«Der Weg für queere Sichtbarkeit seit Ende der Naziherrschaft war lang»
Im Bundestag fand ein Gedenken an queere NS-Opfer statt
Mit einer emotionalen Gedenkstunde erinnerte der Bundestag an die Opfer des Nationalismus. Der Fokus lag diesmal auf Menschen, die in der NS-Zeit wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität verfolgt und ermordet wurden.
Ihnen drohte gesellschaftliche Ächtung, Gefängnisstrafe und oft sogar der Tod: Tausende Angehörige sexueller Minderheiten wurden vom NS-Regime massiv verfolgt und gequält. Mit einer emotionalen Gedenkstunde hat der Bundestag am Freitag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Im Mittelpunkt standen Menschen, die damals wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität verfolgt und als «asozial» bezeichnet wurden.
50’000 Männer wurden unter dem NS-Regime gemäss des Paragrafen 175, der Homosexualität noch bis 1994 unter Strafe stellte, zu Freiheitsstrafen verurteilt. Mindestens 5000 bis 6000 von ihnen wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Mary Pünjer wurde unter dem Vorwand der Asozialität als «Lesbierin» verhaftet. Die Schauspielerin Maren Kroymann erinnerte im Bundestag stellvertretend an die Lebensgeschichte des bereits verstorbenen Holocaust-Opfers (MANNSCHAFT berichtete). «Liebe Mary Pünjer, eigentlich solltest du hier stehen und berichten», sagte Kroymann, die sich 1993 als lesbisch outete, zu Beginn ihrer Rede. Doch Pünjer, die Jüdin war, kann nicht berichten – sie wurde wegen «lesbischen Verhaltens» angeklagt und 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg (Saale) in Sachsen-Anhalt ermordet.
«Die Gedenkstunde im Bundestag war noch viel berührender und grösser, als ich es im Vorfeld erahnen konnt», schrieb Kroymann danach auf Facebook. Die Berichte von Rozette Kats und Klaus Schirdewahn hätten zutiefst das Unrecht benannt und gezeigt, dass Opfergruppen nicht gewichtet oder gegeneinander ausgespielt werden dürfen.
Dank an die Bundestagspräsidentin für ihre kluge und deutliche Haltung. Das war ein einmaliger Tag.
Kroymann weiter: «Es wurde auch deutlich, wie lang und steinig der Weg für queere Sichtbarkeit und Gerechtigkeit seit Ende der Naziherrschaft war. Wie wichtig dieses Gedenken im Zentrum unserer Demokratie war, werden wir vielleicht erst allmählich verstehen. Wie Bärbel Bas sagte, es darf kein Ende des Erinnerns an alle Opfer geben, die von den Nationalsozialisten verfolgt, bedroht, entrechtet und ermordet würden. Dank an die Bundestagspräsidentin für ihre kluge und deutliche Haltung und an alle Beteiligten vor und hinter den Kulissen. Das war ein einmaliger Tag.»
Auf die Anerkennung als Opfer der Nationalsozialisten hätten Angehörige sexuelle Minderheiten lange vergebens gewartet, betonte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. «Für unsere Erinnerungskultur ist es wichtig, dass wir die Geschichten aller Verfolgten erzählen», mahnte die SPD-Politikerin. Es sei die Aufgabe jeder Generation, sich von neuem mit den Verbrechen der Geschichte auseinanderzusetzen.
Die Holocaust-Überlebende Rozette Kats pflichtete Bas in ihrer Rede bei. «Wenn bestimmte Opfergruppen gar als weniger wertvoll als andere angesehen werden, dann bedeutet das am Ende nur eins – dass die nationalsozialistische Ideologie weiterlebt und leider bis heute weiterwirkt», mahnte die sichtlich bewegte 80-Jährige. Die Niederländerin wurde 1942 in einer jüdischen Familie geboren und überlebte den Holocaust als Kind bei einem Ehepaar in Amsterdam, bei dem sie unter falscher Identität aufwuchs. Ihre leibliche Familie wurde in Auschwitz ermordet.
Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen. An vielen Orten wurden am Freitag zur Erinnerung Kränze niedergelegt.
Gedenken bedeutet Handeln: Die CDU-Präsidenten des Bundestages hatten eine Würdigung queerer NS-Opfer Jahr für Jahr abgeblockt (MANNSCHAFT-Kommentar)
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