Ein Ja zum Ja-Wort – Macht es die Schweiz Irland nach?
Die Schweizer*innen stehen vor der gleichen Frage wie die Ir*innen vor sechs Jahren
Am 26. September entscheidet die Schweiz über die Eheöffnung. In Irland war man bereits in einer ähnlichen Situation, so auch in der Schweiz mit dem Partnerschaftsgesetz. Zwei Mitglieder dieser beiden erfolgreichen Kampagnen geben Tipps für den bevorstehenden Abstimmungskampf.
«In den Strassen Dublins stoppten die Busse und hupten», erinnert sich Gráinne Healy. «Es gab Tränen und Umarmungen, wir spürten alle: Heute hat Irland etwas Fantastisches getan.» Am 22. Mai 2015 stimmten 62 % der irischen Wähler*innen der Verfassungsänderung zu, die die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare brachte (MANNSCHAFT berichtete). Für diesen Tag hatte Gráinne jahrelang gekämpft. Sie war Vorsitzende von «Marriage Equality Ireland« und Codirektorin der Abstimmungskampagne «Yes Equality».
Auch die Schweiz muss an die Urne Sehen wir in der Schweiz auch bald solche Jubelszenen? Die Hochzeitsglocken waren hierzulande im vergangenen Dezember schon in Hörweite (MANNSCHAFT berichtete). Damals sprachen sich in Bern beide Kammern des Parlaments für die Eheöffnung aus. Doch es war nur das scheinbare Ende eines langwierigen politischen Prozesses: Die christlich-konservativen Gegner*innen machten sich umgehend ans Sammeln von Unterschriften – und waren erfolgreich. Am 26. September wird die Bevölkerung an der Urne über die Ehe für alle befinden müssen.
Damit stehen die Schweizer*innen vor der gleichen Frage wie die Ir*innen vor sechs Jahren. Dort war der Volksentscheid allerdings notwendig, weil die Eheöffnung eine Verfassungsänderung zur Folge hatte.
Bis dahin hatte Gráinne Healy bereits jede Menge Arbeit. Sie musste der Politik und der Öffentlichkeit erst mal klarmachen, dass diese rechtliche Ungleichheit, die Ausgrenzung und die fehlende Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare ein grosses Problem darstellten.
«In den ersten Jahren der öffentlichen Debatten ging es hauptsächlich darum, darauf aufmerksam zu machen, welche negativen Folgen das damalige Eherecht auf die Paare und ihre Kinder hatte», erklärt Gráinne. «Das Wohl der Kinder» war bis dahin eigentlich eine typische Floskel der Gegner*innen, doch es gelang der Kampagne, den Spiess umzudrehen. «Wir hatten Kinderrechtsorganisationen aus dem ganzen Land auf unserer Seite, das war ein grosses Glück», sagt Gráinne. Diese Organisationen konnten als unabhängige Instanzen wissenschaftliche Studien präsentieren, die zeigen, dass die Gleichstellung für die Kinder gut wäre. Zu diesem Thema wird Gráinne Healy übrigens am 17. Juni an der «Nationalen Fachtagung Regenbogenfamilien» in Bern referieren.
Die katholische Kirche kämpfte mit einem Imageschaden Doch ist Irland nicht ein streng katholisches Land? Gab es keine erbitterte Gegenwehr der Kirche? «Nach den vielen schrecklichen Berichten über ihren jahrzehntelangen Missbrauch von Kindern in Irland war die Position der katholischen Kirche als moralische Instanz geschwächt», erklärt Gráinne. Die restlichen konservativen Gegner*innen hätten auf Angstmacherei gesetzt – die Befürworter*innen hingegen auf positive Botschaften und Werte, die den Ir*innen am Herzen liegen: Gleichheit, Liebe, Grosszügigkeit, Inklusion. Sie hätten die Befürchtungen und Ängste der Leute studiert und darauf Antworten gefunden. Indem beispielsweise erwachsene Kinder von gleichgeschlechtlichen Eltern über die Rolle der Ehe gesprochen hätten. Und sie hätten auf Aushängeschilder gesetzt. «Aber nicht auf die üblichen Verdächtigen wie bekannte Liberale oder Mitglieder der LGBTIQ-Community, sondern auf Gesichter aus dem Mainstream. Und auf Eltern und Grosseltern, die für ihre Kinder Gleichberechtigung wollten.»
Für die Kampagne «Ehe für alle» hat Gráinne deshalb folgende Tipps: «Stützt eure Arbeit auf Werte, die den Schweizer*innen wichtig sind. Findet Sprecher*innen aus Politik und Religionsgemeinschaften, die die Öffentlichkeit beeinflussen können. Gerade Menschen aus der Kirche, die für die Eheöffnung sind, können konservative Wähler*innen überzeugen.» Ihr wichtigster Tipp lautet jedoch: «Setzt auf positive Werte, auf positive Gefühle und auf eine positive Kampagne.»
Es wäre nicht das erste Ja Doch auf der Suche nach Vorbildern für den bevorstehenden Abstimmungskampf müssen wir gar nicht die Landesgrenze überqueren – dafür aber ein Jahrzehnt weiter in der Zeit zurückreisen. Am 5. Juni 2005 stimmte die Schweiz dem Partnerschaftsgesetz zu. Zum ersten Mal überhaupt wurde damit in einer nationalen Volksabstimmung grünes Licht gegeben für die Registrierung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Auch damals hatte zuvor die christlich-konservativ geprägte Gegnerschaft – namentlich die EVP und die EDU – das Referendum ergriffen.
Bundesrätin Ruth Metzler-Arnold war es, die das Partnerschaftsgesetz in Bern entscheidend vorantrieb. Mit ihrem berühmten Einleitungssatz an einer Pressekonferenz gab sie der Ja-Kampagne obendrein noch einen richtig guten Slogan mit auf den Weg: «Meine Damen und Herren, es geht um die Liebe!»
«Das war für uns ein erster Glücksfall», erinnert sich Oliver Fritz vom Verein Network, der damals im Vorstand des Ja-Komitees war. Ohnehin habe er den gesamten Abstimmungskampf sehr positiv in Erinnerung: «Wir hatten schon Jahre im Voraus erfolgreiche Kampagnen analysiert und konnten schliesslich ein gut funktionierendes Vorstandsteam bilden.»
Das Stichwort der damaligen Bundesrätin nahm man dann auch in der dreisprachigen Plakatkampagne auf. Mit den Comiczeichnungen «Liebe ist . . . » konnten die Befürworter*innen humorvoll und unaufdringlich vermitteln, worum es geht: nämlich um mehr Rechte für sich liebende Paare.
Rund anderthalb Monate vor dem Urnengang lancierte ein grosser Event die heisse Phase des Abstimmungskampfes. Im Schweizerhof in Luzern traten unter anderem die Alt-Bundesrät*innen Ruth Dreifuss und Otto Stich, aber auch Künstler*innen wie Irène Schweizer und Michael von der Heide auf, um für das Partnerschaftsgesetz zu werben. Grosse Namen der Politik und ein bisschen Glamour sind ideale Voraussetzungen für gute Presse – besonders in Boulevardpublikationen. Das sei ein nicht zu unterschätzender Faktor, sagt Oliver. «Der Blick etwa war damals wie heute für die Meinungsbildung der breiteren Bevölkerung äusserst relevant.»
Knackpunkt Samenspende Hat Oliver noch weitere Tipps für das Komitee «Ehe für alle»? Es sei wichtig, zwischen den Befürworter*innen der Romandie und der Deutschschweiz wie damals einen starken Zusammenhalt zu entwickeln. Ausserdem sollte klar sein, welche Aufgaben auf nationaler und welche auf regionaler Ebene erfüllt werden müssen. «Die Motivation der regionalen Vereine war seinerzeit ein voller Erfolg.»
Wie ausgeprägt die Parallelen zwischen dem bevorstehenden Abstimmungskampf und demjenigen vor 16 Jahren sein werden, kann Oliver noch nicht vollständig abschätzen. Trotz inhaltlichen Ähnlichkeiten gibt es für ihn vor allem noch ein grosses Fragezeichen: die Gegner*innen.
Er fürchte, dass von ihnen legalistische Argumente ins Feld geführt und die Diskussionen technischer würden. Auch könnte das Nein-Komitee versuchen, die Samenspende in den Fokus der Debatte zu rücken.
«Unsere Gegnerschaft beim Partnerschaftsgesetz war kommunikativ schwach aufgestellt», erinnert sich Oliver. Wie stark und bestimmend die Gegner*innen diesmal auftreten werden, hänge auch davon ab, ob sie finanzkräftige Gönner*innen in ihren Reihen hätten. So oder so sei heftige Gegenwehr zu erwarten. «Die liberale Gesellschaft ist zwar bestimmt auf dem Vormarsch, aber unsere Gegner*innen agieren dafür umso lauter und polarisierender.»
«Was hatten diese 42 % für ein Problem? Sind die denn alle homophob? Oder ist es etwas anderes?»
Am Ende wurde das Partnerschaftsgesetz mit 58 % der Stimmen angenommen. Nur die Kantone Jura, Wallis, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Uri, Schwyz und Thurgau lehnten die Vorlage ab. Oliver war mit der fast fehlerfreien Kampagne zufrieden – weniger jedoch mit dem Ausmass des Sieges. Angesichts der vielversprechenden Umfragewerte (die es notabene bei der Ehe für alle wieder gibt) hätte er sich etwas mehr erhofft.
Er gibt zu, sich in der Folge immer wieder gefragt zu haben: «Was hatten diese 42 % für ein Problem? Sind die denn alle homophob? Oder ist es etwas anderes?» Darauf habe er bis heute keine Antwort gefunden. Und er hätte nicht gewusst, wie er mit einer Niederlage umgegangen wäre. «Ehrlich gesagt wüsste ich das bei der Ehe für alle wieder nicht. Aber so weit wird es nicht kommen, da bin ich sicher!»
Mehr Hassrede im Abstimmungskampf Zwei, die alles daransetzen werden, dass Oliver Fritz recht behalten wird, sind Maria von Känel und Daniel Stolz. Die Geschäftsführerin des Dachverbandes Regenbogenfamilien und der ehemalige Basler FDP-Nationalrat, Vorstandsmitglied von Network, führen den Kampagnenverein «Ehe für alle» als Doppelspitze durch den Abstimmungskampf. Vergangene LGBTIQ-Abstimmungen im In- und Ausland liefern für diese Arbeit wichtige Erkenntnisse, wie Maria erklärt. Aus diesem Grund stehe sie mit Gráinne Healy, aber auch mit Aktivist*innen aus Australien und den USA in Kontakt.
Die Abstimmung zur Ausweitung der Antirassismusstrafnorm und das Referendum in Irland hätten belegt, dass Menschen aus der Community während des Abstimmungskampfes vermehrt Hassreden erlebten.
«Es hat sich gezeigt, dass die Abwertung unserer Partnerschaften und Familien tiefe Narben hinterlassen können», sagt Maria. «Das möchten wir im Auge behalten und mit zusätzlichen Angeboten wie Helplines und physischen oder virtuellen Treffen abfangen.»
Ist die Sache diesmal einfacher, weil das Thema klarer ist? Alle wissen, was die Ehe ist – bei der Antirassismusstrafnorm war das komplizierter. Gegner*innen schürten Ängste, indem sie ohne faktische Grundlage den Tod der Meinungsfreiheit prognostizierten. Doch es sei damit zu rechnen, dass das Gegenkomitee auch diesmal im Vorfeld der Abstimmung Lügen und Fehlinformationen verbreiten werde. «Etwa indem es behauptet, dass Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, leiden würden und sich nicht gesund entwickeln könnten», sagt Maria.
Auch würden die Gegner*innen immer wieder versuchen, irreführend Themen ins Spiel zu bringen, die vom neuen Gesetz gar nicht betroffen sind, ergänzt Daniel. «Beispielsweise die Leihmutterschaft, die gar nicht zur Debatte steht und deren Legalisierung ohnehin einen separaten Volksentscheid bräuchte.»
Die Befürworter*innen wollen hingegen auf korrekte und elementare Argumente setzen: Dass die Bundesverfassung Diskriminierung verbiete und ein Recht auf Ehe und Familie garantiere. Auch der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, diene als starkes Argument, so Maria. Und Daniel findet: «Wir LGBTIQ-Menschen wollen nicht länger als Bürger*innen zweiter Klasse behandelt werden. Wir haben die gleichen Pflichten wie heterosexuelle Paare, also wollen wir logischerweise auch die gleichen Rechte haben.»
Damit diese grundlegenden Argumente Gehör finden, braucht es finanzielle Mittel – aber auch viel persönliches Engagement. Deshalb der Appell des Co-Präsidiums an die Community: «Startet jetzt damit, euer Umfeld zu mobilisieren, und engagiert euch in den lokalen Komitees!»
Der lange Weg zur Eheöffnung
Im Dezember 2013 reichte GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» erstmals ein. Allen Menschen – ungeachtet ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung – sollten sämtliche rechtlich geregelten Lebensgemeinschaften offenstehen. Es folgte ein schleppender parlamentarischer Prozess, der sich über mehr als sieben Jahre hinzog.
Nachdem der Ständerat mit hauchdünner Mehrheit entschied, dass keine Verfassungsänderung nötig sei, erfolgte am 18. Dezember vergangenen Jahres in den beiden Parlamentskammern die Schlussabstimmung. Der Ständerat stimmte der Vorlage schliesslich mit 24 zu 11 Stimmen bei 7 Enthaltungen zu, der Nationalrat mit 136 zu 48 Stimmen bei 9 Enthaltungen. Nein-Voten gab es vor allem aus der SVP-Fraktion; in der Mitte-Fraktion lehnte etwa jedes zweite Mitglied die Ehe für alle ab. Die übrigen Parteien unterstützten die Vorlage.
Sofort nach ihrer Niederlage im Parlament kündigten die Gegner*innen an, das Referendum zu ergreifen. Gleich drei Komitees haben sich dann um Unterschriften bemüht. Das grösste wurde angeführt von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU) und soll allein mehr als die nötigen 50 000 Unterschriften gesammelt haben. Die Fondation pour la Famille und ein bürgerliches Komitee, das gegen den Zugang zur Samenspende für lesbische Frauen ist, steuerten zusammen rund 15 000 Unterschriften bei. Die damit erzwungene Volksabstimmung zur Ehe für alle wird am 26. Septemver stattfinden. ehefueralle.ch
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