Timothée Chalamet: stilprägend, verträumt, ein neuer Männertyp?
Über den Erfolg des «Call Me by Your Name»-Stars
Was früher Leonardo DiCaprio war, ist heute Timothée Chalamet: Er ist ein Schauspieler, der mehr ist als seine Filme. Er prägt einen Stil. Sein Erfolg sagt etwas über das Männerbild von heute. Von Caroline Bock, dpa
Seit «Titanic» und den frühen Zeiten von Leonardo DiCaprio hat es wohl keinen jungen Schauspieler gegeben, der so präsent ist wie derzeit Timothée Chalamet. Die braunen Wuschellocken, der verträumte Blick, das Charisma zwischen kleinem Bruder und Rasierwassermodel: Der 26 Jahre alte New Yorker, der einen amerikanischen und einen französischen Pass hat, ist einer der grossen Stars der Generation Instagram. Das Time-Magazin hob ihn gerade auf das Titelbild. Er ist stilprägend: Die Vogue feiert seine Auftritte auf dem roten Teppich. Ein Mann, der Latzhosen mit Batik-Muster oder ein Strass-Geschirr von Louis Vuitton um den Oberkörper trägt.
Kinogänger kennen Chalamet aus «Interstellar», «Lady Bird», «Little Women» oder als drogensüchtigen Sohn in «Beautiful Boy». Die schwule Liebesgeschichte «Call Me by Your Name» brachte ihm mit Anfang 20 eine Oscar-Nominierung ein: Mit einer Szene schaffte es der Schauspieler sogar unter die Top 10 der erregendsten Filme (MANNSCHAFT berichtete).
Dieses Jahr folgten weitere Filme, Wes Andersons «The French Dispatch», das Science-Fiction-Epos «Dune» und gerade «Don’t Look Up» auf Netflix, demnächst ist er der junge Schokoladen-Fabrikant in «Wonka».
Chalamet kann Festivalfilme genauso wie Blockbuster, zugleich ist er ein sensibler Typ, der seiner Oma am Handy sagt, dass er sie lieb hat – so schildert ihn das Time-Magazin. Etwas Stoff für Klatsch gibt es auch: Er wurde sowohl mit Lily-Rose Depp, der Tochter von Johnny Depp, als auch mit Madonnas Tochter Lourdes Leon gesichtet. Bei Instagram folgen ihm 16,6 Millionen Menschen.
Was sagt sein Erfolg über den Zeitgeist? In der deutschen Werbung finden sich schon Männer, die vom Typ her an Chalamet erinnern, etwa im Weihnachtsclip eines Supermarkts, in dem eine Mutter ihrem Sohn das Ende der Pandemie herbeiwünscht. Agenturchefin Claudia Midolo (Modelwerk) verweist bei den Model-Typen auf die Unterschiede zwischen der Modewelt und Schauspielern. In der Fashion-Branche ist demnach immer noch der etwas mehr stereotype Mann gefragt, aber nicht mehr so ausgeprägt wie in den 90ern mit Model Marcus Schenkenberg.
Midolo sagt, dass es allgemein softer und diverser zugehe, Männer seien schlanker und nicht mehr so muskelbepackt. Das neue Männerbild vom Typ Chalamet sei durchaus auch vertreten. Die Zielgruppe wird aber für zu jung für teure Mode gehalten. «Deshalb ist dieser Typ Mann noch eher im Bereich Schauspiel, Musik und Social Media der Vorreiter», erklärt Midolo.
Der Literaturwissenschaftler Toni Tholen (Universität Hildesheim) hat «in aller Vorläufigkeit des Urteils» folgende Erklärung: Chalamet scheint dem zu entsprechen, was man in der Männlichkeitenforschung «hybride Männlichkeit» nennt. Grob zusammengefasst: Er geht weg vom klassischen Männerbild, traut sich, etwas weiblicher zu sein, aber verliert dabei nicht die männlichen Privilegien. Er zeigt sich engagiert, offen und nachdenklich, aber ist dennoch in der Film- und Mode-Industrie extrem erfolgreich.
Männliche Dominanz und patriarchale Herrschaftsstrukturen sind in den vergangenen Jahren zum Teil massiv in Frage gestellt worden.
Was das Männerbild generell angeht, sagt Tholen: «Männliche Dominanz und patriarchale Herrschaftsstrukturen sind in den vergangenen Jahren zum Teil massiv in Frage gestellt worden, vor allem dank feministischer Kritik und Politik, aber auch dadurch, dass Männer selbst unter den Anforderungen von Männlichkeit leiden und beginnen, sie in Frage zu stellen.» So sind heute auch lackierte Nägel bei urbanen jungen Männern oft zu beobachten (MANNSCHAFT berichtete).
Das heisst für Tholen aber nicht, dass diese Anforderungen damit schon verschwunden wären. «Die Situation ist im Moment unentschieden, denn beides ist zu beobachten: Wandel und Beharrung, Prozesse der Transformation wie der Retraditionalisierung von Männlichkeit. Und es ist völlig offen, wohin das Pendel stärker ausschlagen wird, gerade auch, wenn man die Situation global betrachtet.»
Auf jeden Fall lasse sich sagen: Die patriarchale Männlichkeit ist rissig geworden. «Männlichkeit lässt sich im Moment vielleicht am treffendsten als eine Formation ambivalenter und widersprüchlicher Bewegungen und Positionierungen verstehen; manchmal auch schon als eine Suche nach neuen Verortungen und Lebensweisen, verbunden mit einer wachsenden Lust, sich nicht länger als Herrscher über Menschen und Dinge aufzuspielen.»
Wie darf und kann ein Mann sein? Über diese Frage kann man also viel diskutieren, wenn man Chalamet und seine Filme ansieht. Von «Dune» ist bereits eine Fortsetzung geplant.
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