Buch: Die verborgenen Seiten der Hildegard Knef
In ihrer Sehnsucht nach Liebe hat die Diva oft polarisiert. Im Dezember wäre sie 99 Jahre alt geworden
Verführerin, Leidende, Mannsweib – Hildegard Knef wurde oft abgeurteilt. Anlässlich ihres bevorstehenden Geburtstags ist nun eine Biografie erschienen, die versucht, die LGBTIQ-Ikone in ein neues Licht zu rücken.
Hildegard Knef sei in ihrem Leben immer präsent gewesen, sagt Autorin Ann-Kathrin Kilg-Meyer.
«Schon als Kind empfand ich eine grosse Begeisterung für sie und schwärmte für ihre Schönheit», sagt die 62-Jährige. Die grossen grünen Augen hätten sie ebenso begleitet wie das «bezaubernde Lächeln» der Künstlerin, die markante Stimme würde noch immer Gänsehaut bei ihr verursachen. Dazu kommen Erinnerungen aus dem Familienleben, in denen der Vater die starke Frau, die ihre Mutter so bewunderte, nicht sehen wollte und das Umschalten erzwang. Dieses «Mannsweib» konnte er nicht ertragen. Kilg-Meyers Mutter hingegen liess, um sich «Die Sünderin» im Kino anzuschauen verbotenerweise schon mal die Kirche ausfallen.
«Mir war es wichtig, diese Frau wieder ins Bewusstsein zu rufen. Sie hat so viele Leben gelebt, die Bezug zur heutigen Welt haben», sagt Kilg-Meyer zu MANNSCHAFT. Sie hat sich in der vergangenen zwei Jahren intensiv mit der vermeintlichen Femma fatale auseinandergesetzt und dabei viele, für sie neue, Details entdeckt – privat und beruflich. «Sie war eine absolute Kämpferin, die sich für die Gleichstellung und die Homosexuellenbewegung eingesetzt hat und die ihrer Zeit immer voraus war.»
Doch wer war diese Frau, die so oft polarisierte? Die für ihre Lieder wie «Für die solls rote Rosen regnen» berühmt ist und doch ein so viel umfassenderes Oeuvre vorzuweisen hat. Die in den 50er Jahren einen Skandal auslöste, als sie kurz nackt im Kino zu sehen war und die sich neben ihrer Freundin Marlene Dietrich zu der Diva in Deutschland entwickelte. Die Frau, die fehlbar, schwerkrank und zwischenzeitig medikamentensüchtig war – und alles mit der Öffentlichkeit teilte. Die durch ihre Auftritte und durch die Unterstützung der queeren Szene zur LGBTIQ-Ikone wurde.
Hildegard Frieda Albertina Knef, genannt Hilde, wurde 1925 in Ulm geboren. Als sie sechs Monate alte war, verstarb ihr Vater an den Spätfolgen einer Syphiliserkrankung, die er sich bei einem Bordellbesuch im ersten Weltkrieg eingefangen hatte. Ihre Mutter nahm sie anschliessend mit zu den Grosseltern in Berlin-Schöneberg, wo Knef eine traurige Kindheit hatte, wie sie später selbst sagte. Mutter Frieda war distanziert, das Geld knapp und die Aussichten alles andere als rosig.
Das wurde nicht besser als der Vierjährigen die Grossmutter wegstarb. Es folgten zahlreichen Krankheiten, häusliche Gewalt, selbstverletzendes Verhalten, Verlustängste. Einzig der Grossvater war ihr ein Trost. 1945 nahm er sich das Leben.
Trotz all der Widrigkeiten bahnt sich die junge Knef ihren Weg und findet ein neues Zuhause, als sie bei der Ufa eine Ausbildung beginnt. Von der Zeichnerin wird sie zur Schauspielerin – die politischen Umstände interessieren sie zu dieser Zeit wenig. Erstmals empfindet sie Aufmerksamkeit und Zuneigung von aussen, ohne dass ihr ihre vermeintlichen Fehler vorgehalten werden. «Ich gefalle, dachte ich, und weinte», wird Knef bei Kilg-Meyer zitiert.
In dieser Zeit geht es ihr nur um eines: die Schauspielerei. Und hier gelingt ihr mit «Die Mörder sind unter uns» (1946) der Durchbruch.
Ob es berufliches Kalkül war, das sie in die Arme des Tobis-Produktionschefs Ewald von Demandowsky trieb, lässt sich nur mutmassen. In jedem Fall liess sich die erst Siebzehnjährige mit dem 19 Jahre älterem, verheirateten NS-Funktionär ein. Sie folgte ihm sogar als Soldat gekleidet an die Front, um wie sie selbst sagte, einer möglichen Vergewaltigung und ähnlichem zu entgehen. «Das war ja nun auch ein sehr grober Fehler», ordnete Knef die Beziehung später in ihrem autobiographisch angelegten Buch «Der Geschenkte Gaul» ein. Die Nähe zum Nationalsozialismus wird ihr ein Leben lang anhaften.
Dreimal wird Knef heiraten – den amerikanischen Juden Kurt Hirsch, den britischen Schauspieler David Cameron und den österreichisch-ungarischen Adligen Paul Rudolf Freiherr von Schell. Dazu kommen zahlreiche Liebschaften.
Pomp und Paraden, Flaggen und Aufmärsche, Fackelzug und Feuerwerk waren Präludium zu Krieg und Bomben, Trümmer und Gefangenschaft.
Knef zum Festzug bei der Krönung von Königin Elisabeth II.
Als Verführerin gelingt ihr derweil der lange herbeigesehnte Erfolg in Übersee. In dem Film die Sünderin (1951) spielt sie eine Prostituierte im Zweiten Weltkrieg. Der Film floppt zwar zuerst, hat aber letztlich Konjunktur, weil ihn die Kirche aufgrund von Knefs Nacktszene auf den Index setzte – danach wollte alle Welt wissen, was so unzüchtig und unmoralisch sei.
Plötzlich hatte die verrufene Deutsche wieder Angebote von allen Seiten. Vornehmlich suchte sie sich Rollen aus, die dem zeitgenössischen Frauenbild widersprechen. Durch die Verfilmung von Hemingways «Schnee am Kilimandscharo» (1952) wird dann nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre Stimme berühmt und es folgt ein Engagement am Broadway.
So sehr sich Knef nach Aufmerksamkeit sehnt, so sehr scheut sie aber zunächst das Rampenlicht. Hinter der Kamera fühlt sie sich wohl, auf der Bühne macht ihr das Lampenfieber zu schaffen. Was hilft, ist die Unterstützung anderer weiblicher Stars. Dietrich unterstützte sie, wenn möglich, Ella Fitzgerald adelte sie als «beste Sängerin ohne Stimme».
Wenngleich sie immer wieder Höhenflüge hat, geht ihr dennoch das Geld aus. Ihre Einnahmen passen nicht mit ihrem Lebensstil zusammen, ihre Skandale machen ihr teils das Arbeiten schwer und dazu gibt es für sie mit zunehmendem Alter immer weniger Rollen.
Einen Ausweg findet Knef in ihren Büchern, eine Zuflucht in der Musik. Mit ihrer rauchigen, gefühlvollen Art sang sie sich zurück in die Herzen ihrer Kritiker*innen. Sie begeisterte in der «Dreigroschenoper» und vertonte mit «Eins und eins das macht zwei» im Film «Das grosse Liebesspiel» ein Lied, das Anfang der 70er eine Hymne der LGBTIQ-Bewegung wird: «Der Mensch an sich ist feige und schämt sich für sein Gefühl, dass es nur keiner zeige, weil die Moral es so will…»
«Die ersten Reihen waren immer voller lesbischer Frauen und schwuler Männer», erinnert sich Günter Noris, musikalischer Leiter ihrer ersten Konzerttournee, in dem Buch. Sie begeisterte die Szene mit ihrer Stimme, ihrer Abneigung gegenüber klassischen Geschlechterrollen, ihrer Empathie für die Aussenseiter und ihre geteilte Schwäche – aber auch durch ihre Teilnahme am ersten Christopher Street Day in New York 1970, auf die weitere Demonstrationen folgten.
Jene irritierte Auster, die ungetauft und namenlos im Nassen wohnt, gebar nach stillem Kampf und fatalem Ende eine Perle.
Hildegard Knef, «Jene irritierte Auster», 1972
Musikalisch wird Knef indes zur deutschen Edith Piaf. Sie intonierte leicht schnodderig ihr Leben, zeigte sich auf der Bühne dezent in schwarz oder weiss – und erfand sich einmal mehr neu, um gegen die stetigen Widerstände anzugehen. Wogegen Knef jedoch kein Mittel findet, sind die Leiden ihres Körpers. Seit ihrer Kindheit quälen sie immer wieder Krankheiten.
Von Brustkrebs geschwächt und der Methadon-Sucht gematert starb die starke Raucherin und Trinkerin am 1. Februar 2002 an einer akuten Lungenentzündung (MANNSCHAFT berichtete). Am 28. Dezember wäre sie 99 Jahre alt geworden.
Das Buch «Die vielen Leben der Hildegard Knef» (Eriks Buchregal) ist eine liebevolle, aber unpathetische Erzählung der Facetten der Künstlerin. 14 Kapitel schildern ihr Leben, ihr Werk und ihre Ansichten in einer Zeit, die herausfordernder und abwechslungsreicher kaum hätte sein können. Dabei wartet die Autorin mit unterhaltsamen Anekdoten auf, bietet unterschiedlichste Quellen und ordnet – teils sehr subjektiv – ein. Insgesamt entsteht ein interessanter Einblick, in das Leben einer Frau, die stets auf der Suche nach der Liebe und nach sich selbst war.
Ein junger Maler diente Schriftsteller Thomas Mann als Vorbild für viele seiner Romanfiguren. Er war wohl seine grösste Liebe – doch die Gefühle blieben unerwidert (MANNSCHAFT berichtete).
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