Erster Schweizer Gedenkort für alle NS-Opfer in Planung
Auch an die Opfer aus der LGBTIQ-Gemeinschaft soll explizit erinnert werden.
Zum ersten Mal sollen LGBTIQ-Opfer aus der Zeit des Nationalsozialismus ausdrücklich in einem offiziellen Schweizer Mahnmal Erwähnung finden. Eine Arbeitsgruppe wird dem Bundesrat schon bald ein entsprechendes Konzept übergeben. MANNSCHAFT sprach mit Sabina Bossert, Mitglied der Steuerungsgruppe.
In der Schweiz gibt es 54 Denkmale, die explizit oder implizit auf die Verfolgung und Vernichtung der Jüdinnen und Juden Bezug nehmen – aber kein offizielles. Auch für die zahlreichen Opfer der LGBTIQ-Gemeinschaft findet sich kein offizieller Gedenkort. Dabei gibt es in der Schweiz im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg Menschen und Handlungen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen: Opfer und Täter*innen, aber auch Helfer*innen. Eine Arbeitsgruppe will nun das Konzept für einen nationalen Gedenkort für alle Opfer des Nationalsozialismus entwerfen und dieses spätestens im kommenden Winter dem Bundesrat übergeben. MANNSCHAFT sprach mit Gruppenmitglied Dr. Sabina Bossert über den Stand der Dinge.
Viele beteiligte Institutionen Das Projekt soll sowohl Mahnmal- als auch Denkmal-Charakter besitzen, wie Bossert erklärt. Die Gruppe stelle sich einen zentral gestalteten Gedenkort im öffentlichen Raum vor. «Eingebettet jedoch in eine Gedenkstätte, die ein Bildungs- und Informationsangebot umfasst», so Bossert.
Als Fachreferentin für Jüdische Zeitgeschichte an der ETH Zürich ist Sabina Bossert Mitglied der Gruppe, die aus Vertreter*innen interessierter Organisationen sowie aus Personen mit akademischem Hintergrund besteht. Zu den vertretenen Institutionen gehören die Auslandschweizer-Organisation, der Dachverband der Schweizer Jüdinnen und Juden und die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft. Von akademisch-wissenschaftlicher Seite gibt es Beteiligte des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel und des Archivs für Zeitgeschichte der ETH Zürich sowie eine Expertin zur Denkmalkultur in der Schweiz.
«Schattenseite des Regenbogens»: Mahnmal für die Opfer des §175
Schweizer Fokus Das Projekt sei, da es sich an den Bund richte und nach einem offiziellen Denkmal verlange, inhaltlich klar auf die Schweiz ausgerichtet. Es gehe darum, dass die Schweizer Opfer in den Vordergrund rücken und die Schweiz ihre Rolle kritisch reflektiere. «Dies beinhaltet auch die Beschäftigung mit Schweizer Täter*innen, aber auch mit Helfer*innen», erklärt Bossert weiter.
Darüber hinaus soll an alle Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden – und dabei unterstreicht Bossert das Wort «alle». So nenne die Gruppe in ihrer umfassenden Aufzählung der Opfer im Konzept neben den Jüdinnen und Juden osteuropäische Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter*innen; Roma und Sinti sowie Jenische und andere, die als «Zigeuner» verfolgt wurden; Homosexuelle (bzw. Menschen, die heute unter LGBTIQ zusammengefasst werden); Zeugen Jehovas; Menschen mit Behinderungen oder kranke Menschen; politische Oppositionelle und politisch Verfolgte; Christinnen und Christen, die sich aus religiöser Überzeugung gegen die Diktatur stellten; sowie allgemein am Rande der Gesellschaft Stehende, die als «Asoziale» verfolgt wurden.
Repräsentativer Ort Einen Vorschlag zur physischen Erscheinungsform und zum genauen Ort gibt es noch nicht. «Die Konkretisierung dieser Fragen möchten wir dem Bund überlassen», so Bossert. Dies soll das Ergebnis eines bildungs- und kulturpolitischen Meinungsbildungsprozesses sein.
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Bossert könnte sich vorstellen, dass für das Finden des passenden Erscheinungsbildes ein Architektur- oder Kunstwettbewerb sinnvoll sein könnte. Ausserdem sei es wichtig, dass ein repräsentativer Ort wie beispielsweise Bern oder Genf gewählt werde. Zudem wäre eine Verbindung mit einer bestehenden Gedächtnisinstitution vorstellbar.
Mahnmale für LGBTIQ-Opfer in Deutschland In Deutschland finden sich mehrere «Stolpersteine», die an schwule NS-Opfer erinnern (MANNSCHAFT berichtete). In Berlin steht das Denkmal für im Nationalsozialismus verfolgte Homosexuelle. Dort kam es in der Vergangenheit immer wieder zu homophobem Vandalismus (MANNSCHAFT berichtete).
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