Bi-Autorin Julia Shaw ruft zu Coming-out auf
Denn: «Leider fast alle unsichtbar»
Die Rechtspsychologin und Bestsellerautorin Julia Shaw (35) findet Bisexuelle in der Öffentlichkeit zu wenig repräsentiert und fordert zum Coming-out auf.
Nicht nur in Deutschland gebe es zu wenige Prominente, die offen damit umgingen, mehr als ein Geschlecht attraktiv zu finden, sagt Shaw, die jetzt im Hanser-Verlag das populärwissenschaftliche Buch «Bi – Vielfältige Liebe entdecken» herausgebracht hat und schon Buch-Erfolge wie «Das trügerische Gedächtnis – Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht» hatte. «Sie sind leider fast alle unsichtbar», sagt Shaw. Allerdings sehe sie Initiativen wie das Bisexuelle Netzwerk und die Queer Media Society in Deutschland «als wichtigen Schritt Richtung besserer Sichtbarkeit».
Im scheinbar offenen Diskurs über Schwule, Lesben, Transgender und andere Identitäten wird Bisexualität oft ausgeblendet. Zurzeit wird genau dieser Umstand verstärkt zum Thema gemacht.
Shaw sagt: «Bisexualität ist kein Trend.» Das Konzept dieser Neigung gebe es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Aus der Zoologie gebe es auch die Erkenntnis, dass viele Tiere bisexuelles Verhalten zeigten, kurz: «dass Bisexualität die Norm ist» (MANNSCHAFT berichtete).
«In der Psychologie finde ich interessant, wie viele Menschen, die sich als heterosexuell beschreiben, bisexuelle Erfahrungen haben», sagt Shaw (35), die in Köln geboren wurde, in Kanada aufwuchs und in London als Wissenschaftlerin und Autorin lebt.
Doch das «B» etwa bei der Abkürzung LGBT oder LGBTIQ wird zwar gerade jetzt im Pride-Monat Juni oft mitgesagt, aber selten richtig mitgedacht. Die gesellschaftliche Debatte über Bisexualität hinke der Akzeptanz von Homosexualität etwa 30 Jahre hinterher, meint Shaw. So sei ihr «Bi»-Buch das erste populärwissenschaftliche Sachbuch bei einem Bestseller-Verlag zu diesem Thema. Viele Menschen hätten eine Art Angst vor Fluidität, meint Shaw. Es werde sich hinter einseitigen Identitäten verschanzt. Als bisexuelle Frau habe sie sich oft gefragt, wo sie überhaupt hingehöre. Sie habe deshalb nun das Buch geschrieben, was ihr als «Atlas der Bi-Welt» gefehlt habe.
Leider sei auch die queere Community für «Bi’s» nicht unbedingt ein sicherer Hafen. Während Heteros Bisexuellen mit einer Art «Hypersexualisierung» begegneten – nach dem Motto: «Du kannst wohl nicht treu sein und willst es mit jedem treiben» – reagierten Lesben und Schwule oft ablehnend, weil sie Bisexuelle als unehrlich oder mutlos betrachteten, wohl noch auf dem Weg zum «richtigen Coming-out».
Die Folge: Es gibt wohl mehr Menschen, die sich zu mehr als einem Geschlecht hingezogen fühlen als «hundertprozentige» Lesben und Schwule. Die meisten Bisexuellen sprächen aber nicht darüber – weder in der Beziehung noch in der Familie noch im Freundeskreis und schon gar nicht am Arbeitsplatz. Bisexuelle versteckten ihre Orientierung doppelt so häufig wie Homosexuelle, zitiert Shaw Studien.
Laut Shaw wird oft missverstanden, dass das «Bi» (von lateinisch «bi-» für «zwei») für Männer und Frauen steht. Das sei aber die falsche Binarität. «Es geht seit der Begriffsgründung um Menschen, die sowohl homosexuell als auch heterosexuell sind.»
Vom flapsigen deutschen Spruch «Ein bisschen bi schadet nie» hält Shaw eher wenig. «Das ist oberflächlich positiv, da Akzeptanz natürlich der notwendige erste Schritt für eine ‚bi-inklusive‘ Gesellschaft ist», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur. «Aber wenn wir uns den Spruch genauer anschauen, meint er, dass viele Menschen in homosexuellen Situationen ’nur spielen‘, sie aber ‚in echt‘ heterosexuell sind.» Ein solcher Spruch untergrabe bisexuelle Identitäten. «Bisexualität muss ernst genommen werden, wie inzwischen Homosexualität meistens auch ernst genommen wird.»
Netflix-Produktionen wie «Heartstopper», in denen feinfühlig das Erwachen junger Liebe gezeigt wird, findet Shaw dagegen hilfreich: «Solche Serien sind ganz wichtig, um Bisexualität sichtbar zu machen. In der Serie wird der bisexuelle Junge Nick sogar in den Bi-Pride-Farben – Pink, Lila, Blau – in dem Moment beleuchtet, in dem er sich selber seine Gefühle für seinen Freund Charlie eingesteht.» Die Coming-of-Age-Geschichte zeige damit, dass diese Gefühle euphorisieren können. «Sie zu akzeptieren – statt sie zu verdrängen – ist ein gesunder Aspekt des Lebens.» Vielfältige Liebe gelte es zu feiern – «und zwar so, wie wir andere Liebeserfahrungen auch feiern».
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