«Bitte keine Asiaten» – Zwischen Selbstgefälligkeit und Rassismus
Ein Essay über Diskriminierung gegen Asiat*innen in Zeiten von Corona und in der LGBTIQ-Community.
Von einer Vorzeigeminderheit zur Zielscheibe für den Pandemiefrust: Sind wir ein Jahr nach George Floyd und Black Lives Matter bereit, die Rassismusdebatte um eine Dimension zu erweitern?
Der Mann sah wirklich gut aus. Auf seinen Fotos strahlte er mit spitzbübischem Blick und einem attraktiven Lächeln. Und er wollte mich treffen. Wäre da nicht sein Profiltext, in dem klipp und klar stand: «Bitte keine Asiaten».
Es waren die Nullerjahre und auf den Datingplattformen keine Seltenheit, dass man seine ästhetischen Vorlieben explizit und ausschliessend formulierte – im Chat für schwule Männer jedenfalls. Dort sah ich vieles: Von «Keine Schwarzen, keine Asiaten» und «Ich stehe nicht auf Asiaten» bis hin zu «Asiaten brauchen sich nicht zu melden». Der Satz dieses betreffenden Herrn hatte es jedoch besonders in sich: «Bitte keine Asiaten.» Als wäre dieses Statement als höflicher Wunsch zu verstehen, man möge diesen armen Kerl gefälligst mit Asiaten verschonen. «Du stehst doch nicht auf Asiaten», schrieb ich ihm. Er chattete zurück: «Für dich mache ich eine Ausnahme.» Da war sie wieder. Diese Selbstgefälligkeit. Als ob ich jetzt dankbar sein müsste für diese Grosszügigkeit.
Ich gab ihm einen Korb. Das klingt jetzt so, als hätte ich den Mann augenrollend und voller Selbstbewusstsein weggeklickt. Ganz im Gegenteil. Ich wollte diesen Typen unbedingt treffen und fragte mich, ob ich wegen eines ungünstig formulierten Satzes wirklich ein so grosses Aufheben machen musste. Doch ich konnte es mit meinem Stolz nicht vereinbaren, mich auf ein Date mit einer Person einzulassen, die mit Menschen wie mir nichts zu tun haben wollte. Heute bin ich stolz auf meine damalige Entscheidung, vor allem wenn man den hormongeladenen Anfangszwanziger bedenkt, der ich damals war.
***
In den Städten der USA wagen sich einige ältere Menschen nicht mehr vor die Tür. Der Grund ist nicht etwa die Angst vor Corona, sondern die Angst vor Gewalt – weil sie asiatisch aussehen. Die Minderheit, die in westlichen Ländern so gerne als Musterbeispiel erfolgreicher Integration angeführt wird, muss in den USA als Sündenbock für die Corona-Pandemie und als Ventil für den Lockdown-Frust herhalten.
Was wie ein dystopisches Szenario klingt – wie vieles im heutigen Corona-Alltag – ist Realität geworden. Für einige Menschen, deren einziger Berührungspunkt mit Asiat*innen schlechte Witze oder das Take-away um die Ecke sind, ist diese sonst im Alltag eher unsichtbare Minderheit zu einer Art Bedrohung geworden.
Ich beobachte die Situation mit Sorge, habe ich mütterlicherseits doch selbst asiatische Verwandte in den USA. So sagt mir etwa meine Cousine, dass sie ihrem Vater die täglichen Spazierrunden auf dem Sportplatz verboten habe. Geschockt sei sie jedoch nicht. Eine ablehnende Haltung gegen ihren Mann und ihre Kinder – die einzig asiatischstämmige Familie in der gehobenen, vorwiegend weissen Vorstadt – spüre sie schon lange.
Für Angst und Verunsicherung sorgten gleich mehrere brutale Übergriffe, die das chinesische Neujahrsfest am 12. Februar überschatteten – einen der grössten Feiertage Asiens, der mittlerweile auch vielerorts in den USA begangen wird. In San Francisco starb ein 84-jähriger Thailänder, als er aus heiterem Himmel von einem 19-Jährigen zu Boden gestossen wurde. Vor einem Geschäft wurde eine Frau bespuckt, nachdem sie einen Mann gefragt hatte, ob er in der Schlange anstehe. Ein asiatisches Fleischwarengeschäft erhielt ein Paket mit einer verstümmelten Katze. Mit einem Teppichmesser schlitzte ein Mann einem Senior in der New Yorker U-Bahn das Gesicht auf. Die Wunde musste mit über 100 Stichen genäht werden.
Drastischer Anstieg von Hassverbechen Von der Ost- bis zur Westküste der USA gibt es Dutzende weitere solcher Fälle. Offene Diskriminierung gegen Menschen mit asiatischer Abstammung hat seit Beginn der Corona-Pandemie schlagartig zugenommen. Eine wesentliche Rolle dürften dabei die aufwieglerischen Reden des ehemaligen Präsidenten Donald Trump gespielt haben, der stets vom «China-Virus» statt von COVID-19 sprach. Gemäss dem New York Police Department stieg 2020 die Zahl der Hassverbrechen gegen asiatische Amerikaner*innen um 1900 % gegenüber dem Vorjahr an. Auch ein Todesfall durch Polizeigewalt wurde bekannt: Angelo Quinto, philippinischstämmiger Marineveteran und von posttraumatischen Belastungsstörungen Betroffener, beruhigte sich nach einer paranoiden Episode in den Armen seiner Mutter, als ihn ein Polizist packte und ihm während vier Minuten das Knie an den Hals presste. Seine letzten Worte erinnern an den schockierenden Mord an George Floyd durch Polizeigewalt vor einem Jahr: «Bitte tötet mich nicht.» Quinto verlor das Bewusstsein und starb wenige Tage später im Krankenhaus.
Seit Beginn der Pandemie im März 2020 dokumentiert die nationale Koalition «Stop AAPI Hate» diskriminierende Vorfälle gegen die asiatische Community in den USA. Diese nehmen unterschiedliche Formen an: Vom Verweigern einer Ware oder Dienstleistung bis hin zu Bespucken, Anhusten und Beschimpfungen sowie Belästigungen und Gewalt. Besonders oft Diskriminierung ausgesetzt sind neben älteren Menschen Kinder im Schulalter sowie junge Erwachsene. Asiatische Frauen werden bis zu zweieinhalb Mal so oft angegriffen wie asiatische Männer.
Pandemie «made in China» Diskriminierung gegen Asiat*innen als amerikanisches Phänomen abzutun, wäre falsch. Ressentiments gibt es auch diesseits des grossen Teiches, wenn auch nicht im selben Ausmass. «Gelber Alarm» titelte etwa die französische Tageszeitung Le Courrier Picard vor einem Jahr beim Ausbruch der Corona-Pandemie. Kurz darauf folgte die Titelgeschichte des Spiegels «Made in China» mit einem Chinesen im Schutzanzug mit Atemschutzmaske. Die Xenophobie hatte den europäischen Kontinent noch vor dem Virus erreicht. Chinesische Restaurants beklagten rückläufige Gäste, eine asiatischstämmige Französin berichtete in den Medien von Personen, die ihr in der Metro aus dem Weg gingen. Die asiatische Community startete den Hashtag #JeNeSuisPasUnVirus (#IchBinKeinVirus).
Meine Mutter erlebte Rassismus bereits nach ihrer Ankunft in der Schweiz in den Achtzigerjahren. Sie arbeitete in einem Supermarkt und hatte gerade ausgestempelt, als eine Mitarbeiterin den Pausenraum betrat, ihr vorwurfsvoll in die Augen sah und sagte: «Hier stinkt es aber.» Ein besonders demütigendes Erlebnis für meine Mutter ereignete sich kurz vor dem ersten Lockdown in einer vollen Bar, als ein fremder Mann mit dem Finger auf sie zeigte und «Corona!» rief. Niemand sagte etwas, auch meine Mutter nicht. «Ich wollte keine Szene machen», sagt sie mir heute. Das kommt mir furchtbar bekannt vor.
«Woher kommst du eigentlich?» Mit dem Schreiben über das Thema Hautfarbe und Diskriminierung hielt ich mich lange zurück. Ich habe einen europäischen Vater und eine asiatische Mutter, dunkelbraune Haare und einen hellen Teint. Beispiele wie das eingangs erwähnte habe ich nur selten erfahren. Wie mein Äusseres von anderen gelesen wird, kann ich nur schwer abschätzen. Tendenziell werde ich in Asien für einen Europäer gehalten, in Europa für jemanden, der ethnisch nicht ganz zuordenbar ist. Dies hat jedoch auch einen Vorteil, wie Jennifer Ho in ihrem Buch «Racial Ambiguity in Asian American Culture» schreibt. Die Verwirrung, wenn dich Menschen musterten, weil du nicht in irgendwelche Schubladen passest, bringe sie zur Erkenntnis, dass Rasse nichts anderes als ein gesellschaftliches Konstrukt sei.
Ich kriege das Label «exotisch»: Anders, aber irgendwie doch noch völlig in Ordnung.
Es gab vereinzelte Fälle von Personen, die mich lange kennen und ins Staunen kommen, wenn sie zufällig von meinen asiatischen Wurzeln erfahren. Bei anderen wiederum ist «Woher kommst du eigentlich?» die erste Frage, die ich nach dem Hallo bekomme, zuletzt geschehen bei einem Mann, der mit mir einen Fitnesskurs absolvierte. Im Gegensatz zu vielen dunkelhäutigen People of Color, die Diskriminierung tagtäglich und viel extremer erleben, bin ich mit meinem Aussehen und meinem Schweizer Nachnamen privilegiert. Ich kriege das Label «exotisch»: Anders, aber irgendwie doch noch völlig in Ordnung. Ein dunkelhäutiger Sänger erzählte mir vor Kurzem, dass er regelmässig von der Polizei aufgefordert wird, sich auszuweisen. Dass sich im Zug niemand neben ihn setzt. Wie sich das anfühlt, weiss ich nicht.
Ich kenne aber das unschöne Gefühl, wenn mir mein Anderssein vermittelt wird. Im Kindesalter geschah das expliziter, als die anderen Schulkinder die Augen nach hinten zogen oder mich fragten, weshalb meine Mutter gegen den Wind uriniert habe. Als Erwachsener sind solche Botschaften subtiler und vom Absender oder von der Absenderin nicht immer bewusst als solche formuliert – wenn man mich etwa nach meiner Herkunft fragt oder auf Hochdeutsch oder gar Englisch statt Dialekt mit mir spricht.
Dass meine Haut gelb ist, bin ich mir immer nur dann bewusst, wenn mein Freund und ich zähneputzend nebeneinander vor dem grellen Licht des Badezimmerspiegels stehen. Er weiss, ich gelb. Auch wenn ich nicht bewusst daran denke, fällt es mir immer wieder auf. Mit ihm unterhalte ich mich oft über Rassismus. Ich weigerte mich jedoch lange, darüber zu schreiben, weil ich aufgrund meiner hellen Haut und fehlender «schlimmer Erfahrungen» den Eindruck hatte, dies nicht zu dürfen. Mehr dazu später. Überhaupt fühlte ich mich innerhalb des Diskurses über Diskriminierung lange unsichtbar, weil mir die nötigen Begrifflichkeiten fehlten. Bin ich nun eine Person of Color, obwohl ich gegenüber anderen People of Color in vielen Bereichen privilegiert bin? Habe ich einen «Migrationshintergrund», obwohl nur meine Mutter Ausländerin ist? Mit diesen Labels kann ich mich nur bedingt identifizieren. Genauso wie mit den Umfragen, bei denen ich meine ethnische Zugehörigkeit angeben und zwischen kaukasisch und asiatisch entscheiden muss, weil es niemandem in den Sinn kommt, dass sich diese sozialen Gruppen auch vermischen können. Ich lasse das Feld immer leer.
Was sind unsere Farben? In diesen Breitengraden werden asiatische Männer in der schwulen Datingszene oft ignoriert oder fetischisiert. Die Devise «Keine Schwarzen, keine Asiaten, keine Tunten, keine Dicken» ist ein Phänomen, das mir in den letzten zehn Jahren als Redaktor bei Mannschaft Magazin immer wieder begegnete, sei es in Texten über die Partnersuche oder in Artikeln über Body Positivity.
Um ein Zeichen gegen Ausgrenzung zu setzen, entwarf der US-Amerikaner Daniel Quasar 2018 die Progress Pride Flag. Er erweiterte die Regenbogenfahne mit einem Dreieck, das er mit hellblauen, weissen und rosa Streifen für die trans Community sowie mit einem braunen und einen schwarzen Streifen für People of Color versah. Ich bin zugegeben kein grosser Fan dieser Flagge, da sie meiner Meinung nach dem Anspruch der Inklusion nicht gerecht wird. Was ist mit hellhäutigen People of Color? Bleiben wir in dieser neuen Version unsichtbar? Oder sind wir mit der gelben, in der ursprünglichen Regenbogenfarbe bereits vorhandenen Farbe mitgemeint, was einer weiteren Unsichtbarmachung entspräche?
Ich schrieb Daniel Quasar eine E-Mail mit meinen Gedanken und erhielt eine sehr durchdachte Antwort. «Mehrere Personen gaben mir dieses Feedback, einige waren sogar verärgert, dass ich nicht von Anfang an daran gedacht habe», schreibt er. «Ich habe es ehrlich gesagt nicht böse gemeint, ihre Gefühle sind berechtigt.» Ein Update der Pride Progress Flag wolle er nicht ausschliessen, sagte er weiter.
«Ein Design zu ändern, das bereits eine enorme Zugkraft hat und immer noch wächst, ist kompliziert, aber etwas, das ich definitiv in Betracht ziehe. Ich muss nur noch herausfinden, was das bedeutet, was daraus wird und wie ich es umsetzen kann, sollte ich mich für die Änderung entscheiden.» Quasars Antwort stimmt hoffnungsvoll. Eine Fahne kann zwar keine Ausgrenzungen verhindern, wohl aber zum Nachdenken anregen. Im Juni 2021 erweiterte Valentino Vecchietti übrigens die Progress Pride Flag mit den Inter-Farben (MANNSCHAFT berichtete).
Diskriminierungen lassen sich nicht vergleichen Ein Jahr nach #JeNeSuisPasUnVirus rufen Influencer*innen in den USA nun mit #StopAsianHate zu einem Ende der Diskriminierung von asiatischstämmigen Menschen auf. Aktivist*innen beklagen eine Unsichtbarmachung der Thematik durch die Massenmedien, indem diese nur sehr wenig oder gar nicht über die Hassverbrechen gegen asiatische Amerikaner*innen berichteten. Einige von ihnen fordern die Solidarität ein, die vor einem Jahr nach dem Mord an George Floyd der «Black Lives Matter»-Bewegung zuteilwurde.
Dieser Vergleich ist falsch, aus demselben Grund, aus dem es falsch von mir war, meine erlebten Formen der Ausgrenzung denjenigen von dunkelhäutigen People of Color gegenüberzusetzen und in der Folge nicht darüber zu schreiben. Rassismen und Arten von Diskriminierung lassen sich untereinander nicht werten oder gleichsetzen, da sie in unterschiedlichen Umständen entstanden und weitergeführt wurden.
Unsere asiatischstämmige Community darf nicht den Anspruch haben, auf der Erfolgswelle der «Black Lives Matter»-Bewegung zu reiten. Es liegt an uns, die Stimme zu erheben und mit dem Finger auf Missstände zu zeigen. Dazu brauchen wir aber auch dich. Hör uns zu und stell dich hinter uns, wenn wir den Kegelhut und die gelbe Schminke am Karneval anprangern – selbst wenn du unseren Einwände nicht ganz nachvollziehen kannst. Sag uns nicht, was wir als rassistisch zu empfinden haben und schon gar nicht, dass wir es gegenüber anderen Minderheiten doch viel besser haben (auch schon gehört). Im Gegenzug verspreche ich, dass wir nicht länger freundlich lächeln und unseren Frust runterschlucken – etwas, das wir Asiat*innen übrigens sehr gut können. Wir werden den Diskurs nicht länger meiden und, genau du hast es erfasst, eine Szene machen.
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