Befreundet mit der Ex: Warum machen Lesben das?
Der Kommentar*
Jede lesbische Frau ist noch mit mindestens einer ihrer Ex-Partnerinnen befreundet. Ist das nur ein Klischee? Und wenn nicht, wie kommt es dazu?
Mein lesbisches Leben hat so klischeehaft begonnen wie überhaupt möglich. Mit 13 habe ich in mein Tagebuch geschrieben, dass ich nicht weiss, warum ich noch keinen Freund habe und in keinen Jungen verliebt bin. Mit 14 habe ich nervös vor dem PC meiner Eltern gesessen und ein Quiz zum Thema «Bin ich lesbisch?» gemacht (das Ergebnis war mehr als eindeutig, was mich dazu gebracht hat, die Website sofort wieder zu schliessen und in Panik auszubrechen). Mit 15 habe ich mich schliesslich in meine beste Freundin verliebt, die – wie sollte es anders ein – hetero war.
Erst als ich 19 Jahre alt war und schon keinen Kontakt mehr zu meiner Jugendliebe hatte, konnte ich mir eingestehen, was für alle um mich herum schon lange offensichtlich war: Ich bin lesbisch. Seitdem führe ich Beziehungen mit Frauen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Und bei jeder Trennung bemerke ich, dass nicht nur mein Start ins queere Leben «typisch lesbisch» war. Jedes Mal, wenn eine Beziehung zu Bruch geht, wird mir wieder vor Augen geführt: Ich bin ein wandelndes Klischee.
Graubereiche Ja, ich bin Vegetarierin, habe früher Fussball gespielt und mir mit meiner Ex-Freundin zusammen einen Hund gekauft. Aber von diesen Stereotypen spreche ich nicht. Was mir wirklich immer wieder zeigt, wie sehr ich einem lesbischen Klischee entspreche, ist die Art und Weise, wie meine Trennungen verlaufen. Und, was auf sie folgt.
In den letzten zehn Jahren habe ich drei Langzeitbeziehungen mit Frauen geführt. Sie waren stürmisch, aufregend, intensiv und mitunter nervenaufreibend. Ich bin dankbar für jede einzelne von ihnen – doch die Trennungen waren die Hölle. Vor allem deshalb, weil ich es nie geschafft habe, einen «clean cut» zu ziehen. Einen klaren Schlussstrich, der das Ende der Beziehung markiert. Stattdessen habe ich mich auf Zwischenräume und Ambivalenzen eingelassen. Und damit den Schmerz in die Länge gezogen.
Meine erste Beziehung mit einer Frau dauerte etwa ein Jahr lang. Als sie mit mir Schluss gemacht hat – eine Woche vor meinem Geburtstag – war uns sofort klar, dass wir befreundet bleiben wollen. Und da ich mich extra vor meinen Grosseltern geoutet hatte, um ihnen an meinem Geburtstag meine Freundin vorzustellen, hatten wir quasi keine Wahl (natürlich hatten wir die): Wir haben so getan, als wären wir noch zusammen und sind gemeinsam zu meiner Familie gefahren. Geburtstagssex inklusive. Das war der glamouröse Beginn meines Datinglebens im Graubereich zwischen Beziehung und Freundschaft.
Versteht mich nicht falsch: Ich bereue die Entscheidung von damals keineswegs. Denn die Frau, die mit mir meine Familie getäuscht hat, ist jetzt meine beste Freundin. Auf ein Jahr Beziehung folgten acht Jahre Freundschaft und sie ist ein wichtiger und beständiger Teil meines Lebens. Doch den Schmerz der Grauzone und die Ungewissheit darüber, wie man nun miteinander umgehen soll, würde ich nicht wiederholen wollen. Kann man eine Freundschaft mit der Ex auch gesünder beginnen?
Mit der Ex befreundet – um jeden Preis Um diese Frage zu beantworten, schaue ich mir meine letzte Trennung an. Ironischerweise hat sie am gleichen Tag stattgefunden wie meine erste – am 25. November. Klassicher «full circle moment» also. Aber was ist zwischen den Jahren 2016 und 2023 passiert? Haben sich meine Beziehungs- und vor allem Trennungsmuster geändert?
Der Wunsch, befreundet zu bleiben, war wieder da. Anders als sieben Jahre zuvor, haben wir diesmal aber für eine Pause gesorgt. Wir sind nicht von einem Tag auf den anderen Freundinnen geworden – denn das klappt erfahrungsgemäss sowieso nicht – sondern haben uns Zeit dafür genommen, nicht mehr einander, sondern unsere Wunden zu lecken und dann neu zusammenzufinden. Heute sind wir Freundinnen und sprechen nahezu jeden Tag miteinander.
Frauen, die mich neu kennenlernen, sind davon nicht unbedingt begeistert
Frauen, die mich neu kennenlernen, sind davon nicht unbedingt begeistert. Schliesslich bleibt immer die Angst, dass da doch noch etwas ist. Eine Flamme, die jederzeit wieder auflodern könnte. Doch die Wahrheit ist: Meine Ex-Freundinnen sind heute meine besten Freundinnen. Nicht mehr, aber vor allem nicht weniger (MANNSCHAFT berichtete über das Thema).
Ich kenne keine hetero Frau, bei der es ähnlich ist. Ich kenne auch keinen hetero Mann, der mit seinen Ex-Freundinnen befreundet ist. Queere Frauen, die mit ihren Ex-Partnerinnen nach der Trennung befreundet bleiben, kenne ich jedoch einige. Warum halten sich Lesben so aneinander fest?
Warum Lesben einander nicht loslassen Wer im Teenageralter feststellt, queer zu sein, hat es oft nicht gerade leicht. Man kämpft mit sich und dem eigenen Begehren, fühlt sich fehl am Platz und verloren. Die erste queere Beziehung kann ein Aufatmen bedeuten. Ein «Hier gehöre ich hin»-Gefühl erzeugen. Die Angst, immer anders zu sein, löst sich auf – weil man jemanden an seiner Seite hat, mit dem man gemeinsam anders ist. Das ist eine bindende Erfahrung.
In meinem Fall hat sie dazu gefügt, dass ich meine erste Freundin für immer in meinem Leben behalten wollte. Wenn ich sie heute ansehe, dann denke ich kaum noch an den ersten Kuss oder das erste Mal. Und doch gibt es mir ein unfassbar beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass die Person, mit der ich diese einzigartigen Erlebnisse teile, immer noch bei mir ist.
Nicht nur positive Erfahrungen hat man gemeinsam zum ersten Mal gemacht
Nicht nur positive Erfahrungen hat man gemeinsam zum ersten Mal gemacht. Vielleicht wurde man zum ersten Mal als queeres Paar auf der Strasse identifiziert und angefeindet. Vielleicht musste man die gemeinsame Liebe verteidigen, gegenüber Fremden, gegenüber Familienmitgliedern oder sogar gegenüber Freund*innen. All das schweisst zusammen. Und vielleicht ist der Wunsch, dieses Leid nicht «umsonst» durchgemacht zu haben, auch ein Faktor, der dazu führt, dass man einander nicht loslassen will.
Traut euch, Heteros! In meiner letzten Beziehung waren die «ersten Male» andere als in der ersten, aber es gab sie. Wir haben zum ersten Mal ein gemeinsames Haustier adoptiert, das erste Mal über Hochzeit gesprochen (MANNSCHAFT+ berichtete über Hochzeiten auf Lesbos), und das erste Mal ein Familienmitglied begraben und betrauert. Ich denke, es ist nicht nötig zu betonen, wie prägend diese Erfahrungen waren.
Mir ist bewusst, dass es solche Ereignisse auch in hetero Beziehungen gibt. Und doch sehe ich, dass der Wunsch, befreundet zu bleiben, in hetero Beziehungen weniger präsent ist. Es ist keine Unfähigkeit, die ich hetero Menschen unterstelle – ich beobachte stattdessen ein mir rätselhaftes Desinteresse. Vielleicht ist es auch die Angst, die ehemalige Beziehungsperson an der Seite von jemand Neuem zu sehen, die davor hemmt, eine Freund:innenschaft aufzubauen. Allerdings müssen Lesben diesen Schmerz auch in Kauf nehmen. Anders als hetero Menschen sind sie aber dazu bereit – wieder und wieder.
Und dafür bin ich dankbar!
Ob es am Ende die gemeinsamen bindenden Erfahrungen, die ersten queeren Male oder doch nur Masochismus ist, der Lesben dazu bringt, allen Hindernissen zum Trotz mit ihren Exes befreundet zu bleiben, bleibt offen. Aber wenn ich dieses Jahr Geburtstag feiere, dann weiss ich: Egal ob ich single, in einer Beziehung oder doch mal wieder in einer typisch lesbischen Grauzone bin, ich werde nicht angespannt darüber nachdenken, ob mir meine Ex-Freundinnen zum Geburtstag gratulieren oder nicht. Denn sie werden mit mir Sekt trinken, Kuchen essen und feiern – und dafür bin ich dankbar!
*Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Im südasiatischen Nepal haben Anju Devi Shrestha und Suprita Gurung als erstes lesbisches Paar in der Geschichte des Landes ihre Ehe amtlich registrieren lassen (MANNSCHAFT berichtete).
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