«Angst vorm Coming-out? Dann scheiss auf die Rolle!»

Der Schauspieler Gustav Peter Wöhler über Diversity in Film und Fernsehen

Schauspieler Gustav Peter Wöhler (l) und Filmfestleiter Albert Wiederspiel beim 29. Hamburger Filmfest (Foto: Ulrich Perrey/dpa)
Schauspieler Gustav Peter Wöhler (l) und Filmfestleiter Albert Wiederspiel beim 29. Hamburger Filmfest (Foto: Ulrich Perrey/dpa)

Der Schauspieler Gustav Peter Wöhler feierte am 31. Juli seinen 65. Geburtstag. Wöhler lebt mit seinem Mann Albert Wiederspiel in Hamburg und Berlin. Wiederspiel wiederum ist Festivalleiter des Hamburger Filmfests, das Anfang Oktober stattfand.

Gustav, für die meisten Künstler*innen war 2020 Corona-bedingt ein schlechtes Jahr, weil viele Theatervorstellungen und Konzerte ausfielen. Wie lief es für dich? Einerseits fielen einige Auftritte der Gustav Peter Wöhler Band aus, auch Lesungen. Oder es waren so wenige Gäste erlaubt, dass es sich finanziell nicht lohnte, hinzufahren und zu spielen. Das erste grosse Glück war dann, dass ich im «Jedermann» in Salzburg mitgespielt habe. Ich habe auch gedreht. Tatsächlich wird mehr gedreht, als man denkt. Zum einen habe ich einen sehr interessanten Kinofilm gemacht: «Oscars Kleid», mit Florian David Fitz, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Ich fand das Buch ganz toll: Florian spielt einen Polizisten, ich bin sein Chef. Dieser Polizist hat einen 10 Jahre alten Sohn, um den er sich plötzlich kümmern muss, und da erfährt er, dass dieser Junge trans ist. Das findet der Vater erstmal ganz schrecklich …  Dann habe ich noch in zwei Serien mitgespielt, «Betty’s Diagnose» und «Nord Nord Mord».

Läuft doch gut! Du bist seit über 40 Jahren out. Ja, damals habe ich nur  Theater gespielt. Ich bin jetzt nicht zu Claus Peymann gegangen und hab gesagt: «Hallo, ich bin Gustav Peter Wöhler und ich bin schwul.» Aber immer wenn die Sprache darauf kam oder jemand Schwulenwitze machte, hab ich dazu was gesagt, dass ich es blöd finde, weil ich selber schwul sei. Da gab es dann überraschte Reaktionen, auch Verstörtheit. Aggressionen hab ich aber eigentlich nie mitgekommen.

Hey Gustav, komm mal her, hier ist genauso eine schwule Sau wie du!

Nur damals, als Peymann Bochum übernommen hatte, da gab es einen schwulen Kollegen, und Peymann hat so eine Liste geführt und da stand über den Kollegen drauf: «Tunte, aber willig». Die Liste ist dann irgendwie an die Öffentlichkeit gekommen. Da wusste man, Peymann hat so seine Probleme damit. Natürlich hatten wir beiden auch Querelen, aber ich habe das bewusst nie auf mein Schwulsein zurückgeführt. Ich wollte nicht sagen: Ach, der hat ein Problem mit mir, weil ich schwul bin. Sondern ich wollte es rein beruflich und professionell betrachten

Aber eine super Entscheidung! Ja, für mich war das ganz wichtig. Ein eigentlich wunderbarer Kollege, in den ich mal verliebt war, rief mir zu, als ein anderer schwuler Kollege aus Zürich in unser Ensemble kam: «Hey Gustav, komm mal her, hier ist genauso eine schwule Sau wie du!» Da haben wir beide so gedacht: Hä? Mitten in der Kantine, vor allen Leuten? Also, uns war es egal, wir waren ja beide geoutet. Aber dass man das so rausstellen muss, und dann noch als schwule Sau… Er war Bayer und hatte so was herzlich Derbes. Ich habe tatsächlich mehr Anfeindungen in der schwulen Community erlebt als im Theater, um ehrlich zu sein.

Fernsehen und Film kamen erst später … Ja, so Anfang der 90er Jahre.

.. aber du bekamst Rollen, obwohl dir vermutlich der Ruf vorauseilte, dass du schwul bist. Ich hab es ja auch früh in Interviews gesagt, in schwulen Magazinen wie dem Hinnerk damals. Ich habe mich in der schwulen Szene immer auch politisch betätigt, z. B. in der AIDS-Hilfe Hamburg. Deshalb war schon klar, der Wöhler ist schwul. Das wussten alle.

Rückblickend kann man nicht sagen, es hätte dir geschadet, oder? Wobei man ja weiss nicht, welche Rollen du nicht bekommen hast. Man hört nur vielleicht im Hintergrund so Sachen wie: Naja, der kann ja keinen Ehemann mit zwei Kindern spielen …

Und – wie viele Ehemänner hast du gespielt? Ich habe jedenfalls mehr heterosexuelle Männer gespielt als homosexuelle. Im Grunde habe ich nur ein einziges Mal einen Schwulen gespielt, in Doris Dörries «Erleuchtung garantiert», outet er sich am Ende des Films.

Es gibt Forderungen, wonach überhaupt nur Schwule schwule Rollen spielen sollten, nur trans Personen trans Rollen usw. Diese Diskussion finde ich gefährlich. Warum dürfen Schwule keine Heten spielen, warum Heten keine Schwulen? Das ist ein schauspielerischer Vorgang. Natürlich würde es mir leichter fallen, einen Schwulen zu spielen, weil ich schwul bin, weil ich das aus meinem Leben, meiner Erfahrung herausschöpfe. Aber ich habe auch nie Angst davor gehabt, Sexszenen mit Frauen zu spielen. Ich habe mir gesagt: Gut, das ist jetzt mein Beruf, das ist jetzt Handwerk. Es hat auch nie Probleme gegeben.

Ich finde es schwierig, jetzt alles nach Gender und Identität zu besetzen. Wenn man es hinkriegt und gute Leute findet – super! Schau dir die Serie «Pose» an, die ja mit trans Menschen besetzt ist – in Amerika geht das, denn dort hast du eine viel grössere Bandbreite an LGBTIQ-Schauspielern, mit denen du arbeiten kannst..

Du bist schon lange im Geschäft. Was ist mit den jungen Kolleg*innen? Sind die mutig genug? Man lebt doch mittlerweile sehr offen schwul, man kriegt das mit, nicht nur in der Langen Reihe in Hamburg oder im Kiez in Berlin-Schöneberg. Man kann mittlerweile offen mit seiner Homosexualität umgehen. Es kann dir eigentlich nichts passieren, ausser dass vielleicht so ein rechtes Arschloch daher kommt … Ich finde es natürlich toll, dass es viele junge Kollegen gibt, die offen mit ihrer Homosexualität umgehen. Aber ich habe das beim letzten Panel der Queer Media Society bei FilmfestHamburg gesehen: Da stand jemand auf und meinte, es gibt so viele junge Kollegen, die Angst haben, sich zu outen weil sie dann vielleicht keine Rollen mehr kriegen. Und da bin ich ja ganz konsequent und sage: Dann scheiss auf die Rolle!

Ich hab mir immer gedacht: Mein Leben ist mir wichtiger als der Beruf. Also wenn es Leute gibt, die mich aufgrund meines Schwulseins diffamieren, dann muss ich mit denen auch nicht arbeiten. Dann kann ich auch was anderes machen. Und je mehr Kollegen sich outen, umso stärker bekommen wir eine Lobby um die man nicht herumkommt. Wenn es aber weiterhin nur drei oder vier Leute sind, können die Redakteure und Caster immer sagen: Ja, aber da gibt es ja noch ganz viele andere. Ich habe einen Kollegen, eine Hypertucke. Der kam irgendwann zu mir und sagte: Also, Gustav du musst echt aufpassen. Dauernd erzählst du, dass du schwul bist. Ich mache das nicht, sonst kriege ich gar keine Rollen mehr. Ich sagte nur: Meine Liebe, das musst du selber wissen.

Wo kommt dieses Selbstbewusstsein her? Hast du das immer schon gehabt? Die ersten Jahre nicht. Ich hab dann 1978 «Brühwarm« gesehen, die Theatertruppe von Corny Littmann. Und da wusste ich: Ich kann mein Schwulsein nach aussen tragen. Auch wenn es damals noch als verboten galt. Ich hab mich immer für den politischen Hintergrund der Homosexualität interessiert. Nicht nur das Private, auch das Öffentliche. Das bringt dir auch ein anderes Bewusstsein als Schwuler.

Ich habe damals meine schwule Identität im Fernsehen erfahren, durch Rosa von Praunheims Filme, die im WDR liefen, durch Werner Schroeter und Fassbinder. Das Fernsehen war – damals viel mutiger als heute. Danach kam eigentlich ein Rückschritt. Wir müssen wieder Redakteure und Produzenten finden, die sich diesen Themen öffnen. Darum finde ich die QMS so gut, weil es eine Sammlung von Menschen ist, die sich zugehörig fühlen. Da habe ich Leute kennengelernt, die ich vorher gar nicht so mitbekommen hatte. Das hat was sehr Aufbauendes. Jeder sieht hier: Ich bin nicht allein – da sind mehr und wir können uns zusammentun. Es ist super, dass auch Nico Hoffman mit an Bord ist.

Du hast «Pose» genannt. Gibt es Beispiele aus Deutschland, die Du mutig und divers findest? Hast Du das Gefühl, dass es da langsam besser wird? Nee, leider nicht. Ich habe immer noch das Gefühl, den Filmemachern fehlt es an Mut und Wissen.. Mein Mann Albert leitet Filmfest Hamburg, und aus vielen Ländern kommen Filme, die sich mit LGBTIQ-Themen auseinandersetzen, gerade aus dem asiatischen Raum oder aus den USA. Und hier in Deutschland haben wir «Futur 3» (zum MANNSCHAFT+-Interview mit Hauptdarsteller Benjamin Radjaipour).

Es ist ein wunderbarer Film. Aber Herrgott, das ist mal ein Film! Eigentlich hätten wir schon zehn von der Sorte haben können. Angeblich ist es nicht möglich, weil sich zu viele hier dagegen stellen. Im deutschen Fernsehen sowieso. Wenn du in den deutschen Medien Schwule siehst , dann sind die immer so, wie Tante Frieda sich die vorstellt. Mit der schwulen Realität hat das ganz wenig zu tun. Man schämt sich so fremd. Es ist so stilisiert und null erotisch.

Die QMS fordert, dass 7% des turnusmässigen Outputs aller Medien-Produktionen mit und von LGBTIQ-Inhalten und -Akteur*innen besetzt werden. In den USA gibt es keine Quote, gefühlt klappt es mit den Produktionen von dort in Sachen Diversität ziemlich gut. Quote ist per se kein Ziel. Es ist eine Notwendigkeit, um weiter zu kommen. Der Sinn der Quote muss sein, sie überflüssig zu machen. Insgesamt haben wir in Deutschland bei Diversität in den Medien viel nachzuholen. Nicht nur bei LGBTIQ.

Wenn du mal überschlägst, wie viele lesbische oder schwule Kolleg*innen du kennst, die geoutet sind? Lass es 20 Leute sein.

Und diejenigen, die nicht geoutet sind? Das sind zehn bis 20 Hände voll. Vielleicht untertreibe ich da noch. Das Ding ist doch: Je mehr wir darüber reden und diskutieren, ob wir uns outen sollen oder nicht, umso weniger wird es passieren und umso weniger kommen wir voran. Jeder, der dazu stösst, ist gut. Er oder sie hilft damit, einen grossen Schritt weiterzukommen.

* Das Interview ist zuerst im Schauspiegel des BFFS erschienen.

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