Fussball-Weltmeisterin Megan Rapinoe hat mehr Eier als der DFB
Bei der jüngst gehissten Regenbogenflagge handelt es sich vor allem um Optik und PR, kommentiert Stefan Mielchen
Der Deutsche Fussball-Bund möchte LGBTIQ-Spieler*innen und Mitarbeiter*innen stärken, aber bei der gehissten Regenbogenflagge handelt es sich vor allem um Optik und PR, kommentiert Stefan Mielchen*, Erster Vorsitzender beim Hamburg Pride: Andere hätten längst vorgemacht, wie der Kampf für Akzeptanz und Gleichberechtigung geht.
Der Deutsche Fussball-Bund will sich zeitgemäss geben: Generalsekretär Friedrich Curtius hisste vor der Frankfurter Zentrale des weltgrössten Sport-Verbandes in dieser Woche eine Fahne, die das Verbands-Logo in Regenbogenfarben zeigt: «Der Deutsche Fussball-Bund setzt damit ein Zeichen für Vielfalt im Fussball», erklärte der 43-Jährige stolz. Auch die Homepage und Social-Media-Auftritte des DFB zierte einen Tag lang das bunte Logo. Auf Twitter dauerte es nicht lange, bis der erste User kommentierte, dass ihm Schwarz-Rot-Gold lieber sei – der Weg ist noch weit.
«Mario»: Homosexualität als Risikofaktor
«Wie nur wenige andere Institutionen oder Ereignisse in unserer Gesellschaft, schafft der Fussball Orte der Gemeinschaft. Auf dem Feld oder unter dem Dach des DFB darf niemand aufgrund seiner oder ihrer sexuellen Neigung oder Identität, Hautfarbe, Religion oder Herkunft ausgegrenzt werden», betonte der Generalsekretär. Der Deutsche Fussball-Bund möchte 119 Jahre nach seiner Gründung mit der Aktion «auch die LGBTI-Spieler*innen und Mitarbeiter*innen stärken», liess er in einer korrekt gegenderten Pressemitteilung wissen. Wie positive PR in diesen aufmerksamkeitsstarken CSD-Tagen geht, haben die Fussball-Offiziellen offenbar begriffen.
Alte weisse Männer im Überfluss So beeilten sie sich auch zu betonen, dass Unisex-Toiletten künftig zum Standard bei den Länderspielen der A-Nationalmannschaft zählen. Das ist insofern bemerkenswert, als in Präsidium und Vorstand des Verbandes ganze drei Frauen insgesamt 66 Männern gegenübersitzen. Nicht mal fünf Prozent Frauenquote in den zentralen Entscheidungsgremien – so viel Fortschritt für die Pinkelpause hätte man angesichts dieses Überschusses alter weisser Männer kaum für möglich gehalten. Doch die Probleme liegen tiefer.
Da sind etwa die Fans und ihre hässlichen Aktionen. Zuletzt sorgten sie beim FC Bayern München für einen Shitstorm, nachdem der sein Stadion in Regenbogenfarben erstrahlen liess. Eine vergleichbare Empörung der Anhänger über das regelmässige Winter-Trainingslager der Bayern im Wüstenstaat Katar, wo homosexuelle Handlungen mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, ist nicht überliefert. Vorstandsboss Karl Heinz Rummenigge lobte zuletzt gesellschaftliche Fortschritte in Katar – die Situation der Homosexuellen hatte er offenbar nicht auf dem Schirm. «Fussball ist ein verbindendes Element, und wir als weltoffener Klub wollen unseren Beitrag leisten», erklärte Rummenigge jüngst zur Stadionbeleuchtung dahoam. Die positiven Bilder aus München sind eben besser zu verkaufen als ein kritischer Satz zu Menschenrechtsverletzern mit idealen Trainingsbedingungen.
Frankreich: Gefängnis für homophobe Fussballfans
Auch Borussia Dortmund kennt das Thema. Zum Lokalderby gegen Schalke 04 wurden Ende April die gegnerischen Fans auf einem riesigen Transparent und in grossen Lettern als Schwuchteln beschimpft. Es dauerte zwei Tage, bevor der Verein offiziell und öffentlich reagierte: mit einer Mitteilung, die zwar eine Distanzierung enthielt, aber eben auch die Sorge, dass das homophobe Spruchband dem öffentlichen Bild des BVB schade. Namentlich jedoch trat niemand in Erscheinung – weder Mannschaftskapitän Marco Reus, noch Trainer Lucien Favre oder Geschäftsführer Joachim Watzke. Vorbildcharakter von Identifikationsfiguren? Fehlanzeige!
Klar, es gibt positive Signale und das Bemühe einiger Vereine, für Akzeptanz zu werben. Beim VfL Wolfsburg ist die Regenbogen-Kapitänsbinde Standard. Der 1. FC Köln beteiligt sich mit einem eigenen Wagen an der CSD-Demonstration in der Domstadt. Und selbst beim Dino HSV flatterten 2018 erstmals Regenbogen-Eckfähnchen. Worüber die Kiezkicker des Stadt-Rivalen FC St. Pauli nur milde lächeln können – am Millerntor weht seit langer Zeit ganz selbstverständlich eine grosse Regenbogenfahne im Stadion.
Doch wer sich abseits der schönen Bilder die Basisarbeit anschaut, wird schnell ernüchtert. Vor sechs Jahren verschickte der DFB eine 28-seitige Broschüre mit dem Titel «Fussball und Homosexualität» an alle 26.000 Mitgliedsvereine. Die Handreichung sollte helfen, Ängste, Vorurteile und Vorbehalte abzubauen. Spricht man mit Insidern abseits der grossen Bundesliga-Bühne, hört man jedoch Vokabeln wie «haarsträubend» und «katastrophal», wenn es um den Umgang mit homosexuellen Trainern oder Spielern geht. Vom Ziel, LGBTIQ zu stärken, wie es der DFB-Generalsekretär diese Woche vollmundig verkündete, ist man an der Basis in der Regel meilenweit entfernt. Da schafft der Fussball nach wie vor eine grosse Gemeinschaft – aber eine der Ausgrenzung. Aktivisten, die das Thema auf Verbandsebene voranzubringen versuchen, müssen eine extrem hohe Frustrationstoleranz mitbringen.
Es sind mal wieder die Frauen, von denen ein Hoffnungsschimmer ausgeht. Sie lassen sich längst nicht mehr mit einem Kaffeeservice für einen internationalen Titel abspeisen. Lesben treten bis hinauf in die Nationalmannschaft immer offensiver auf. Natürlich ist der öffentliche Stellenwert des Frauenfussballs mit dem der Männer kaum vergleichbar. Und was öffentlich nicht ernst genommen wird, ist auch weniger skandalisierbar. Doch allmählich stehen hier die Zeichen auf Veränderung, was nicht zuletzt am Selbstbewusstsein der Spielerinnen liegt, die nicht so viel zu verlieren haben wie ihre millionenschweren männlichen Kollegen.
Wir müssen mehr lieben, weniger hassen.
Der Auftritt der US-Kapitänin Megan Rapinoe nach dem Sieg ihres Teams bei der Frauenfussball-WM war ein echter Meilenstein. Er macht Mut – und ist ganz nebenbei eines der stärksten Zeichen lesbischer Sichtbarkeit seit langem: «Wir müssen mehr lieben, weniger hassen. Mehr zuhören, weniger reden. Es ist unsere Verantwortung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen», forderte Rapinoe und zeigte US-Präsident Donald Trump den verbalen Mittelfinger: «Ihre Botschaft grenzt Menschen aus. Sie grenzen mich aus, Sie grenzen Menschen aus, die wie ich aussehen, Sie grenzen Menschen anderer Hautfarbe aus, Sie grenzen Amerikaner aus, die Sie vielleicht unterstützen.» Schon lange nicht mehr war der Fussball so politisch wie in diesem Augenblick. Für einen Empfang im Weissen Haus liess Rapinoe sich nicht instrumentalisieren.
Nach Olympia: Schwule Athleten wollen nicht zu Trump
Sie kämpft lieber vor Gericht gegen Diskriminierung und ungleiche Bezahlung im US-Verband. Mit all dem zeigt Megan Rapinoe mehr Eier als eine ganze Altherrenmannschaft zusammen. Beim DFB blättern sie derweil in ihrer schönen Broschüre.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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