«Alice Schwarzer kann nicht beurteilen, was trans Menschen bewegt»
Die Feministin spricht von einer «Trans-Mode»
Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer warnt vor dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz, das eine Änderung des Geschlechts etwa im Pass erleichtern soll. Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung, hält dagegen.
Von Christoph Driessen, dpa
«Emma Terfs ins Klo» und «Transresistance» steht in grossen Graffiti-Buchstaben auf dem Aufgang des mittelalterlichen Turms, der Alice Schwarzers Emma-Redaktion am Kölner Rheinufer beherbergt. «Terf» ist eine Abkürzung für «Trans-Exclusionary Radical Feminism» – «Trans-ausschliessender radikaler Feminismus». In diesem Fall soll der Begriff ohne Zweifel als Beschimpfung Alice Schwarzers verstanden werden.
Deutschlands bekannteste Feministin, die in diesem Jahr 80 wird, empfindet die Anfeindungen als ungerecht und geradezu absurd. Als Worte wie «Gender» in Deutschland noch nahezu unbekannt gewesen seien, habe sie sich schon für trans Personen eingesetzt, verteidigt sie sich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in ihrem Büro im Inneren des Turms. «Mitte der 70er Jahre ist mir zum ersten Mal ein Mann begegnet, der gesagt hat: ,Ich bin im falschen Körper, ich will eine Frau sein.‘ Da dachte ich: ,Unglaublich, die Seele kann also stärker sein als der Körper.’»
Anfang der 80er Jahren habe sie dann zu den wenigen gehört, die sich in der öffentlichen Debatte für das Transsexuellengesetz eingesetzt hätten, das es Menschen erlaubt, ihr Geschlecht zu ändern (oder anzupassen). Doch was damals als Errungenschaft galt, wird 40 Jahre später von vielen als unwürdig und demütigend empfunden.
«Wer trans Menschen zuhört, spürt den grossen Leidensdruck durch das jetzige Transsexuellengesetz und die gesellschaftliche Diskriminierung», sagt Sven Lehmann (Grüne), Queer-Beauftragter der Bundesregierung, der dpa.
Wenn man zum Beispiel seinen Namen und den Geschlechtseintrag ändern wolle, müsse man ein langwieriges Verfahren durchlaufen und Zwangsgutachten erstellen lassen. Die Ampel-Parteien haben deshalb im Koalitionsvertrag festgelegt, dass das Transsexuellengesetz durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. «Bei dem Selbstbestimmungsgesetz, an dem Bundesfamilienministerium und Bundesjustizministerium derzeit in gemeinsamer Federführung arbeiten, geht es um die Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstand, also im Ausweis und in anderen offiziellen Dokumenten», erläutert Lehmann.
Mittlerweile gibt es Klassen, in denen vier Mädchen sitzen und sagen: ,Ich bin trans – ich will ein Junge werden!‘ Es wird zum Massenphänomen.
Alice Schwarzer sieht das Vorhaben kritisch und hat dazu jetzt zusammen mit Emma-Redakteurin Chantal Louis eine Streitschrift herausgegeben mit dem Titel «Transsexualität – Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?». Das Buch soll eine breite öffentliche Debatte anstossen, wie es sie nach Schwarzers Dafürhalten derzeit noch nicht gibt. «Es geht nicht um die extrem kleine Gruppe echter Transsexueller», betont sie. «Es geht um Zehntausende junge Mädchen, die plötzlich ihr Geschlecht wechseln wollen. Vor allem sehr junge Mädchen. Mittlerweile gibt es Klassen, in denen vier Mädchen sitzen und sagen: ,Ich bin trans – ich will ein Junge werden!‘ Es wird zum Massenphänomen.» Sie spricht von einer regelrechten «Trans-Mode».
Als Ursache dafür vermutet die Emma-Herausgeberin etwas ganz Anderes: «Diese jungen Mädchen, die jetzt die Therapeutenpraxen stürmen, leben in einer Welt, die ihnen sehr widersprüchliche Botschaften vermittelt. Einerseits wird ihnen gesagt: „Du kannst Kanzlerin werden, du kannst Astronautin werden, du kannst alles, was die Männer können!“ Gleichzeitig wird ihnen aber nicht nur im Netz signalisiert: „Aber immer schön Frau bleiben dabei! Der Körper, der Busen, das Gesicht – muss alles perfekt sein!“»
Durch diesen Spagat entstehe verständlicherweise ein Unbehagen mit der eigenen Frauenrolle. «Die Lösung dieses Problems ist aber nicht, den eigenen Körper zu verstümmeln. Die Lösung ist, die Frauenrolle zu überwinden und sich sogenannte männliche Freiheiten einfach zu nehmen. Die Therapeuten müssen unterscheiden lernen zwischen den seltenen echten Fällen von Transsexualität und den vielen, vielen Fällen, in denen junge Frauen und manchmal auch junge Männer einfach Probleme mit ihrer Geschlechterrolle haben.»
Sven Lehmann sieht das ganz anders. «Alice Schwarzer kann von aussen nicht beurteilen, was Transmenschen bewegt und sollte das auch nicht tun», kritisiert er. «Trans ist ganz sicher weder ein Hype noch eine Modeerscheinung.» Niemand mache so etwas leichtfertig oder aus Spass.
Dass die Zahl der Transmenschen stark gestiegen ist, liegt seiner Meinung nach daran, dass die Gesellschaft offener geworden ist und es heute mehr Informationen, mehr Identifikationsmöglichkeiten und mehr Beratungsstellen gibt. «Und natürlich machen auch Vorbilder Mut, dazu gehören auch die ersten zwei offenen Transfrauen im Bundestag.» Wenn es stimmen würde, dass viele junge Menschen die Entscheidung vorschnell träfen, dann müssten auch viele diesen Schritt im Nachhinein bereuen – dem sei aber nicht so: «Wir wissen aus Studien, dass von den Menschen, die ihren Personenstand wechseln, weniger als ein Prozent diese Entscheidung bereut.»
Alice Schwarzer empört sich besonders darüber, dass der sogenannte Geschlechtswechsel künftig schon ab 14 Jahren möglich sein solle. Es solle nicht mehr ernsthaft geprüft werden, ob es sich um eine untherapierbare Transsexualität oder nur um eine Geschlechtsrollen-Irritation handele. «Ab dem 14. Lebensjahr soll man demnach sein Geschlecht wechseln können, auch wenn die Eltern nicht einverstanden sind! Das muss man sich mal vorstellen: Eine 14 Jahre alte Jugendliche, die in der Pubertät ist, voll beschäftigt mit der eigenen Identitätsfindung, sagt plötzlich: „Ich bin trans.“»
Die Änderung des Geschlechtseintrags sei oft nur der erste Schritt, dem als Zweites häufig die Behandlung mit Pubertätsblockern, Hormonen und Operationen folgen würde. Manche Therapeuten und Ärzte sowie die Pharmaindustrie hätten natürlich auch ein grosses kommerzielles Interesse an diesen Geschlechtsangleichungen und den damit verbundenen Operationen und der lebenslangen Hormonbehandlung.
Lehmann hält dem entgegen: «Das Selbstbestimmungsgesetz regelt keine medizinischen Fragen, sondern es geht um den amtlichen Personenstand. Über die Ausgestaltung des Selbstbestimmungsgesetzes beraten wir gerade innerhalb der Regierung. Schon jetzt gilt für geschlechtsangleichende Operationen die Altersgrenze von 18 Jahren in fachärztlichen Leitlinien, diese Grenze wird nur in seltenen Ausnahmen unterschritten.»
Schwarzer argumentiert: «Bei dieser ganzen Debatte wird meiner Meinung nach Natur mit Kultur verwechselt. Ich gehöre zu den Menschen, die die kulturelle Geschlechterrolle abschaffen wollen. Das heisst, ich glaube zum Beispiel nicht, dass Frauen nur weil sie Kinder gebären können, die besseren Mütter sind. Und ich finde, Mädchen sollen Fussball spielen können und Jungen weinen dürfen. Jetzt aber geht man plötzlich her und sagt: ,Das biologische Geschlecht muss geändert werden.‘ Wir können die Natur aber nicht abschaffen.»
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