Gericht reagiert zu spät: Nicht-binäre Person ausgeliefert

Justizkrimi um Auslieferung für Linksextremismusprozess in Ungarn

Symbolbild: Carolina Jaramillo, Adobe Stock
Symbolbild: Carolina Jaramillo, Adobe Stock

Eine Person aus der linken Szene soll nach Ungarn ausgeliefert werden. Kaum gibt ein Berliner Gericht grünes Licht, werden die Behörden aktiv. Ein vorläufiges Stoppsignal aus Karlsruhe kommt zu spät.

von Marion van der Kraats

Das Bundesverfassungsgericht hat die Auslieferung einer Person aus der linken Szene für einen Prozess in Ungarn untersagt – allerdings kam die Entscheidung zu spät. Die betroffene Person sei knapp eine Stunde zuvor an die ungarischen Behörden übergeben worden, teilte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Freitag dem Bundesgericht mit, wie es in einer Mitteilung aus Karlsruhe hiess Der Vorgang sorgte für heftige Kritik vor allem bei linken Politiker*innen.

In dem Verfahren geht es um eine 23-jährige in Jena geborene Person, die sich selbst als nicht–binär identifiziert und in der linken Szene als «Maja» bekannt ist. Laut Bundesverfassungsgericht werfen die ungarischen Behörden Maja vor, seit 2017 Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, deren Ziel es gewesen sein soll, Sympathisant*innen der extremen Rechten anzugreifen. Parallel ermittele in Deutschland die Bundesanwaltschaft wegen desselben Vorwurfs, sagte Verteidiger Sven Richwin der Deutschen Presse-Agentur.

Seit Ende 2023 in Sachsen in Haft Maja wurde im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und sass nach Angaben des Verteidigers Richwin in Sachsen in der Haftanstalt Dresden ein. Hintergrund sind gewaltsame Angriffe auf vermutete Rechtsextremisten. In der Zeit vom 9. bis zum 11. Februar 2023 soll seine Mandatsperson gemeinsam mit einer Mittäterschaft Sympathisant*innen der rechtsextremen Szene oder von ihnen hierfür gehaltene Personen in Budapest angegriffen und verletzt haben.

Aufgrund des Auslieferungsersuchens aus Ungarn habe der Generalbundesanwalt sein Verfahren zurückgestellt. Weil Maja in Berlin festgenommen wurde, sei die Generalstaatsanwaltschaft der Hauptstadt für das Auslieferungsverfahren zuständig, so Richwin.

Das Kammergericht Berlin stimmte am späten Donnerstagnachmittag der Auslieferung zu, die die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hatte. Das entsprechende Verfahren entspreche den Abläufen bei einem Europäischen Haftbefehl, teilte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft mit. Nach Ausführungen des Gerichts stehe «die deutsche Staatsangehörigkeit der Auslieferung nicht entgegen, da vorliegend eine Rücküberstellung zur Vollstreckung der Strafe ins Bundesgebiet ausdrücklich seitens der Republik Ungarn zugesichert worden sei».

Mit einem Eilantrag in Karlsruhe versuchte der Anwalt von Maja die Auslieferung zu stoppen. Dieser sei am Freitag um 7.38 Uhr beim Gericht eingegangen, hiess es in der Gerichtsmitteilung, die ungewöhnlich detailliert den zeitlichen Ablauf darstellte. Demnach untersagten Deutschlands höchste Richter um 10.50 Uhr die Auslieferung. Da war Maja laut Generalstaatsanwaltschaft aber bereits an die ungarischen Behörden übergeben.

Beschluss des Gerichts kommt zu spät Das Gericht sei per E-Mail um 11.47 Uhr darüber informiert worden, dass Maja bereits um 10.00 Uhr übergeben worden sei, hiess es in Karlsruhe. Mit der Auslieferung wurde laut Bundesverfassungsgericht in der Nacht zum Freitag begonnen. Maja sei um 6.50 Uhr «zwecks Durchlieferung nach Ungarn an die österreichischen Behörden übergeben worden», hiess es in der Mitteilung des Gerichts.

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt mit seinem Beschluss die Berliner Generalstaatsanwaltschaft angewiesen, «eine Übergabe des Antragsstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und eine Rückführung in die Bundesrepublik zu erwirken». Für Anwalt Richwin ist das ein «theoretischer Sieg». Er habe wenig Hoffnung, dass die beschuldigte Person nach Deutschland zurückgeholt werden könne. «Aber natürlich werden wir die Generalstaatsanwaltschaft fragen, wie es nun weitergeht», so Richwin. Ausserdem werde er das Deutsche Konsulat einschalten.

Von der Generalstaatsanwaltschaft hiess es am Freitagnachmittag, die Behörde könne der einstweiligen Anordnung nicht mehr nachkommen. Ein Auftrag, die Rückführung aus der Republik Ungarn zu erwirken, sei der einstweiligen Anordnung nicht zu entnehmen. Die Staatsanwaltschaft habe Karlsruhe jedoch um einen Hinweis gebeten, ob diese Rechtsauffassung geteilt werde.

Unterdessen ist die ausgelieferte Person in Ungarn angekommen, wie die dortige Polizei der dpa bestätigte. Man habe sie am Freitag an der österreichisch-ungarischen Grenze übernommen, festgenommen und bereits in Budapest wegen Verdachts auf lebensgefährliche Körperverletzung verhört. Die Person habe die Aussage verweigert. Man habe einen Haftbefehl beantragt, hiess es.

Heftige Kritik an Abschiebung An der Berliner Justiz gab es in linken Kreisen heftige Kritik. Sebastian Walter, Grünen-Sprecher für Queerpolitik, erklärte: «Die Auslieferung einer Person mit deutscher Staatsangehörigkeit an die Republik Ungarn wirft sehr viele Fragen auf, die die Justizsenatorin erklären muss. Ungarn ist ein offen queerfeindlicher Staat und die Behörden wussten, dass es einen Eilantrag am Bundesverfassungsgericht gegen die Auslieferung geben wird. Deshalb fragen wir uns, warum es über Nacht diese plötzliche Eile gab, für die uns keine vergleichbaren Fälle bekannt sind.»

Der Linksparteivorsitzende Martin Schirdewan sprach von einer «Schande für Deutschland». «Viktor Orban ist kein Demokrat und Ungarn wird kein rechtsstaatliches Verfahren garantieren. Es ist unerträglich, dass Deutschland Menschen an Autokraten ausliefert, statt ein rechtsstaatliches Verfahren vor eigenen Gerichten sicherzustellen.» Die sächsische Linken-Politikerin Julia Nagel bezeichnete den Vorgang als «Skandal». Im April verschärfte Ungarn das Vorgehen gegen «LGBTIQ-Propaganda» (MANNSCHAFT berichtete).

Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bezweifelte, dass Maja in Ungarn ein fairer Prozess und menschenrechtskonforme Haftbedingungen erwarteten.

Mehr lesen: Die Affäre rund um den entlassenen schwulen Lehrer in Pfäffikon kommt vor das Zürcher Obergericht. Es geht um Interessenskonflikte, sagt das Lehrernetzwerk (MANNSCHAFT berichtete).

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