«Eine kurze Umarmung hat mir viel, viel Kraft gegeben»
Wie geht es den Mitgliedern der LGBTIQ-Community im zweiten Monat der Corona-Einschränkungen?
Im März, als die Corona-Beschränkungen noch relativ neu waren, haben wir mit Mitgliedern der LGBTIQ-Familie gesprochen und wollten wissen, wie sie klarkommen und was sie am meisten vermissen. Einen guten Monat später haben wir nochmal nachgehakt.
Man sehe gerade, wieviel Gutes in vielen Menschen steckt und wie wertvoll ein Lächeln und Sichgrüssen auf der Strasse sein kann, schrieb uns ein Schweizer Leser Anfang April. Das mag naiv klingen, aber tatsächlich scheinen sich die Leute mehr füreinander zu interessieren und stärker umeinander zu kümmern als zuvor.
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Da ist die grosse Welle der Solidarität, etwa dort, wo die Krise Kultureinrichtungen oder Clubs trifft und deren Existenz bedroht. So sind etwa seit Mitte März auch das Berliner SchwuZ und das Zürcher Heaven geschlossen und es sieht momentan nicht danach aus, als dürften Clubs so bald wieder öffnen. Das SchwuZ hat über die Plattform Startnext binnen fünf Wochen 43.000 Euro gesammelt. So kann zunächst ein Teil der laufenden Kosten (Miete, Steuern, Löhne, etc.) gedeckt werden.
Oder die schwulen Buchläden, denen es ohnehin schon nicht gut geht. Aber ob beim «Löwenherz» in Wien oder beim «Erlkönig» in Stuttgart, wo man kürzlich feststellte: Die Leute bestellen kräftig online und halten, so gut es geht, den Betrieb am Laufen.
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Andere gehen in die Krankenhäuser und helfen dort, so wie Marco Uhlig. Der Geschäftsführer des Heaven ist ausgebildeter Pfleger und arbeitet jetzt wieder zusammen mit den alten Kolleg*innen im Zürcher Universitätsspital (MANNSCHAFT berichtete). Das hat eine positive Nebenwirkung: «Meine Schichten auf der Intensivstation lenken mich von den Sorgen ab, die wir wegen der Clubschliessung haben.» Der Pflegefachmann Charly Bühlmann arbeitet in der Notfallaufnahme des Berner Sonnenhofspitals und staunt, wie viel Verständnis dem Gesundheitspersonal in dieser Zeit entgegengebracht wird. Normalerweise seien die Menschen schnell unzufrieden, wenn es mal länger gehe. Jetzt spüre er Dankbarkeit, die Leute seien viel ruhiger und geduldiger (MANNSCHAFT berichtete).
Auch in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sterben Menschen an oder mit Corona, aber bei weitem nicht so viele wie etwa in den USA. Dort, in San Francisco, lebt Frank Marx. Der ausgewanderte Schauspieler hat erst im Vorjahr sein eigenes deutsches Tourbusiness gegründet. Nebenbei singt er im San Francisco Gay Men‘s Chorus. Der Chor hat 350 Mitgliedern, viele davon schon älter; zwei davon seien an Corona gestorben. Das habe ihn nochmal vorsichtiger gemacht, schreibt er uns.
Nun ist es mittlerweile Mai geworden. Die Beschränkungen wurden bei uns etwas gelockert. Die ersten Geschäfte durften wieder öffnen. Von Blumenhändler Mario Burkhard dringend ersehnt, auch wenn die zurückliegenden Wochen sehr anstrengend waren: Viele Kunden hätten online oder telefonisch bestellt. Er musste sogar die Kapazität des Lieferdiensts erhöhen, erzählt er uns.
Auch das Schwule Museum in Berlin wird Mitte des Monats wieder seine Türen öffnen, exakt zwei Monate nach der Corona-bedingten Schliessung (MANNSCHAFT berichtete).
Für ein Fazit sei es natürlich zu früh, meint Tobias Bonn von den Geschwister Pfister, aber wie schnell die erste Soforthilfe in Berlin auch für Selbstständige und freischaffende Künstler*innen geklappt hat – das habe ihn beeindruckt. Dennoch müsse es für die Theater weitere Hilfsmassnahmen geben, sonst sterbe die Kulturlandschaft aus.
Vorerst pausieren alle Projekte, auch bei Katrin Schüler-Springorum, etwa ihr Engagement als Livemusikerin bei einer Produktion an der Berliner Volksbühne, von dem sie hofft, dass die ausgefallenen Termine nachgeholt werden. Immerhin, mit ihrem Chor Rosa Cavaliere, den sie seit vielen Jahren leitet, hat sie über die Plattform Zoom Proben mit kleineren Untergruppen abhalten können. «Da merke ich, wie schön das ist, die Leute wieder zu sehen, und sei es auf dem Bildschirm.»
Christoph Breier alias DJ Herzbeat aus Berlin, der letztes Jahr mit Sarah und «Weekend» einen amtlichen Hit gelandet hat, fiel es zu Anfang noch leicht, einfach mal richtig faul sein dürfen, kein schlechtes Gewissen haben zu müssen, und einfach nur zu Hause zu sein. Aber von Tag zu Tag wurde es doch immer mehr zur Herausforderung. Und so nutzt er die Zeit, um an seinem Album «Dancefieber» zu arbeiten, das im Juni erscheinen soll. Als DJ derzeit nicht auf der Bühne stehen und auflegen zu können, «das ist sehr hart für mich».
Ohne meinen Mann wäre ich eingegangen.
Auch Frank in San Francisco kann weiterhin nicht als Tour Guide arbeiten. Er hat sich selbst in der Zwangspause nochmal viel mehr kennengelernt, seine Stärken und seine Schwächen. «Anders als in Deutschland werden wir hier noch lange ernstere Restriktionen haben und jetzt meinen zweiten Monat beginnend möchte ich wieder anfangen auch die Natur wieder wahrzunehmen und das Draussen nicht mehr als Bedrohung zu sehen.» Er wisse nicht, was er ohne seinen Mann gemacht hätte, ohne Nähe und Intimiät. «Ich glaube, ich wäre eingegangen. Unsere Ehe hat nochmal ein ganz anderes Level erreicht in dieser Zeit.»
Viele sagen, sie hätten wirklich eisern die Abstandsregeln befolgt. Aber irgendwann wird jeder mal schwach. Filmemacher Gregor hat schliesslich doch seinen Freund besucht, und auch seinen Geburtstag am 16. April hat er im kleinen Kreis gefeiert (mit zwei Gästen). Auch Matti Seithe von der Präventionskampagne Ich weiss was ich tu (IWWIT) hielt sich lange strikt an das Abstandsgebot. Aber nach einem langen Spaziergang mit einem Freund ging es nicht anders – da mussten sie sich kurz umarmen. «Aber das hat mir viel, viel Kraft gegeben.»
Der ausführliche Artikel folgt in der Mai-Ausgabe der MANNSCHAFT. Hier geht es zum Abo Deutschland und hier zum Abo Schweiz.
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