«Ich suchte Bilder, die meine Identität widerspiegelten»
Ein Gespräch über Repräsentation, Zärtlichkeit und HIV
Die Analog-Kamera ist Clifford Prince Kings Begleiterin auf der Suche nach Gleichgesinnten und nach Repräsentation. Auf seinen Bildern zeigen sich schwarze Männer zärtlich und verletzlich – eine Seite, die für den Fotografen allzu oft im Verborgenen bleibt.
Wir sind über Instagram auf dich gestossen. Findet sich dort eine repräsentative Übersicht deiner Arbeit als Fotograf? Ich fotografiere sehr regelmässig. Folglich kann man meine Bilder als eine Art visuelles Tagebuch verstehen. Ich fotografiere die Menschen, mit denen ich Zeit verbringe, Freundschaften aufbaue oder Beziehungen teile.
Ich fotografiere primär analog – wenn es darum geht, Bilder für spezifische Projekte oder Ausstellungen auszuwählen, tauche ich oft in meine Sammlung von Fotofilmen ein. Im Kern dreht sich meine Arbeit um schwarze Männlichkeit und den queeren Kontext des Schwarzseins in den USA.
Sind es spontane Schnappschüsse oder inszenierte Bilder? Einige meiner Werke sind bewusst inszeniert, um Bilder zu präsentieren, die in der Kunstwelt und den Mainstream-Medien oft fehlen.
Die Suche nach Repräsentation war in meiner Jugend als queerer Heranwachsender nicht immer einfach. Es gab keine Bilder, die meine Identität widerspiegelten, also nahm ich mir vor, sie selbst zu schaffen.
Wie war deine Jugend? Ich bin in Tucson, Arizona, im Südwesten der USA aufgewachsen, wo die Bevölkerung hauptsächlich mexikanisch oder weiss ist. Mein Vater stammt aus Louisiana, und so fühlte ich mich oft als Aussenseiter – nicht «schwarz genug», um Anschluss bei anderen Schwarzen zu finden.
Ohne Spanischkenntnisse passte ich auch nicht in die mexikanischen Gruppen. Da das Klima sehr heiss ist, verbrachte ich viel Zeit drinnen und schaute viele Filme. Mein Interesse an der Filmkunst wuchs stetig, ich tauchte in die Welt von Tumblr ein und bewunderte Pionier*innen wie Ingmar Bergman.
Die Videokamera meines Vaters wurde mein Werkzeug, um mein Zimmer oder meine Freund*innen und Familie zu filmen. Sie wurde auch zu einem Puffer, der es mir ermöglichte, mich anderen Menschen zu nähern, ohne ihnen direkt gegenüberstehen zu müssen.
Und um deine Identität zu erforschen? Das kam erst später, als ich nach Los Angeles gezogen bin. Dort traf ich mich mit Menschen, zu denen ich mich hingezogen fühlte, verbrachte Zeit mit anderen schwarzen Männern – einige davon queer, andere nicht. In diesem Prozess habe ich gelernt, mich durch Fotografie auszudrücken.
Fallen dir beim Durchgehen deines Archivs bestimmte Themen deiner Arbeit auf? Ja, mit Fotofilmen ganz besonders. Kennst du das Gefühl: Du machst ein Foto und es beeindruckt dich nicht? Gerade in der heutigen Zeit übersehen wir oft Dinge, die uns im Moment nicht wertvoll erscheinen. Aber im Laufe der Zeit gewinnen die Bilder an Gewicht und werden bedeutsamer. Wenn du zum Beispiel ein Bild von dir heute siehst und dann in fünf Jahren. Du blickst auf die vergangene Zeit zurück und denkst über den Weg nach, den du zurückgelegt hast.
Unterscheidest du zwischen Bildern aus deinem visuellen Tagebuch und zwischen Bildern, die dich als Künstler repräsentieren? Ich lasse alles miteinander verschmelzen. Das gefällt mir an Instagram. Manchmal poste ich etwas aus Lust und Laune – egal, ob es schon älter ist. Gelegentlich gibt es Reaktionen wie «Ist das deine Kunst?».
Ja, aber nicht alles, was ich poste, muss ein sorgfältig ausgearbeitetes Kunstobjekt sein. Instagram ist für mich wie ein kleines Studio, das mir einen Raum gibt, um über meine Gefühle, Stimmungen und über meinen Platz in der Welt zu reflektieren.
Du bist von Los Angeles nach New York gezogen. Weshalb? Ich hatte das Bedürfnis, mich selbst herauszufordern, solange ich noch etwas jugendliche Ausdauer habe (lacht). In New York liegt ein stärkerer Fokus auf der Kunstwelt im Vergleich zu der von der Filmindustrie geprägten Atmosphäre in L.A. Ich hatte noch nie an der Ostküste gelebt und wollte das tun, bevor ich mich «zu alt» fühle. Eine veränderte Umgebung gibt mir als visuelle Person neue Energie und frische Perspektiven auf meine Arbeit. In New York fühle ich mich grossartig!
Du hast dich lange nach Repräsentation gesehnt. Wann hast du sie zum ersten Mal gefunden? Als ich auf die Arbeit des Dichters und Aktivisten Essex Hemphill gestossen bin. Er war eng befreundet mit Marlon Riggs, mit dem er an Filmen wie «Black Is . . . Black Ain’t» und «Tongues United» zusammengearbeitet hat. Leider sind sie aufgrund der Aids-Krise der Achtziger und Neunziger nicht mehr hier. Sie wurden so etwas wie meine queeren schwarzen Vorfahren.
In ihre Arbeit einzutauchen, fühlte sich wie eine Initiationszeremonie an, als ob sie mir und anderen zeitgenössischen schwarzen queeren Künstlern das Staffelholz übergeben würden. Ihre Arbeit war kraftvoll und bestärkend und öffnete eine Welt, von der ich nicht wusste, dass sie existierte.
In einem Interview hast du erwähnt, dass du deine Identität als queerer, schwarzer und HIV-positiver Künstler erforschst. Gehören diese Eigenschaften unweigerlich zusammen? Manchmal neige ich dazu, sie unterbewusst zu trennen – besonders, wenn ich mich online präsentiere. Ich bin Clifford, ich bin schwul, ich bin schwarz. Das heisst nicht, dass diese Etiketten nicht dazu beitragen, wer ich bin, aber ihre Bedeutung hängt von der Botschaft ab, die ich im Moment vermitteln möchte.
In bestimmten Projekten lege ich meinen HIV-Status offen, weil mir die Entstigmatisierung am Herzen liegt. Während einige Menschen nicht bereit sind, diesen Schritt zu gehen, glaube ich, dass die Bereitschaft darüber zu sprechen im Laufe der Zeit zunimmt, wenn man sich in seinem Körper wohl fühlt und die mit HIV verbundenen Herausforderungen bewältigt.
Was bedeutet schwarze Männlichkeit in der queeren Community für dich? Über die Jahre hinweg habe ich es mir erlaubt, verletzlicher und emotional verbundener zu sein auf Arten, die ich zuvor für unmöglich gehalten hatte. Vor rund zehn Jahren – mit etwa 20 – befand ich mich noch in einem Kampf-oder-Flucht-Modus bezüglich dessen, was ich wirklich wollte. Durch die Fotografie und die Verbindung mit anderen schwarzen Queers konnte ich persönlich wachsen.
Schliesslich habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich mit Menschen zu umgeben, die Glück und Schönheit in dein Leben bringen. Das gibt es auch in der queeren Kultur – trotz aller Herausforderungen und Ängste. Ich verbringe Zeit an Orten, wo mein Herz sich rein und aufgeregt fühlt, und versuche, mich mit denen zu umgeben, die zu diesem Gefühl beitragen.
Wie findest du Menschen, die du fotografieren möchtest? Es kommt darauf an. Manchmal spreche ich jemanden auf der Strasse an. In der Vergangenheit waren Apps wie Grindr eine Quelle, weil ich die Anonymität schätze. Ich bevorzuge es, Personen zu finden, die nicht unbedingt darauf aus sind, fotografiert zu werden und keine Erwartungen an die Fotos haben.
Manchmal sind es auch Freund*innen, mit denen ich Zeit verbracht und ein Vertrauensverhältnis aufgebaut habe. Das ermöglicht es mir, sie in Situationen zu platzieren, in denen sie meiner Arbeit vertrauen und sicher sind. Es hängt alles vom Kontext ab.
Arbeitest du derzeit an Projekten oder Ausstellungen? Ich schreibe derzeit viel und bin in Drehbüchern involviert. Es gibt ein Projekt mit dem Public Art Fund in New York, das eine Ausstellung an Bushaltestellen und Zeitungskiosken in New York, Boston und Chicago zeigt. Ausserdem habe ich eine Foto-Triennale in Australien in der Pipeline.
Was ist dir in deiner Arbeit wichtig? Mir liegt viel daran, die Zärtlichkeit und Verletzlichkeit schwarzer Männer zu betonen, statt sie auf ihre Sexualität oder ihre Körper zu reduzieren. Viele Fotografen greifen auf Klischees zurück – setzen ihre Models in Jockstraps und nennen es Kunst.
Ich versuche sexy Bilder zu machen, die nicht billig sind. Es ist eine Gratwanderung, intim und verletzlich zu sein, ohne gleich alles zu enthüllen. Ich bewahre lieber eine geheimnisvolle Aura, statt einfach explizit zu sein um der Explizitheit willen. – cliffordprinceking.com
Tränen und schmerzverzerrte Gesichtszüge. Eine Foto-Ausstellung in Bochum zeigt Porträts von Menschen, die Diskriminierung etwa aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihren Lebensumständen erfahren haben und ihre Kränkungen öffentlich machen wollen (MANNSCHAFT berichtete).
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