«Don’t Say Gay»: Wut über Disneys neuen CEO Bob Chapek

In Russland distanziert sich das Unternehmen öffentlich von Putin, in Florida schweigt es zu einem Anti-LGBTIQ-Gesetzesvorhaben

Der Eingang zu Disney World in Florida (Foto: Jrobertiko / Wiki Commons)
Der Eingang zu Disney World in Florida (Foto: Jrobertiko / Wiki Commons)

Der US-Medien- und Unterhaltungsriese Walt Disney kämpft derzeit an zwei sehr unterschiedlichen Kriegsschauplätzen: einmal in Russland und dann in Florida, wo bekanntlich der Themenpark Disney World in Orlando zu finden ist.

Wegen des Krieges gegen die Ukraine will Disney vorerst keine Geschäfte mehr in Russland machen. Die Entscheidung erfolge «angesichts des unerbittlichen Angriffs auf die Ukraine und der eskalierenden humanitären Krise», erklärte das Unternehmen am Donnerstag. Disney hatte vergangene Woche bereits angekündigt, zunächst keine Filme mehr in Russland rauszubringen.

Nun stoppt der Konzern alle Aktivitäten – von seinen Fernsehsendern und der Vermarktung von TV-Inhalten übers Lizenzgeschäft bis hin zu Kreuzfahrten und der Magazinmarke «National Geographic». Teilweise gehe dies wegen vertraglicher Verpflichtungen zwar nicht per sofort, doch Disney arbeite daran, berichtet die Deutsche Presseagentur.

Soweit die positiven Signale, die das Unternehmen sendet. Sehr anders sieht es mit öffentlicher Distanzierung in Florida aus, wo gerade ein Gesetz auf den Weg gebracht wurde, das Aktivist*innen «Don’t Say Gay» betitelt haben (MANNSCHAFT berichtete). Darin geht es um eine Reform des Bildungswesens: in Klassenräumen und Kindergärten soll jegliche Diskussion über sexuelle Orientierung und Genderidentität (die nicht der Heteronorm entspricht) bis zur 3. Klasse untersagt werden. Ausnahmen gibt es dann nur, wenn die entsprechende Thematisierung «altersgerecht» ist oder «der Entwicklungsstufe entspricht». Was eine recht schwammige Formulierung ist. Eltern haben das Recht jeden zu verklagen, der bzw. die gegen diese Vorgaben verstösst. (MANNSCHAFT berichtete über einen neuen Disney-Film, in dem es ums sexuelle Erwachen eines 13-Jährigen geht.)

Religiöse Hardcore-Gemeinden Betroffen vom Gesetz sind natürlich auch die 80.000 Disney-Angestellten in Florida. Sie leben im Grossraum Orlando, einer sehr queerfreundlichen Stadt – genau wie naheliegende LGBTIQ-Touristenzentren wie Tampa, St. Petersburg oder Sarasota –, aber dazwischen befinden sich Enklaven von absoluten religiösen Hardcore-Gemeinden, die seit Jahren gegen vermeintliche «Sünde» direkt vor ihrer Haustür protestieren, teils sogar mit gewaltsamen Mitteln.

Viele Disney-Mitarbeitenden erwarteten angesichts der sich abzeichnenden Gesetzesänderung in Florida, dass das Unternehmen sich öffentlich dagegenstellen würde – schliesslich ist Disney in Florida nicht irgendein Arbeitgeber, sondern sorgt mit seinem Themenpark für Umsätze, von denen eine ganze Region und weit darüber hinaus lebt im Zusammenhang mit Reiseanbieter*innen, Fluggesellschaften, Hoteliers, Mietwagenfirmen usw..

Doch der neue Disney-CEO Bob Chapek hielt sich mit jeglichen öffentlichen Äusserungen zu den Entwicklungen in Florida zurück, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Robert A. Iger, der sich via Twitter an die Seite von Präsident Biden stellte und sagte, dieses Gesetz würde «junge und verletzbare LGBTQ-Personen» gefährden.

CEO Chapek verschickte dagegen lediglich ein internes Memorandum, sonst nichts. Das führte zu einem Aufschrei und dem Hashtag #boycottDisney, der in sozialen Medien trendete.

«Neuer Standard in Firmenfeigheit» Auch Disneys Enkeltochter Abigail Disney äusserte sich und sagte: «Ich bin zutiefst verärgert, dass Disney glaubt, den Blick einfach in die andere Richtung zu lenken.» Auch Mitarbeitende von Disneys Tochterunternehmen – Lucasfilm in San Francisco zum Beispiel – beschwerten sich. Selbst die «Animated Guild», die alle Animationskünstler*innen in Hollywood repräsentiert (auch Drehbuchator*innen und technisches Personal), nannte Chapeks Entscheidung zu schweigen «einen monumentalen Fehltritt», der sich gegen die Logik und Ethik der Firma wende.

Die Los Angeles Times sprach in einem Kommentar sogar davon, dass Disney hier «einen neuen Standard in Firmenfeigheit» setze («corporate cowardice»). (MANNSCHAFT berichtete darüber, wie Disney in der Neuverfilmung von «Mulan» die bisexuellen und trans Elemente der Geschichte entfernte, auf Druck der chinesischen Zensurbehörden.)

Nun äusserte sich Chapek diese Woche doch öffentlich, bei der Jahresversammlung der Anteileigener*innen. Für die New York Times berichtet Brooks Barnes als Unterhaltungsbranchenexperte darüber.

Im Artikel wird Chapek mit diesen Worten bei der Versammlung zitiert: «Obwohl wir seit Jahrzehnten wichtige Unterstützer der Community waren, hat es viele verärgert, dass wir uns nicht zu diesem Gesetzesvorhaben geäussert haben; das ist mir bewusst.» Weiter soll Chapek gesagt haben: «Wir waren von Anfang an gegen dieses Gesetz, aber wir haben uns entschieden, nicht öffentlich dagegen vorzugehen, sondern hinter den Kulissen direkt mit den Gesetzgeber*innen von beiden Seiten (des politischen Lagers) zu sprechen.»

Fünf Millionen Dollar für LGBTIQ-Organisationen Nachdem dieses Vorhaben offensichtlich keinen Erfolg brachte, habe Chapek den Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, angerufen und seine «Enttäuschung» ausgedrückt sowie seine «Sorge», dass durch das Gesetz «schwule, lesbische, nichtbinäre und transgender Kinder und Jugendliche unfair getroffen» werden könnten.

Der Gouverneur habe sich diese Sorgen angehört, hiess es. Und er habe eingewilligt, mit LGBTIQ-Vertreter*innen aus dem Disney-Management in Florida zu sprechen. So zumindest Chapeks Darstellung.

Aus dem Büro von DeSantis hiess es hingegen, man habe jetzt zum ersten Mal von Disney gehört. Ja, DeSantis habe ein Telefonat von Chapek angenommen. Nein, die Position von DeSantis in diesem Fall habe sich dadurch nicht verändert. Und ein persönliches Treffen sei auch nicht vereinbart worden. (MANNSCHAFT berichtete über die Disney+-Doku zum schwulen Musicalmacher Howard Ashman, der fürs Unternehmen einige der grössten Hits aller Zeiten schuf, bevor er an AIDS starb.)

Disney versuchte anschliessend zu erklären, dass Chapek in den anderen Fällen nicht selbst angerufen habe, dafür aber seine Mitarbeiter*innen – und das im Verlauf der letzten sechs Woche. Chapek gab zudem bekannt, dass Disney fünf Millionen Dollar an LGBTIQ-Organisationen spenden wolle, darunter an die Human Rights Campaign. Man wollte «Committment» zeigen. Und man wolle die Organisationen finanziell so unterstützen, dass sie «besser auf den Kampf vorbereitet» seien. Nur als Hintergrundinfo: In den drei Monaten bis Anfang Januar kletterten die Erlöse von Disney im Jahresvergleich um 34 Prozent auf 21,8 Milliarden Dollar (19,1 Mrd. Euro), berichtet dpa.

Human Rights Campaign habe die Spende abgelehnt, schreibt die New York Times. Man wollte von Disney kein Geld annehmen, heisst es, bis das Unternehmen etwas an seinem «öffentlichen Engagement» verändere.

Jahresversammlung der Anteilseigner*innen Bei der Jahresversammlung der Anteilseigner*innen diese Woche trat vor Chapek Susan Arnold als hochrangige Disney-Direktorin vors Publikum. Sie ist eine der wichtigsten Führungskräfte in den USA und eine offen lesbisch lebende Frau, wie die New York Times vermerkt.  Arnold pries die gigantischen Gewinne des Unternehmens und ergänzte, das Unternehmen versuche «ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich alle Angestellten willkommen und unterstützt» fühlen würden.

Anschliessend ratterte Chapek die finanziell einträglichen Projekte der Zukunft runter: eine neuen «Star Wars»-Attraktion bei Disney World in Florida und ein neues eigenes Cruise-Schiff, das im Sommer ablegen soll. (MANNSCHAFT berichtete über die jüngste Spartacus Gay Cruise.)

Anschliessend versuchte er mit knappen Bemerkungen aus dem «Don’t Say Gay»-PR-Desaster herauszukommen und betonte, dass das, wofür man als Firma stehe, «wichtig» sei.

Was das bedeute, bleibt derweil unklar. Jedenfalls haben mehrere Mitarbeitende von Pixar, einem Disney-Tochterunternehmen, im Anschluss verkündet, die Äusserungen und Massnahmen seien «nicht genug».

Es gab ein Online-Schreiben, aus dem die New York Times zitiert. Darin heisse es: «Wir sind enttäuscht, verletzt, verängstigt und wütend.»

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