Eric Glod: «Im Tischtennis ist es einfacher, offen queer zu leben»

Es ist nicht Privatsache, wenn man anders ist als die Norm, sagt der Luxemburger

Eric Glod (Bild: Agnieszka Tunnissen)
Eric Glod (Bild: Agnieszka Tunnissen)

Eric Glod ist professioneller Tischtennisspieler und offen schwul. Von Tuscheleien hinter seinem Rücken bis hin zu Qualifikations­spielen in Ländern mit homophoben Gesetzen: Für queere Anliegen gebe es noch Luft nach oben, sagt er. Den nötigen Ausgleich zur heteronormativen Welt des Profisports hat er in Wien gefunden.

Eric, im Februar hat sich der tschechische Fussballnationalspieler Jakub Jankto geoutet. Was geht dir durch den Kopf, wenn du solche Schlagzeilen liest? Egal in welchem Sport: Jedes Mal, wenn sich ein aktiver Sportler outet, löst das eine grosse Freude in mir aus. Freude, dass sich jemand mehr verstellen muss, sondern sein authentisches Selbst leben kann. Gerade in Sportarten wie im Fussball oder im American Football, die von einer konservativen Männlichkeit geprägt sind, ist ein Coming-out besonders schwierig.

Wie lässt sich die Welt des Tischtennis mit derjenigen des Fussballs vergleichen in puncto LGBTIQ-Freundlichkeit? Das Bild des maskulinen Mannes, das es zu verkörpern gilt, ist weniger dominant. Wie in anderen Einzelsportarten gibt es im Tischtennis mehr Freiraum für die eigene Individualität. Daher ist es dort einfacher, ein offen queeres Leben zu führen als in einem grossen Team. Im Mannschaftssport gibt es einen grösseren Druck, der Vorstellung zu entsprechen, die die Gesellschaft von Männern erwartet.

Und bezüglich Gehalt und Sponsoring? (Lacht.) Im Tischtennis musst du unter den besten 50 der Welt sein, damit du auf eigenen Beinen stehen kannst. Alle anderen sind auf Sponsoren, nationale Verbände und sonstige Einnahmen angewiesen, um sich den Profisport leisten zu können. Man ist viel unterwegs, zum Beispiel an Turnieren in weit entfernte Länder. Mit dem Tischtennis allein verdient man keine 100’000 im Jahr.

Wir hatten bereits 2021 über ein Interview gesprochen. Weshalb hat es damals nicht geklappt? Damals hat sich alles ein bisschen verlaufen. Ich startete bei einem neuen Verein in Schweden, dessen Philosophie nur auf das Gewinnen abzielte. Es zählte nur noch das Resultat, dem Menschen hinter dem Sportler wurde keine Bedeutung zugemessen. Das war sehr schwierig für mich. Ich fokussierte mich nur noch auf meine Resultate und darauf, die Erwartungen des Clubs zu erfüllen. So ging es kontinuierlich bergab mit mir, bis ich in ein Loch fiel.

Eric Glod (Bild: World Table Tennis)
Eric Glod (Bild: World Table Tennis)

An welchem Punkt war dir klar, dass du etwas ändern musst? Das war im Februar 2022. Bei einem Spiel hatte ich alles gegeben und mein Herz auf der Tischplatte gelassen, doch dem Trainer war das nicht genug. In seinen Augen war alles schlecht.

Als ich nach Hause kam, legte ich mich auf den Fussboden und blieb eine Stunde dort liegen. Ich konnte nicht mal meine Jacke ausziehen. Ich spiele gerne Tischtennis – es muss mich erfüllen und ich will Spass daran haben. Dann war für mich klar, dass sich etwas ändern musste.

Hast du deine Freude wieder gefunden? Ja! Ich wechselte zu einem kleineren Club in der Nähe von Wien – eine Stadt, die auch für ein schwules Leben viel zu bieten hat. Ich habe mich als Person neu entdeckt. Ich gehe in Museen, auf queere Veranstaltungen und treffe mich mit Menschen ausserhalb des Tischtennis. Das hat alles in ein Gleichgewicht gebracht. Ich lebe mein Leben sehr viel bewusster und empfinde dadurch mehr Freude.

Es ist keine Privatsache, wenn man anders als die Norm ist

So ergeht es vielen Profisportlern, die sich mit einem Coming-out befreien. Ich bin ein Kind der Neunzigerjahre und mit der Haltung gross geworden, dass es nur einen vorgegebenen Weg zum Erfolg gibt. Darum ermutige ich andere Sportler*innen immer ihren eigenen Weg zu gehen – das betrifft nicht nur die Queerness. Es gibt nicht nur die eine Art, ein Profisportler oder eine Profisportlerin zu sein. Das Spektrum ist so breit, wie wir bereit sind es zu definieren.

Und doch kommen oft Kommentare, dass ein Coming-out im Profisport nichts zu suchen habe. Dass das doch Privatsache sei. Es ist nicht Privatsache, wenn man anders ist als die Norm. Schwule Sportler verstecken sich, weil ihnen die Norm verbietet, anders zu lieben und zu leben. Solange alle denken, dass es keine schwulen Fussballer gibt, sind diese Coming-outs nötig, und solange sie für Schlagzeilen sorgen, haben wir es nicht geschafft, sie zu normalisieren. Die Sexualität eines Sportlers oder einer Sportlerin sollte nicht mal mehr eine Randnotiz im Boulevardblatt wert sein.

Im November hatte ich eine süsse Begegnung. Ich spielte mit einem 15-jährigen Mädchen im gemischten Doppel. Kurz vor dem Finale vertraute sie mir auf der Tribüne an, dass sie eine Freundin habe und alles ganz neu für sie sei. Allein zu sehen, dass sie sich nicht verstecken muss, dass es kein dogmatisches Bild mehr gibt, dem man zu entsprechen hat . . .  das sind schöne Momente.

Homophobie existiert im Tischtennis hinter vorgehaltener Hand

Kennst du andere queere Sportler*innen im Tischtennis? Bei den Frauen gibt es viele Spielerinnen, die offen lesbisch sind. Das kümmert eigentlich niemanden. Bei den Männern gibt es bis jetzt nur mich. Von Mitspielern weiss ich, dass hinter meinem Rücken Sätze fallen wie: «Ist es wahr, dass er schwul ist?» oder «Hast du keine Angst . . . unter der Dusche?». Ich merke auch, dass einige Spieler auf Distanz gehen. Anders als im Fussballstadion wird Homophobie im Tischtennis nicht verbal und offen herausgebrüllt oder Schimpfwörter benutzt, aber sie existiert noch – hinter vorgehaltener Hand.

Wie gehst du damit um? Es amüsiert mich. Wenn es so interessant ist, hinter meinem Rücken zu reden, dann schön, dass ich euch so unterhalten kann! Früher war es mir jedoch nicht egal. Ich komme aus einem kleinen Bauerndorf in Luxemburg und war sehr darum bemüht, meine Sexualität möglichst «low-key» zu halten. Heute bin ich sehr glücklich mit mir selbst. Es hat aber lange gedauert, bis ich an diesem Punkt angekommen bin.

«Schwule Sportler verstecken sich, weil ihnen die Norm verbietet, anders zu lieben und zu leben», sagt Eric Glod (Bild: Agnieszka Tunnissen)
«Schwule Sportler verstecken sich, weil ihnen die Norm verbietet, anders zu lieben und zu leben», sagt Eric Glod (Bild: Agnieszka Tunnissen)

Kannst du dich an besondere Momente erinnern, die dich als schwuler Mann ermächtigt haben? Davon gibt es zwei. Als ich 2018 die Grundausbildung in der luxemburgischen Armee absolvierte, fielen oft die Schimpfworte «Schwuchtel» oder «Tunte», bis ich einmal sagte: «So bitte nicht!» Es mag unscheinbar klingen, aber in diesem Augenblick, in dem ich das sagte, wurde ich meiner Queerness so richtig bewusst.

Die Pandemie ermöglichte mir, mich selbst zu finden

Der zweite Moment war während der Pandemie in Schweden und klingt wie ein Klischee: «RuPaul’s Drag Race» hat meinen Horizont erweitert und mir gezeigt, was es bedeutet, bedingungslos sich selbst zu sein und sich zu lieben. Ich habe alle Staffeln geschaut! Für viele Menschen war die Pandemie verheerend, doch mir ermöglichte sie, mich selbst zu finden. Meine Freund*innen unterstützten mich, halfen mir sogar dabei, mit Make-up zu experimentieren.

Bringt dich das Tischtennis in Länder, in denen homosexuelle Handlungen verboten sind? Das ist ähnlich wie im Fussball: Das Geld liegt in den Ölländern und immer mehr Turniere werden dort abgehalten. So fand 2021 zum Beispiel die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Katar statt. Als Sportfan oder Tourist*in kannst du entscheiden, ob du in solche Länder reisen möchtest. Als queerer Sportler bleibt dir jedoch keine andere Möglichkeit. Du musst dich dem System beugen, wenn du bei den besten Turnieren mitspielen willst. Und diese finden nun mal in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder in Saudi-Arabien statt – Länder, in denen man aufgrund seiner Sexualität im Gefängnis landen kann.

Inwieweit gehst du als schwuler Mann da Kompromisse ein? Ich versuche nur dann hinzugehen, wenn es nicht anders geht. In solchen Situationen versuche ich zu abstrahieren und die Entscheidung als Sportler und nicht als Person zu treffen. Ich gehe dorthin, um einen Job zu machen und dann wieder abzureisen, wenn dieser erledigt ist. Ich fühle mich nie ganz wohl dabei, wenn ich diesen Ländern unterwegs bin. Wegen der Wahl Katars zur Austragung der Olympia-Qualifikation habe ich dem Weltverband in Singapur eine Nachricht geschickt, aber nie eine Antwort gekriegt.

Was hattest du dir vom Weltverband erhofft? Natürlich wäre es toll, wenn wichtige Turniere nicht in Ländern stattfinden, die LGBTIQ-Menschen diskriminieren. Aber Geld regiert nun mal die Welt, da mache ich mir keine Illusionen. Ich verlange vom Verband auch keine Entschuldigung oder Rechtfertigung, sondern höchstens eine Form der Anerkennung, dass wir queeren Sportler*innen existieren.

Wie finanzierst du deine Karriere als Profisportler? Über die Sportförderung der luxemburgischen Armee. Ich habe die Grundausbildung absolviert und bin heute Elitesportler. Als solcher kriege ich das gleiche Gehalt wie ein Soldat, bin aber von den militärischen Verpflichtungen befreit, um meinen Sport auszuüben. Deshalb muss ich mir finanziell keine Sorgen machen. Nebenbei besuche ich Vorlesungen an der Uni mit dem Ziel, dass ich ein bisschen aus der Tischtenniswelt herauskomme und mich mit anderen Menschen umgebe.

Wie lange kannst du in diesem System bleiben? Solange ich mein Niveau halte und Qualifikationschancen für Olympia habe, also sicherlich bis 2024. Dann wird das Olympische Komitee über meinen Status befinden. Es gibt zwei Wege, wie ich mich für Olympia qualifizieren kann. Zum einen über das gemischte Doppel mit meiner Doppelpartnerin Sarah De Nutte. Auf der Weltrangliste sind wir zurzeit unter den besten 45 Paarungen. Zum anderen kann ich mich auch im Einzel qualifizieren, was zurzeit nicht unmöglich ist. Ernst wird es nächstes Jahr im März und April. Bis dahin muss ich an meinem Niveau arbeiten, um meine Chancen zu steigern.

Ist Olympia auch dein Ziel? Ich definiere meine Ziele gerne anders. Wenn ich mir Olympia zum Ziel setze und es nicht erreiche, dann erhöht das die Angst vor dem Scheitern. Ich will besser werden, mich weiterentwickeln und das Beste aus mir herausholen. Olympia behalte ich selbstverständlich im Hinterkopf. Wenn ich mich nicht für die Olympischen Spiele qualifiziere, jedoch besser geworden bin, dann kann ich auch damit leben.

Eric Glod
Eric Glod

Eric Glod, 1993 in Luxemburg geboren, entdeckte mit sieben Jahren seine Leidenschaft für Tischtennis. 2016, 2017 und 2018 wurde er luxemburgischer Meister im Doppel, 2018 auch im Einzel. Nach seiner Grundausbildung in der luxemburgischen Armee ist er einer von gegenwärtig 28 Elitesport-Soldat*innen des Landes. Er spielte unter anderem in Schweden und in der Schweiz für den TTC Wädenswil und den TTC Rapperswil. Seit 2022 ist er für den Badener AC in Wien aktiv.

Wie bist du zum Tischtennis gekommen? Als Kind war ich überall unbegabt, vor allem was meine Motorik anging. Meine Mutter steckte mich mit sieben Jahren ins Tischtennis, damit ich lernte meine Hände und Füsse zu benutzen und nicht umzufallen (lacht). Mein Vater und mein Bruder haben beide Fussball gespielt. Daneben gab es in unserem Dorf noch Judo und eben Tischtennis. Und da mir Judo noch mehr Angst machte als Fussball, wurde es halt Tischtennis. Es war also ein schnelles Ausschlussverfahren (lacht). Was mich an diesem Sport am meisten fasziniert, ist die grosse individuelle Freiheit. Du kannst deinen eigenen Spielstil haben, eine einzig richtige Spielweise gibt es nicht. Es ist ein Einzelsport und du allein bist verantwortlich für die Fehler, die du machst. Ich war nie der talentierteste Spieler, war jedoch immer sehr ehrgeizig.

Wie oft trainierst du die Woche? Es ist wichtig, dass ich Punkte sammle und bei Turnieren spiele, darunter vor allem internationale. Davon gibt es jede Woche irgendwo irgendeines. Gleichzeitig habe ich eine Verantwortung gegenüber meinem Verein, damit wir in der Liga bleiben. Daneben muss ich Zeit in mein eigenes Training stecken. Deshalb sehen meine Wochen sehr unterschiedlich aus. In einer normalen Trainingswoche kommen mit Kraft- und Schnelligkeitstraining wöchentlich schon rund 16 Stunden zusammen.

Kommt da nicht das Privatleben zu kurz? Im Liebesleben muss man schon deutliche Abstriche machen. Ich habe einen intensiven Job und es ist sehr schwierig, jemanden zu finden, der das einsieht und auch versteht. Ich trainiere viel und brauche viel Regenerationszeit, zudem bin ich oft wochenlang unterwegs. Die meisten Spieler*innen, die ich kenne, haben innerhalb der Tischtennis-Bubble jemanden gefunden. Für mich ist das offensichtlich nicht so einfach. Darum bin ich auch nach Wien gezogen, um mehr am queeren Leben teilnehmen zu können.

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