«Ich finde es doof, dass die ‹Lindenstraße› jetzt aufhören soll»
Sybille Waury und Georg Uecker über das Ende der ARD-Serie
Für die ARD-Serie «Lindenstraße» ist Schluss: Die letzte Folge läuft am 29. März 2020. Wir sprachen mit Sybille Waury und Georg Uecker, die mit ihren Rollen zu den dienstältesten TV-Homosexuellen wurden, über die grossen Skandale der Serie.
Ihr seid nicht nur die bekanntesten Homos der Serie, sondern als Figuren auch noch verwandt – oder wart es jedenfalls mal. Georg: Unsere beiden Figuren Tanja und Carsten waren eine Zeitlang zwar nicht verwandt, aber verschwägert. Nachdem Carstens Stiefvater Dr. Ludwig Dressler ihn adoptiert hatte und später Tanja heiratete, wurde sie zu Carstens Stiefmutter. Nach der Scheidung waren er und Tanja nur noch befreundet.
Reden wir erstmal über Tanja: Ich habe deine Figur als lesbisch Liebende in Erinnerung – oder ist sie bi? Sybille: Jetzt wo sie mit einer trans Frau zusammen ist, ist Tanja nicht bisexuell. Sie hat mal in der Serie gesagt, mit Schwänzen macht das gar keinen Spass, und jetzt hat sie eine Frau, die Schwanzträgerin ist. Was bei meiner Figur nicht rüberkommen sollte, war, dass es ihr nur darum ging. So ist es nicht. Sunny ist ein stattlicher Kerl, aber doch viel mehr das Mädchen bei uns. All die typischen Männersachen – wer geht vor, wer initiiert den ersten Kuss – das lag alles bei meiner Figur. Also, bi ist das meiner Meinung nach nicht.
Georg: Ein typischer Fall, wo die klassische Terminologie nicht mehr greift.
Sybille: Tanja hat sich in einen Menschen verliebt, unabhängig von der Identität. Als die beiden sich trafen, hatte sich Sunny schon entschlossen, als Frau zu leben. Uns war wichtig: Die beiden sind zusammen, obwohl Sunny Schwanzträgerin ist – nicht deswegen. Mir war es wichtig, dass Tanja nicht wieder hetero wird.
Nach dem Kuss von Carsten und Robert 1990 war die Hölle los. Gab es jemals eine vergleichbare Aufregung, wenn Tanja Frauen geküsst hat? Sybille: Nie! Da sind wir wieder beim Klischee. Es ist ja leider noch immer so: Wenn eine Frau mit einem Mann fremdgeht, ist das ein Problem. Seitensprünge mit einer Frau aber nicht, weil Frauen nicht gelten. Da kriege ich echt immer die Krise! So von wegen: Mädchen kuscheln eh immer viel. Und dann die Sprüche: Naja, die brauchen bloss mal wieder einen Kerl.
Georg: Ich spreche jetzt als Feminist: Das ist die typisch männliche Ignoranz gegenüber weiblicher Sexualität. Darum war weibliche Homosexualität auch nie strafbar. Man nahm das nicht ernst – mit Toleranz hatte das nichts zu tun. Es wurde nicht mal verboten. Liebe zwischen Frauen hat man gar nicht wahrgenommen, und es wird immer noch belächelt. Wenn zwei Frauen sich küssen, finden es heterosexuelle Männer ja tendenziell auch noch scharf.
Hat Sybille jemals irgendwelche Drohungen, Schmäh- oder Hassmails bekommen? Gar nichts. Das ist der Hammer. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich, die Schauspielerin dahinter, ganz klar heterosexuell bin. Anders ist es glaube ich bei Schwulenhassern, wenn sie dann jemanden wie Georg erleben, der selber schwul ist und das auch noch in die Welt hinausträgt. Tanjas lesbische Geschichte kam auch erst zehn oder 15 Jahre später, da hatte sich der Wind gedreht. Das nehme ich aber trotzdem persönlich als Frau, lesbisch oder nicht. Geht‘s noch?! Auch Lesben haben ein Sexleben und ich möchte, dass das ernstgenommen wird.
Georg erhielt 1990 Morddrohungen und bekam Personenschutz, nach einem Kuss, der gar nicht der erste schwule Kuss in der Serie war – und der auch recht keusch war. Georg: Der erste Kuss mit Carstens Freund Gerd im Jahr 1987 war echt und schön, aber das war nur in einer Folge zu sehen. Bei Robert Engel war klar: Da ist eine Leidenschaft, die beiden hatten auch Sex miteinander. Und die Sache lief über längere Zeit. Es passierte in zwei aufeinanderfolgende Folgen und nach ein paar Wochen nochmal – da war die Hölle los.
Wie lange hat es gedauert? Georg: Die erste Folge hat einen Protestschrei hervorgerufen. Es war der 18. März 1990, der Tag der einzigen freien Wahlen in der DDR. Ich war damals gerade im Osten und habe Freunde besucht. Erst als ich am Dienstag zurückkam, bekam ich das mit. Ich habe mich dann öffentlich geäussert und habe Stellung bezogen. Davon haben mir einige Leute abgeraten, weil sie fanden, es sei zu gefährlich. Es gab damals massive Bombendrohungen gegen die Produktion und Morddrohungen gehen mich. Das war schon extrem hochgekocht, und es wurde auch alles ernst genommen. Das war noch vor Social Media: Da war viel Hass und Impetus dahinter. Und man brauchte eine Briefmarke, du musstest zum Postkasten gehen . . . Es war ziemlich hart, was ich da alles gelesen habe. Das mit dem Personenschutz war nicht meine Idee, aber der WDR meinte, aus Versicherungsgründen sei es wichtig, falls es wirklich einer ernst meinte. Das ging so fünf, sechs Wochen.
Sybille: Waren die bei dir in der Wohnung oder standen die draussen?
Georg: Die standen vor der Tür. Man hatte mir empfohlen, mich ein bisschen zurückzuziehen. Das war günstig, denn das ging zeitlich in die Sommerferien rein. Ich war damals in London liiert und bin dorthin geflogen und im Laufe des Sommers ist die Sache verebbt. Es liefen zudem auch ein paar «Lindenstraße»-Folgen, in denen ich nicht dabei war. Gut, der Protest flammte immer mal wieder auf, und es gab aber auch Gegenreaktionen. Schwule Männer veranstalteten ein Kiss-In vor dem WDR, um mich zu unterstützen.
Sybille: Wenn wir Kollegen haben, die schwul sind, das aber nicht öffentlich sagen wollen – was machst Du dann?
Georg: Ich bin kein Freund des Outings. Wenn ich jemanden kenne, würde ich mit ihm reden. Aber damals war das völlig absurd. Es gab Leute, die mich gemieden haben. Mein Coming-out hatte ich mit 16, ich hatte ein ganz cooles Elternhaus. Zum Problem wurde es, als ich als «Lindenstraße»-Schauspieler auch offen damit umgegangen bin. Da gab es beruflich so was Ehrabschneidendes, so von wegen: Ach, der spielt sich nur selbst. Nein, so war das nicht! Schauspielen ist harte Arbeit! Diese Vermischung hatte mich in meiner Ehre verletzt. Also, ich war eine gute Zielscheibe für die Leute. Es gab schon schwule Männer, von denen ich wusste, dass sie im Schrank sind. Ich hätte sie natürlich nie geoutet, aber die machten alle panisch einen riesigen Bogen um mich, wenn sie mich sahen. Das waren sehr absurde Reaktionen. Ich war damals ein bisschen naiv und ein Luftikus, aber später stellte ich fest: Der Druck war immens!
Ich habe aber auch Liebesbriefe und Lobeshymnen bekommen. Eine ältere Dame schrieb mir, der Carsten sei ja sehr sympathisch, auch wenn sie sich erst daran habe gewöhnen müssen, dass er Männer liebt. Aber sie habe da, wo sie lebt, noch nie einen schwulen Mann gesehen. Ich schaute also auf den Absender – die Dame wohnte in München-Schwabing. (lacht) Wo es um sie herum nur so wimmelte von Schwulen.
Sybille: Süss!
Schon 1988 gab es einen amtlichen Skandal, als im Zug der AIDS-Krise der CSU-Mann Peter Gauweiler forderte, das Bundesseuchengesetz auf AIDS-Kranke anzuwenden und er in der Serie als Faschist bezeichnet wurde. Der Politiker stellte Strafanzeige wegen Beleidigung – aber erfolglos. Die «Lindenstraße» stehe als künstlerisches Produkt unter besonderem Schutz, hiess es vor Gericht. Georg: Es herrschte damals eine grosse AIDS-Hysterie, Gauweiler hat Lokale schliessen lassen und gegen Schwule gehetzt. Da war für Hans W. Geissendörfer klar, dass es eine heterosexuelle Figur sein müsste, die in der «Lindenstraße» an AIDS erkrankt . . .
Sybille: Das war eine echt schlaue Idee.
Georg: In der Serie war es dann Benno Zimmermann, der siecht und leidet, und dazu sah man, wie Gauweiler im Fernsehen hetzte. Daraufhin sagte die Figur Chris , die immer etwas dazu neigte, hochzugehen und sich drastisch zu äussern: «Gauweiler und Co – das sind doch alles Faschisten». Das ist heute lustig, weil man laut Gerichtsurteil Björn Höcke Faschist nennen darf. Aber damals war die Hölle los. Es gab diesen Prozess, wir hatten alle drehfrei und sind zusammen zum Gericht gefahren. Das Absurde war: Gauweiler hat damals die Schauspielerin verklagt, die einfach nur ihren Job machte, aber nicht den Produzenten oder die Drehbuchautoren. Damit haben sie auf ganzer Linie verloren.
Gauweilers Karriere ist seit ein paar Jahren vorüber. Sybille: Ja, aber das Schlimme ist, dass jetzt viel, viel schlimmere und dreistere Leute auf der politischen Bühne stehen und wir uns zurückziehen müssen. Ich glaube, das geht uns im Team allen so. Genau jetzt müssten wir diese Geschichten weitererzählen und den Leuten, die Angst vor diesen Leuten haben, ihre Angst nehmen und sagen: Es gibt noch eine andere Sicht und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen darf man das alles sagen.
Du hättest gerne weitergemacht. Sybille: Ja. Hätte man nicht mit dem Absetzen der Serie warten können, bis der Spuk vorbei ist – können wir die Rechtsextremisten erstmal rausjagen hier? Das wäre mir sehr recht gewesen. Wir sind in einer Zeitschleife gelandet, nur völlig überhöht: Wir haben es wieder mit den gleichen Arschlöchern zu tun. Ich habe keine Lust mich zurückzuziehen. Ich finde es doof, dass wir jetzt aufhören sollen.
Es passierten in ganz vielen Bereichen Dinge in der «Lindenstraße», bevor sie Realität wurden. Die Hochzeit von Carsten und Theo zum Beispiel 1997, mit Hella von Sinnen als Gastrednerin. Georg: Wir haben Realitäten vorweggenommen. Dinge, die gesellschaftlich diskutiert wurden. Damals gab es noch nicht einmal die eingetragene Lebenspartnerschaft, geschweige denn die Ehe für alle. We‘ve come a long way . . .
Oder die Adoption von Carstens Sohn Felix. Georg: Das war ja wahnsinnig: Damals konnten in Deutschland Singles, nicht aber gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren. Ich war zu der Zeit Gast in einer Diskussionsrunde, da sass auch ein schwules Paar, das hatte fünf Kinder in Dauerpflegschaft. Und es erzählte: Keiner wollte diese Kinder, weil sie HIV haben. Davon habe ich Hans W. Geissendörfer erzählt, und er meinte: Das ist ein Skandal – da müssen wir was draus machen! Und so entstand die Geschichte mit Felix.
Sybille: Oder als Käthe loszog und Unterschriften gesammelt hat gegen das Blutspendeverbot für Homosexuelle. Sowas weisst du als heterosexueller Mensch ja nicht. Ich habe über die Serie das erste Mal davon gehört. Wir konnten über die Hintertür den Leuten wahnsinnig viel vermitteln. Dinge, von denen ich noch nie gehört hatte.
Was ist Sybilles Lieblingsszene aus 34 Jahren «Lindenstraße»? Sybille: Das ist leider einfach.
Und zwar? Sybille: Als mein Kind überfahren wurde! Was ja grosse Tragik ist für eine Mutter, aber als Schauspielerin dachte ich: Yes! Ich darf schreien, heulen – das ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Da war für mich auch klar, dass man mir wirklich zutraute, zu spielen, als man diese Szenen für mich schrieb. Ich finde ja immer noch, als ich angefangen habe, war ich wirklich schlecht, und ich bin Hans Geissendörfer immer noch dankbar, dass er so lange zu mir gehalten hat und irgendwas in mir gesehen hat. Für mich endet meine Zeit in der «Lindenstraße» jedenfalls total rund.
Hat Georg auch eine Lieblingsszene? Georg: Es sind mehrere Szenen. Da wo Carsten völlig aus dem Ruder läuft, tablettensüchtig wird, Leute ins Bett zerrt, sie wieder rauswirft und wieder eine Pille einwirft. Diesen Absturz über eine längere Zeit zu spielen, das hat Spass gemacht. Sowas kannst du halt nur in so einer Langzeitserie machen.
Sybille: Du hast selber immer gesagt: Du hast als so ein spiessiger Schwuler angefangen, und später konnte man ihm zusehen, wie er total aus der Spur kommt.
Georg: Das fand ich auch toll. Das Bild wurde variiert, später dann zerstört. Aber erstmal musste er etabliert werden als Everybody‘s Darling. Sonst hätten es die Zuschauer vielleicht nicht akzeptiert. Der Österreichische Rundfunk war ja damals noch dabei, vom Bayrischen Rundfunk ganz zu schweigen. Darum musste man diesen wahnsinnigen Umweg gehen.
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