«In Russland wird es lange sehr dunkel bleiben»
LGBTIQ sind die Sündenböcke eines kriegführenden Regimes im Kreml, meint unser Autor
Russland stuft die «Internationale LGBT-Bewegung» als Terrorgruppe ein. Längst sind etliche queere Organisationen ins Ausland geflüchtet. Dazu der Kommentar*.
Die russische Einstufung der «internationalen LGBT-Bewegung» als terroristisch ist vage formuliert und kann entsprechend vielfältig angewendet werden (MANNSCHAFT berichtete).
Kürzlich wurde erstmals ein Strafverfahren gegen die «internationale LGBT-Bewegung» eröffnet, in Orenburg, 1200 Kilometer südöstlich von Moskau. Angeklagt sind ein künstlerischer Leiter eines bei unseren Leuten dort beliebten Klubs namens «Pose». Wie das Verfahren ist so wenig offen, wie das Wort «Anklage» sagt: Eine Verurteilung ist wahrscheinlich, und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wäre der Klub, wären seine Eigentümer in der russischen Gesellschaft beschädigt, das, was sie anbieten, nämlich queeres Leben, dämonisiert.
Aber das alles ist kein Wunder, denn im russischen Regime Wladimir Putins gehören Menschen wie wir zu den wichtigsten Hass- und Aversionsobjekten. «Gayropa» repräsentierten wir, heisst es, und Russland solle nicht verschwult, verlesbelt, verqueert werden. In Wahrheit sind wir die Sündenböcke eines kriegführenden Regimes im Kreml. Und das wiederum gemahnt uns an den 17. Mai, den alljährlichen Tag gegen Queerphobie: Dies würde in Russland als skandalös empfunden.
In Russland und Belarus und zahlreichen anderen Staaten der Welt sind LGBTIQ wie wir von Strafverfolgung bedroht – und aktuell wäre jede Forderung, dass es dort eine queere Bewegung geben solle, eine witzlose. Russland (und eben Belarus) sind Staaten mit geringer demokratischer Tradition, inzwischen sind sie militärisch-security-dauerbedrohte Länder, die vor allem gegen die eigene Bevölkerung auch Krieg führen, sofern sie sich den Wünschen der politischen Führungen widersetzen.
Zur Not, das wissen wir aus den Nachrichten, hilft das Regime Putins mit Giftanschlägen und in Flugzeugen drapierten Bomben nach, um entsprechende Einschüchterungswirkungen zu erzielen.
Das kann natürlich alles mal wieder besser werden, aber dafür müssen politische Voraussetzungen geschaffen werden, etwa, dass nicht mehr Putin Präsident bleibt, dass der Krieg gegen die Ukraine beendet wird, dass die Bombardements gegen ein sich europäisierendes Land wie eben die Ukraine eingestellt werden.
Queere Menschen in Russland wissen, dass sie täglich bedroht sind, dass sie Objekte der Ächtung sind. Wer gegen die neuen LGBTIQ-feindlichen Gesetze aufmuckt, sitzt schneller dort im Knast als ein politischer Dissident, etwa wie der kürzlich in einer Gulag eingesperrte und zu Tode gekommene Alexej Nawalny.
Der erste LGBTIQ-Prozess in Russland – er schwärzt unsere internationale Geschicht ein. Nach der dunklen Nacht kann es wieder hell werden. Wir leben im bislang hellstmöglichen. In Russland wird es lange sehr dunkel bleiben.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
«Sind wir nicht alle ein bisschen kinky?» – Nora und Daniela leben seit zwei Jahren in einer Dom/Sub-Liebesbeziehung. Mit MANNSCHAFT+ sprechen sie über die Lust an der Kontrolle und der Unterwerfung und die «drei Säulen» von BDSM.
Das könnte dich auch interessieren
Community
«Offstream» hört auf: «Ihr hinterlässt eine grosse Lücke»
Nach über 20 Jahren zieht das alternative queere Partylabel «Offstream» einen Schlussstrich. Der gegenwärtige Backlash gegen LGBTIQ-Rechte spielte bei der Entscheidung eine Rolle.
Von Greg Zwygart
Schweiz
Queer
Österreich
Burkina Faso: SoHo fordert Schutz für LGBTIQ vor Strafgesetzgebung
In Burkina Faso soll Homosexualität künftig mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner fordert internationalen Einsatz für die Rechte von LGBTIQ.
Von Newsdesk Staff
LGBTIQ-Rechte
Queerfeindlichkeit
News
International
International
In Russland nach LGBTIQ-Themen googeln ist jetzt verboten
Weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit in Russland. Wer im Internet nach «extremistischen Inhalten» sucht, macht sich strafbar. Darunter fallen neben queeren Inhalten auch das Abspielen bestimmter Musik und Beiträge zur Opposition.
Von Newsdesk Staff
Queerfeindlichkeit
News
Kultur
Haben es queere Romane aktuell schwerer auf dem Buchmarkt?
Eine Berliner Buchhändlerin bemerkt, dass in diesem Herbst rund 100 weniger LGBTIQ-Titel herauskommen als im Vorjahr
Von Sören Kittel
Buch
LGBTIQ-Rechte