Früher war mehr Glitter? Von wegen: Schwule und Operette
Neuer Sammelband erschienen
Kevin Clarke legt mit «Glitter and be Gay: Reloaded» einen neuen Sammelband über «die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer» vor.
2007 war es, da erschien «Glitter & Be Gay» von Musikwissenschaftler und MANNSCHAFT-Autor Kevin Clarke. Das nach Angaben des Verlages Männerschwarm «weltweit erste Buch, das sich mit der homosexuellen Vorgeschichte des Operetten-Genres befasste». 18 Jahre sind vergangen, der Verlag legt eine komplett überarbeitete, aktualisierte und diesmal durchgängig vierfarbige Neuausgabe nach: «Glitter & Be Gay Reloaded: Die authentische Operette und ihre schwulen Verehrer».
Das Buch ist soeben bei Männerschwarm erschienen und enthält Texte u.a. von Rainer Bielfeldt, Matthias Gerschwitz, Axel Ranisch, Margot Schlönzke, Enrique Mejías García und Kriss Rudolph, die tragen Titel wie «Fernsehoperette als Coming-out-Hilfe?» oder «Cross-Dressing in der Wiener Operette», «Glitter, But Don’t Be Gay» (über die «internalisierte Homophobie und geheimen queeren Subtexte in Leonard Bernsteins ‹Candide›») bzw. «Raus aus dem Schrank!» («Eine Evolutionsgeschichte der Repräsentation»).
Clarke erklärt: «Das Originalbuch ist von 2007. Als der Verlag anfragte, ob wir das lange vergriffene Buch, das es nur noch als eBook gibt, nachdrucken wollen, hatte ich gesagt, eine komplett überarbeitete Ausgabe fände ich besser, weil seit 2007 so unendlich viel passiert und weil es heute so viele Forscher in dem Bereich gibt, die Neues zu erzählen haben - es war ja 2006 sehr schwierig Autoren zu finden.»
Nun, so Clarke, schauten die neuen jüngeren Autoren im Buch «mit einer breiteren ‹queeren› Brille» auf Themen, zum Beispiel Philipp Amelungsen in seinem Essay «A New Moon Rising» zu «Operette zwischen Queerness, Feminismus und Science-Fiction». Andere, wie Clarke selber, hätten eine bewusst schwule Perspektive gewählt.
In der Einleitung heisst es, dass man natürlich eine aufgefächerte LGBTIQ-Analyse der Operette durchführen könnte. «Ich fände das auch grossartig, wenn es jemand täte», so Clarke, «Aber ich persönlich kenne mich da nicht gut genug aus, um über trans und inter Aspekte der Operette etwas Fundiertes zu sagen oder über eine lesbische Sicht aufs Genre. Das wären jeweils sehr eigene andere Blickwinkel, von denen ich hoffe, dass dazu bald jemand etwas veröffentlicht. Mich als schwuler alter weisser cis Mann haben nun mal vor allem schwule Aspekte interessiert, mit denen ich mich schon mein ganzes Leben lang beschäftige, seit Teenagertagen.»
Clarke will sein Buch aber als Diskussionsangebot und vielleicht auch als Steilvorlage für Vertreter*innen der jungen Queer-Generation sehen, «um darauf aufbauend ganz viele andere Themen und Stücke und Künstler*innenbiografien zu behandeln». Für ihn sei «Glitter and be Gay: Reloaded» kein Endpunkt, mit dem alles gesagt und abgehakt sei.
«Ich sehe das Buch als Start für möglichst viele, kontroverse, empowernde, leidenschaftliche, persönliche, weitere Auseinandersetzungen mit einem Genre, das solche vielfältigen Auseinandersetzungen verkraftet – und verdient.»
In der Neuauflage seines Buches vollzieht Clarke eine Entwicklung nach, die er als «queere Operetten-Revolution des neuen Millenniums» bezeichnet – und verfolgt sie zu ihren Ursprüngen im Paris der 1850er Jahre zurück. Beiträge von drei Dutzend Autoren wie Tillmann Triest, Nick Sternitzke, Mick Besuch u.a. beleuchten das als spiessig verschriene Musiktheater-Genre Operette von dessen anarchisch-queeren (damals als «sittengefährdenden» verschrieenen) Anfängen im 19. Jahrhunderts über die reaktionäre Verkitschung zur Zeit des Nationalsozialismus bis hin zur jüngsten Frischzellenkur durch Barrie Kosky in Berlin, Sasha Regans All-Male-Inszenierungen von Gilbert-&-Sullivan-Stücken in England, Nitzberg & Neill Terroristenoperette «The Beastly Bombing» mit schwulen Neonazis und Al-Kaida-Kämpfern in den USA und den Erfolg der «Operette für zwei schwule Tenöre» quer durch Deutschland (MANNSCHAFT berichtete).
Das Buch wird offiziell zur Buchmesse Leipzig an der Musikalischen Komödie Leipzig präsentiert, in einer Veranstaltung am 23.3., wo Oper-Leipzig-Intendant Tobias Wolff mit dem Herausgeber des neuen Sammelbands diskutiert. Wolff selbst hat einen Text zu seinem «schwulsten Operettenmoment» beigesteuert: die Aufführung von «Clivia» mit dem Schweizer Operettenstar Christoph Marti aka Ursli Pfister, den man in dieser Rolle auch auf dem Cover des Buchs sieht. In Leipzig wird auch Bernd Schachtsiek dabei sein, der mit seiner Familien-Stiftung die opulente Farbgestaltung des Buchs möglich gemacht hat und Geld für Fotoankäufe bereit gestellt hat, was dem Band eine komplett neue Anmutung verleiht, als es 2007 der Fall war.
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