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80 Jahre «Die grosse Liebe»: NS-Propaganda mit LGBTIQ-Liedern

Hitlers wegen Homosexualität inhaftierter Hitschreiber Balz musste die Songs unter den Augen der Gestapo verfassen

«Die grosse Liebe»
Zarah Leander (M.) in «Die grosse Liebe» (Foto: Murnau-Stiftung)

«Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen» und «Davon geht die Welt nicht unter»: zwei von Bruno Balz getextete Ohrwürmer aus einem Film mit Zarah Leander. Ist der Kinohit von 1942 zu Recht vergessen?

Von Gregor Tholl, dpa

Die Lieder aus dem Film sind Evergreens, der Streifen verschwand jedoch in der Versenkung: Die Rede ist von der Romanze «Die grosse Liebe» mit Zarah Leander und Viktor Staal in den Hauptrollen.

Vor 80 Jahren  – am 12. Juni 1942 – kam der Propagandafilm, den viele Millionen Vorfahren der heutigen Deutschen während des Weltkriegs sahen, ins Kino. Die Rechte an ihm liegen heute bei der Murnau-Stiftung in Wiesbaden. Der Film gilt als der grösste Kinoerfolg während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In den Wochen nach der Premiere in Berlin sollen ihn etwa 28 Millionen Menschen in den Lichtspielhäusern des NS-Staates gesehen haben.


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Bruno Balz im Alter von 33 Jahren (Foto: Walter Jaeger / Bruno Balz Archiv Berlin / Wiki Commons)

«Die grosse Liebe» unter der Regie von Rolf Hansen (1904-1990) war der vorletzte Film, den die schwedische Schauspielerin Zarah Leander (1907-1981) bei der Ufa drehte, bevor sie 1943 Deutschland verliess.

Nach dem Krieg wurde das Machwerk der Leander als Propaganda für Nazideutschland angelastet. Die Hits «Davon geht die Welt nicht unter» und «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder gescheh’n», komponiert von Michael Jary, stammen jedoch aus dem Film.

Die Geschichte von deren Textdichter Bruno Balz («Kann denn Liebe Sünde sein?», «Der Wind hat mir ein Lied erzählt») kann als besonders widerliche NS-Anekdote bezeichnet werden. Doch dazu später mehr. (MANNSCHAFT berichtete über den Rapper Lil Nas X und die Diskriminierung, die er in der Musikbranche erlebte.)


Der Durchhaltestreifen wurde mitten im Krieg produziert: Es geht um den Fliegeroffizier Paul Wendlandt (Staal) und die Varieté-Sängerin Hanna Holberg (Leander). Sie lernen sich in Berlin kennen, als der stramme Soldat für einen Tag aus Nordafrika in der Hauptstadt weilt.

«Er fährt heut Nacht wieder weg – ohne Befehl»
Seine Penetranz, mit der er die Sängerin für sich gewinnen will, lesen heutige Zuschauer wohl eher als Stalking. Damals aber galt das wohl als schickes Umwerben und romantisch. Jedenfalls machen die Kriegseinsätze des männlichen Helden und die Auftritte der Sängerin ein regelmässiges Zusammensein der Verliebten schwer.

Sängerin Hanna spricht ihre Enttäuschung über den allzu engagierten Mann auch aus: «Er fährt heut Nacht wieder weg – ohne Befehl.» Das wird aber im Laufe des Films natürlich als Egoismus vorgeführt.

«Die grosse Liebe»
Zarah Leander in «Die grosse Liebe» aus dem Cover des «Illustrierten Film-Kuriers»

Die Hochzeit des Paares muss mehrmals verschoben werden. Als Wendlandts bester Freund fällt, will er sich von Hanna trennen. Doch dann wird er selber abgeschossen und Hanna, die nach dem Beginn des Kriegs gegen Russland allmählich Verständnis fürs Militärische aufbringt, besucht ihren verletzten Verlobten im Lazarett.

Es ist ein bizarres Happy End für das Paar. Dem Publikum wird unverhohlen eine Lektion in Unterordnung und vor allem weiblicher Opferbereitschaft für das grosse Ganze erteilt.

In weiteren Rollen sind zum Beispiel Grethe Weiser als Hannas geschwätzige Zofe Käthe und Paul Hörbiger als Hannas Musikdirektor Alexander Rudnitzky zu sehen – der Komponist liebt die Sängerin, steht ihr bei, muss aber auf sie verzichten. Er ist weich und ein Verlierertyp, kein so harter Kerl wie der Flieger.

Für einen Unterhaltungsfilm wird ungewöhnlich offen mit dem Krieg umgegangen. Gezeigt werden Nächte im Luftschutzkeller, aber eben auch «völkischer» Zusammenhalt und Stolz während der Bombardierungen.

«Liebe in Zeiten des Hasses»
Eine kaum fassbare Geschichte ereignete sich bei der Filmproduktion rund um den Textdichter Bruno Balz, der oft als Hitlers Hitschreiber bezeichnet wird. Balz überlebte zwar den Krieg und starb erst 1988 mit 85 Jahren, er wurde aber als Schwuler von den Nazis verfolgt.

Florian Illies beschreibt das erlittene Leid in seinem Buch «Liebe in Zeiten des Hasses» wie folgt: «Bruno Balz wird auf Erlass von Joseph Goebbels für 24 Stunden aus dem Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Strasse 8 entlassen. Balz hat wegen seiner Homosexualität eingesessen, ist tagelang gefoltert worden, aber die Ufa hat Goebbels signalisiert, dass der neue Film von Zarah Leander nicht ohne Lieder von Balz zu Ende gedreht werden könne.»

Und weiter heisst es in Illies‘ Bestseller: «Balz wird im Morgengrauen nach Babelsberg gefahren. Unter den Augen der Gestapo schreibt er dort in nur 24 Stunden zwei seiner grössten Songs: ‹Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen› und ‹Davon geht die Welt nicht unter›. Beides erweist sich als unzutreffend.»

Über den letzten Satz von Illies liesse sich streiten. Balz selbst hatte ja getextet: «Davon geht die Welt nicht unter, Sieht man sie manchmal auch grau, Einmal wird sie wieder bunter, Einmal wird sie wieder himmelblau, Geht mal drüber und mal drunter, Wenn uns der Schädel auch graut, Davon geht die Welt nicht unter, Sie wird ja noch gebraucht.»

MANNSCHAFT berichtete über ein neues Buch zu Musik und Homosexualitätenforschung.


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