Côte d'Ivoire: Ein schwuler Sohn ist «das schlimmste Unglück»
«Die Frauen seines Lebens» ist ein lesenswerter Roman über die Diskriminierung und Ausgrenzung queerer Menschen in Afrika.
Es ist erfreulich, dass immer mehr Bücher mit queeren Themen aus Afrika in deutscher Übersetzung erscheinen. Der Albino Verlag hat nun den Roman «Die Frauen seines Lebens» von Ahepka Yves Moïse N'Guessan veröffentlicht. Der Autor stammt aus Côte d'Ivoire (früher Elfenbeinküste) und studierte an der Universität von Abidjan. Côte d'Ivoire gehört zu den wenigen afrikanischen Ländern, in denen gleichgeschlechtliche Liebe nicht verboten ist. Trotzdem werden queere Menschen diskriminiert und ausgegrenzt. Dies zeigt auch der vorliegende Roman, bei dem es nicht nur um den Hass auf queere Menschen, sondern auch um andere Themen wie Frauenfeindlichkeit, Zwangsheirat und weibliche Genitalverstümmelung geht.
Die Hauptfigur in dem Buch ist der erfolgreichen Arzt Marco, der in der vier Millionen Einwohner*innen zählenden Stadt Abidjan lebt. Marco führt nach aussen hin ein Bilderbuchleben. Er ist verheiratet, hat eine attraktive Frau und kümmert sich liebevoll um die Tochter. Die Familie lebt in einer Villa in einem noblen Viertel. «Aber perfekte Familien verbergen oft schlimme Geheimnisse», schreibt der Autor.
An einem Abend bricht die mühsam aufgebaute Fassade mit voller Wucht zusammen. Denn Marco wird von seiner Frau beim Sex mit einem anderen Mann erwischt. Es sei ein Abend gewesen, «an dem alle Masken fielen und all die tief in unseren Herzen verborgenen Wahrheiten ans Licht drängten», heisst in dem Buch.
Als die Frau die beiden Männer beim Sex entdeckte, sei sie völlig ausser sich geraten. «Sie fing so laut an zu schreien, dass draussen die Nachbarn zusammenliefen und jedes Wort mit anhörten, das sie in ihrer unbändigen Wut ausstiess: Hinterlader, Scheusal, Schwuchtel, Abschaum, Schmutzlappen». Dann bricht die Frau zusammen.
Der Selbsthass des schwulen Marco
Das Besondere an dem Roman ist, dass nicht nur die Sichtweise des schwulen Marco, sondern auch die Perspektiven und Lebensgeschichten seiner Frau, seiner Mutter und seiner Tochter erzählt wird. Dabei tun sich bei allen Personen tiefe Abgründe aus der Vergangenheit auf. Der Roman schildert eindrucksvoll, wie tief der Hass auf queere Menschen in Côte d'Ivoire verankert ist. So erzählt Marco, wie er bereits in seiner Jugend einen Hass auf sich selbst entwickelt habe, weil er sich zu Männern hingezogen fühlt. «In mir hat sich das Böse eingenistet, es wächst stetig und jeden Tag wird es stärker, das spüre ich. Es nagt an mir, gierig und beharrlich». Marco weiss, dass für seine Mutter ein homosexuelles Kind «das schlimmste Unglück» sei.
Marco führte ein Dasein im Verborgenen. Er war der Klassenbeste, aber ein introvertiertes Kind, das sich in ein Schneckenhaus zurückzieht. «Ich bin aufgewachsen im Schatten dieses Geheimnisses, es lastet auf mir und zerfrisst mich von innen.» Die Mutter ahnte schon früh, dass ihr Sohn anders sei. Doch sie hat mit ihm nie darüber gesprochen. Was Marco fühlt, sei «teuflisch, anormal und gegen die Natur», denkt die Mutter. Sie flüchtete sich in die Religion. Die Mutter fühlt sich schuldig und macht sich Vorwürfe, dass sie ihren Sohn in der Kindheit zu sehr verwöhnt hat.
Ausbruch aus dem selbst gewählten Gefängnis
Die Mutter wuchs auf dem Land in schwierigen Verhältnissen auf. Sie wurde von ihrer Herkunftsfamilie verstossen und musste in die Stadt fliehen. Sie weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst, die «gnadenlosen Blicke der Gesellschaft» zu ertragen. Als Marco das erste Mal mit einer Frau auftauchte, tat sie alles, damit die Ehe ewig hielt. Doch tatsächlich war Marco bei der Hochzeit todtraurig. Immer wieder brach er während der Ehe aus dem selbst gewählten Gefängnis aus. Er verliebte sich in Männer, wurde später aber enttäuscht. Er stürzte sich «in oberflächliche, rein körperliche Begegnungen, in flüchtige Treffen, die mir für ein paar Momente das Gefühl gaben, geliebt und begehrt zu werden». Traurig ist auch das Schicksal der Ehefrau von Marco, die aus einem frauenfeindlichen Umfeld mit rückständigen Sitten stammt. In ihrem Dorf wurden Frauen beschnitten, damit sie kein sexuelles Verlangen spüren. Frauen seien einfach «Gefässe mit einer grossen Öffnung, einzig dazu bestimmt, dem sexuellen Appetit unserer Männer zu genügen», heisst es in dem Kapitel, in der die Ehefrau ihr Leben reflektiert. Der Roman überzeugt durch seine atmosphärische Dichte und zeigt wie schwer es nicht nur queere Menschen in vielen afrikanischen Ländern haben.
Ahepka Yves Moïse N'Guessan: Die Frauen seines Lebens. Albino Verlag, Berlin 2024.
Mehr: Mali stellt Homosexualität unter Strafe (MANNSCHAFT berichtete)
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