey». Es wird spannend sein zu beobachten, wann die Geschichte von Willy Pape weiterverarbeitet wird von Drehbuchautor*innen, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der UFA und vielleicht sogar von Hollywood.
Bislang sind die Amerikaner*innen ja deutlich weiter, wenn’s darum geht, LGBTIQ-Geschichten wie die von VooDoo mit den Mitteln der Populärkultur einem Massenpublikum nahezubringen. Dobler selbst schreibt auf der letzten Seite seines Buchs: «Sicherlich gibt es noch zahlreiche weitere Lebensläufe der alten Varietékünstlerinnen, die nur darauf warten, entdeckt und vorgestellt zu werden. Man muss es einfach nur tun.»
Jens Dobler, »You have never seen a dancer like VooDoo: Das unglaubliche Leben des Willy Pape«, vbb (Verlag für Berlin-Bandenburg), 160 Seiten, 25 Euro.
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