Fredrick Campeau und die heilende Kraft der nackten Bären
Der aus Kanada stammende Künstler lebt heute mit seinem Mann in Wien
Fredrick Campeau starb beinahe an einer seltenen Autoimmunkrankheit. Das Malen half ihm beim Heilungsprozess. Heute kreiert er mit «Fursty Men» schwule Kunst, bei der grosse, bärige Männer im Zentrum stehen.
Das Einzige, das Fredrick im Spital von Calgary noch bewegen konnte, waren seine Gesichtsmuskeln und Teile des Nackens. Sein Immunsystem hatte alle Nervenzellen ausserhalb des Gehirns und des Rückenmarks attackiert und deren isolierende Myelinschicht zerstört. Die Zellen konnten nicht länger Signale von Fredricks Gehirn empfangen.
In den Händen anderer Das Guillain-Barré-Syndrom ist äusserst selten – und Fredrick musste auch noch einen sehr schweren Verlauf durchmachen, der beinahe tödlich endete. Er wurde an einen Respirator angeschlossen, weil er nicht mehr selber atmen konnte. «Verwundbar» habe er sich gefühlt. Sein Schicksal lag in den Händen anderer Menschen.
Dabei hatte er zuvor doch erst gerade angefangen, sein Leben als selbständiger, geouteter Mann in einem kleinen Skiort der Rocky Mountains zu geniessen.
«Viel schlechte Lyrik» Fredrick Campeau wuchs in einem kleinen Örtchen mitten in Kanada auf. Er half auf der Familien-Farm, produzierte Kritzeleien von Monstern und «viel schlechte Lyrik», wie er heute sagt.
Er outete sich mit 19 bei seiner Familie, obwohl er Angst vor der Reaktion seines Vaters hatte. In dessen Augen sollte Fredrick nämlich einst eine nette Frau kennenlernen und eine Familie gründen. Tatsächlich schwieg sein Vater nach dem Coming-out für zwei lange Wochen. Dann nahm die Sache doch noch ein Happy End: Er umarmte seinen Sohn und sagte ihm, dass er ihn liebe und immer unterstützen werde.
Die Kunstschule in Edmonton brach Fredrick nach einem Semester ab. Er sah zwar sein Potenzial, wollte aber nicht mehr zur Schule, sondern sich selbst verwirklichen. Dies gelang ihm in den Rockies mit Jobs in Hotels und in einem Blumenladen. «Viele Partys, viel Lachen», so beschreibt er diese Zeit heute. Dann kamen die Symptome.
Schmerzen und Bangen Es begann wie eine Grippe, doch dann wurden Zehen, Finger und die Zunge taub. Fredrick hatte zunehmend Probleme, zu trinken und sich in der Wohnung zu bewegen. Völlig dehydriert wurde er von seinem damaligen Freund in die Notaufnahme gebracht.
Die rasche Diagnose: Guillain-Barré-Syndrom. Die Ärzt*innen sagten ihm, dass er bald vorübergehend ganz gelähmt sein wird. An die schrecklichen Tage danach kann sich Fredrick kaum mehr erinnern. Es folgte eine lange Zeit mit experimentellen Behandlungsweisen, Schmerzen, Bangen – und dann die Gewissheit: Er wird durchkommen. Sein Freund und seine Mutter standen ihm bei. Nach vier endlos scheinenden Monaten durfte er nachhause.
Eine Befreiung In der Folge entdeckte Fredrick seine Spiritualität, fand Ruhe und Kraft im Meditieren – und im Zeichnen. Irgendwann hatte er genug Kraft in den Fingern, um einen Stift zu halten.
«Eine urschöpferische Kraft drückte sich in mir aus, roh und ungehindert. Sie kam durch feine Bewegungen auf das Blatt und erschien wie ein dunkler Geist des Traumas, das ich erlebt hatte. Es war eine Befreiung, ein Ausdruck von Heilung.» So beschreibt es Fredrick in einem autobiografischen Text für das Bear World Magazine.
2012 erlebte er ein richtungsweisendes Malseminar in den italienischen Alpen. Es fing ein neues Kapitel in seinem Leben an und ein altes hörte auf: Fredrick und sein Freund haben sich auseinandergelebt und ihre gemeinsame Beziehung beendet. Der nächste grosse Schritt führte ihn nach Wien, wo er drei Jahre lang an der «Vienna Academy of Visionary Art» studierte. Dort lernte er auch seinen heutigen Ehemann kennen. Fredrick versteht sich als Künstler des «Fantastischen Realismus». Sein grosses Vorbild Ernst Fuchs durfte er noch vor dessen Tod 2015 als Schüler kennenlernen. Die Institution, an der er später selbst lehrte, musste wegen der Pandemie 2020 für immer schliessen.
Reisen ins Innere Im vergangenen Jahr wollte Fredrick eigentlich als reisender Kunstlehrer verschiedene Orte in Europa und Nordamerika besuchen. Daraus konnte aus bekannten Gründen nichts werden. Im Pandemie-Jahr hatte er deshalb plötzlich viel Zeit und widmete sich digitaler Kunst – und Bären. «Fursty Men» war geboren.
Bisher habe er sich nie so recht die Erlaubnis und den Raum gegeben, die erotische Seite seiner Kunst zu entdecken. Fredrick erhält seine Inspiration während Meditationen und schamanischen Reisen ins Innere, und von dort stammen auch viele seiner Figuren.
Zu heiss für Insta Mystische, bärtige Männer, oftmals nackt. Zu heiss für Insta, wo er die Bilder nur bis zur Gürtellinie präsentieren darf. Doch auf Twitter kann man die Bären in ganzer Pracht bewundern. Ist die Produktion von erotischer Kunst an sich ein erotischer Prozess? Nein, er betrachte den Gegenstand des Bildes mit dem gleichen Blick fürs Ästhetische wie bei anderen Arbeiten. «Es ist also für mich kein erotisches Erlebnis – aber sich so auszudrücken, hat etwas sehr Befreiendes.»
Die erotische Kunst ist ein neues Teilgebiet seines Schaffens. Seine Haupttätigkeit ist das Unterrichten von Schüler*innen; ausserdem plant er Workshops in seinem neuen Atelier in Wien. «Fursty Men ist das Erkunden meines eigenen Schwulseins als Künstler. Die Community dazu ist kleiner und besteht eigentlich ausschliesslich aus schwulen Männern. Dennoch ist das Feedback sehr wertvoll und motivierend.»
Und was hält sein Ehemann davon, dass Fredrick nackte Männer malt? «Ich lernte meinen Mann an der Akademie kennen und er unterstützt mich seit Anfang an auf meinem Weg. Er kreiert manchmal selbst kinky Motive für seine Kleidermarke – daher mochte er meine Idee…»
Eine ganz andere Form von schwuler Kunst erschuf Erikas Mališauska. Der litauische Künstler formte eine Wolke aus 400 homophoben Hassnachrichten gegen den Parlamentarier Tomas Raskevicius. Der Erlös aus dem Kunstwerkverkauf geht an LGBTIQ-Gruppen. Hier geht’s zur ganzen Story.
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