«Einfach das Ende der Welt» – Die eigene Familie als Hölle
Diese Woche auf Arte
Der Film von Xavier Dolan, «Einfach das Ende der Welt», erzählt die Geschichte des Schriftstellers Louis, der zurück nach Hause kommt um seiner Familie mitzuteilen, dass er AIDS hat. Von Klaus Braeuer, dpa
Ein junger Mann fährt nach zwölf Jahren erstmals wieder zu seiner Familie. Er will dort persönlich sagen, dass er todkrank ist und bald sterben wird. Und er will sich die Illusion bewahren, bis zum Schluss Herr über sein Leben zu bleiben. Ob ihm das gelingt, zeigt das Drama «Einfach das Ende der Welt» an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr auf Arte.
Louis (Gaspard Ulliel) war 22, als er seine Familie verliess. Jetzt kehrt er zurück, an einem heissen Sommertag. Was ihn erwartet, macht nicht gerade Mut: Mutter Martine (Nathalie Baye) ist oberflächlich, vergesslich und übertrieben geschminkt. Einen Vater gibt es offenbar nicht mehr. Die jüngere Schwester Suzanne (Léa Seydoux) wirkt ständig genervt, lobt ihn aber, dass er nie ihre Geburtstage vergessen hat.
Der ältere, aggressive und oft peinliche Bruder Antoine (Vincent Cassel) attackiert den eher stillen Rückkehrer andauernd – vermutlich auch, weil er sich als schlichter Handwerker dem sensiblen Dichter unterlegen fühlt. Nur dessen Frau Catherine (Marion Cotillard) ist Louis zugetan, sie treffen das erste Mal aufeinander. Sie beginnt als Einzige zu ahnen, warum er wirklich gekommen ist.
Regisseur Xavier Dolan (32, «I Killed my Mother», «Der verlorene Sohn») adaptiert hier ein Theaterstück des französischen Autors Jean-Luc Lagarce, der 1995 mit 38 Jahren starb. Er war HIV-positiv, und das könnte auch auf Louis zutreffen – offen gesagt wird es nicht.
Auch, warum er der Familie einst den Rücken kehrte, wird nicht so recht deutlich. Vielleicht, weil er schwul ist und sein eigenes, freies Leben haben wollte? Nicht einmal seine genaue Adresse sagt er ihnen, worauf die Mutter antwortet: «Du bist komisch.»
Das gilt wohl für alle Figuren in diesem Film, der weder komisch noch lustig ist, sondern sehr ernsthaft. Dolan erzählt Vieles über intensive, oft hilflose Blicke in grossen Nahaufnahmen, erklärt wird darüber hinaus nichts. Es wird reichlich gegessen, oft geschrien und sich nahezu andauernd entschuldigt – nur wirkliches Interesse für den anderen zeigen kann oder will hier offenbar niemand.
Vielleicht weinen sie nicht einmal
Die durchweg prominenten Schauspieler verkörpern hervorragend, wie in dieser merkwürdigen Familie viel geredet, aber nichts gesagt wird. Vor allem Gaspard Ulliel (36, «Saint Laurent») gibt den vollkommen verloren wirkenden Bruder und Sohn als verzweifelten Mann, der hier als einziger weint und herzzerreissend melancholisch blicken kann.
Louis hat Angst vor der Familie – und er hat vor allem Angst, ihr die Wahrheit zu erzählen. «Vielleicht weinen sie nicht einmal», erzählt er seinem Freund am Telefon und fügt hinzu, dass es nur ein Familienessen sei und nicht das Ende der Welt. Was natürlich nicht stimmt: Zum Schluss ist nichts wirklich gesagt oder ausgesprochen. Louis reist unverrichteter Dinge ab – und das bedeutet für ihn natürlich das Ende der Welt, und nicht nur der, wie er sie kennt.
HIV in TV und Film: Die fiktionale Aufarbeitung setzte sehr früh ein, mit «An Early Frost». Weitere sehenswerte Filme und Serien zum Thema haben wir hier für dich gesammelt.
Das könnte dich auch interessieren
Film
«Klandestin» – Rechte Politikerin soll schwulen Geflüchteten verstecken
In Kino-Erfolgen wie «Rosa Luxemburg» und «Hannah Arendt» wurde Barbara Sukowa in Rollen warmherziger Frauen berühmt. Als eiskalte Politikerin zeigt sie in «Klandestin» eine ganz andere Seite
Von Newsdesk/©DPA
Kultur
Deutschland
Schwul
Gesundheit
Warum dieser schwule Abgeordnete jetzt auch bei Onlyfans ist
Der australische Grünen-Abgeordnete Stephen Bates hat eine eigenen Onlyfans-Account gestartet. Dort macht er Gesundheitspolitik.
Von Newsdesk Staff
HIV, Aids & STI
Dating
Schwul
Serie
Es bleibt kompliziert: «And Just Like That ...» geht weiter
Carrie, Miranda und Charlotte sind zurück: Die dritte Staffel von «And Just Like That...» startet am 29. Mai in Deutschland. Die Serie ist die Fortsetzung der Kultreihe «Sex and the City».
Von Newsdesk/©DPA
Unterhaltung
Film
Liebe auf Norwegisch: «Oslo Stories» startet im Kino
Der Regisseur Dag Johan Haugerud widmet drei Filme den Themen Liebe und Sexualität. Ein Teil der Trilogie gewann sogar den Hauptpreis der Berlinale.
Von Newsdesk/©DPA
Kultur
Liebe